Der Ausstellungszyklus ‚Frankfurt-Auschwitz‘ zum Jahrestag der Liquidation des „Zigeunerlagers“ Auschwitz-Birkenau (29. Juli), Teil 1/2


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Geschwisterpaar aus der 2. Generation der Verfolgten leitete den wiederaufgenommenen Zyklus der Verfolgung und Diskriminierung - die nicht vorbei ist - im ehemaligen Polizei- und Gestapogefängnis ‚Klapperfeld‘ mit ihren Erfahrungs- und Erlebnisberichten ein.
Das war kein Einfaches, denn ihre Eltern blieben lange verschlossen, konnten über das Erlittene nicht sprechen. Diese waren Traumatisierte der ersten Generation.


Die Kündigung der Räume des Fördervereins Roma in der Kaiserstraße 64, der seit knapp 20 Jahren arbeitet, zum 31.8.2016 steht unmittelbar bevor. Neue Räume werden dringend gesucht. Bei der Suche offenbaren sich erneut ‚Vorurteil, Diskriminierung oder offene rassistische Ablehnung‘. Das Trauma aktualisiert sich.


Die Ausstellung, die mit der Zeitzeugenschaft fortgeschrieben wird, wurde vor 7 Jahren erstmals präsentiert. Sie war auch schon in anderen Städten wie Trier, Saarbrücken, Heidelberg, Brüssel und im Dokumentationszentrum Prora auf Rügen zu sehen. Frankfurt, München und Berlin taten sich in der Verfolgung der Sinti und Roma eifrig hervor. Namen, die hierfür stehen, sind: Robert Ritter und Dr. Eva Justin, tätig in Frankfurt als Rassebiologen. Eva Justin ist in einer Videosequenz mit ihren im nachhinein rechtfertigenden Plädoyers in eigener, verfehlter Sache zu verfolgen.


Der Begriff Zyklus ist insofern angemessen, als die Lebensgeschichten der ersten, der zweiten und selbst noch der dritten Generation der Verfolgten einen Kreis der vielschichtigen Drangsale aufschließt, der sich für Außenstehende nur in der Zuwendung auf die Leiden der betroffenen Naturen erschließt. Offensichtlich kommt die Gesellschaft der vorherrschenden Majorität ohne Vorurteile nicht aus, wenn sie aus der Anfeindung des ihr Fremden ein unverbrüchliches Selbstverständnis gebiert.


Die menschliche Gemeinheit und Niedertracht scheint sich keinerlei Grenzen ziehen zu wollen, wie wir heute erkennen. Sie ist fähig, zur Abwehr der Unliebsamen auch Sprengsätze an deren Wohnungstüren – in Kopfhöhe - anzubringen, wie in holden Wiederaufbauzeiten der Bundesrepublik, bald nach dem Holocaust, geschehen. Auch heutige Zeiten sind wieder böse, sagen die Schwestern – und das stimmt.


‚Was für Menschen waren das, die das gemacht haben`?


Maria und Ursula sprachen über Oma, Vater, Mutter, über Geschwister und Kinder, was diesen widerfuhr und begegnete und besonders über das, was es für Kinder bedeutete. Die Mutter von Maria und Familie wurde mit 14 Jahren von der Gestapo in der Berliner Adreasstraße frühmorgens unter traktierenden Praktiken ‚abgeholt‘. Die Familie betrieb ein gut gehendes Fuhrunternehmen, hatte eine Wohnung.


Die Töchter erzählen von ausgesuchten Qualen und Martern, die den Eltern unter den Verhältnissen der Auszehrung und Vernichtung durch Arbeit zugefügt wurden. Ursula erzählt: auf dem Weg in das ‚Frauenlager‘ Sachsenhausen – nur 1. Station - sind viele schon in den Waggons gestorben, es war so eng, dass niemand umfallen konnte. Angekommen, wurde selektiert wie in Auschwitz, aufgeteilt in arbeitsfähig (das heißt benutzbar für die Ausbeutung als Arbeitskraft), in arbeitsunfähig und in alt und krank sowie schwach und klein, meint Betagte und Kinder. Größere Kinder galten als arbeitsfähig, kleinere sollten umgebracht werden. Oma ist zu den kleinen Kindern gegangen, hat sie um sich geschart und ging freiwillig mit ihnen in den Tod.


Maria berichtet: den Frauen wurden die Haare unter Stößen in die Kopfhaut geschoren, die Identität wurde ausgelöscht, indem nicht mehr Namen galten, sondern nach Nummern gezählt wurde, die in den Appellen durchgezählt wurden. Unter sauberen Nazis wurde die Kleidung für die Arbeitssklavinnen dreckig gehalten. Die Frauen hatten von 5 Uhr bis spätabends die große Walze zu bewegen, um asphaltierte Wege zu glätten und zu verdichten. Ein Gestapo-Mann hat der Mutter den schweren Stiefel in den Rücken getreten, wovon sie einen Schaden behielt.


Waffen mussten hergestellt werden. Es kamen Stanz- und Drehbohrmaschinen zum Einsatz. Um das Lager war ein Hochspannungszaun gespannt. 2 Russinnen, die sich schließlich aufgegeben hatten, nahmen sich eines Tags an die Hände und sind beide gleichzeitig in den Zaun gerannt. Ihre Vertrauten im Leiden waren dazu verurteilt, die Reste vom Zaun zu lösen. Es gab eine Dependenz zwischen Krematorium und Energieerzeugung, um die geheime Gaskammer zu versorgen.
Ursula berichtet: der Vater quälte sich durchs ‚Vorzeige‘- und Ausbildungslager für SS-Leute Auschwitz-Birkenau. Er sprach vier Sprachen, wurde daher bei Feiern als Hilfe eingesetzt, hatte dadurch einen etwas günstigeren Stand. Um 4.15 Uhr musste aufgestanden werden: die Baracken waren zu eng, es war kein Platz auf dem Boden, wenn zum Schlafen gelegt wurde, so dass des nachts der Abort nicht erreicht werden konnte. Morgens war es ein Kampf um die Waschbecken (‚Eine Laus, dein Tod‘, hieß es). Es gab 100 g Brot. Die Steck- oder Kohlrübensuppe hat aufs Übelste gerochen.


Die Funktion des Vaters im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau war, zugunsten der deutschen Lederindustrie Schuhe auszutesten. Er musste den ganzen Tag auf einem Modellboden hin- und her treten, was dazu führte, dass er späterhin dazu neigte, seine Schuhe mehr zu lagern als zu nutzen. Der Vater hat überlebt, Oma wurde ermordet, wie auch ihre Schwester und ein kleiner Junge und ein Baby. So hat die verfolgte Erstgeneration Traumata aus dem Schrecken mitgebracht, die auch die 2. Generation traf und sich verdüsternd auf das Leben legte.


Nach der NS-Todes-, Raub- und Ausbeutungsherrschaft haben die Überlebenden Wiedergutmachungsanträge gestellt. ‚Es ist niemand gekommen von Amts wegen‘ - ‚kein Mensch hat sich gekümmert‘. Sie trafen auf Ablehnung, bekamen keine Wohnung, man wollte sie nicht als Nachbarn. Es tauchten Hinweise mit der Aufschrift auf: `Zigeuner verboten‘, an Geschäften, auf Parkbänken und in Restaurants. Das Amt verortete sie in Campingverhältnissen, dabei hatten sie auch mal Wohnungen gehabt. Erst in der Pubertät kamen sie zu einer Wohnung in Frankfurt Nordwest.


Die Realität war: dieselben wie vorher saßen da vor ihnen, die früher Gutachten geschrieben hatten, ähnlich der schrecklichen Dr. Eva Justin, deren Tätigkeit bis in die Mitte der Sechziger Jahre ohne Skrupel auf den Bonameser Standplatz verlegt war, wo auch Sinti und Roma lebten. Die berüchtigte Landfahrerdatei wurde bundesweit fortgeführt, auch wenn sie verdeckende Bezeichnungen bekam. Degoutante Praxis war lange, dass Wiedergutmachung erst ab dem Auschwitzerlass „zur Zigeunerfrage“ Heinrich Himmlers vom 29.1.1943 zugestanden wurde, obwohl schon vorher verfolgt wurde. Dies wurde erst 1963 revidiert und der Beginn auf das Jahr 1938 verlegt.


Info:
Ausstellung „Frankfurt – Auschwitz“, im Klapperfeld, 60313 Frankfurt, Klapperfeldstraße 5, geöffnet vom 29. Juli bis 17. September 2016, Samstag von 15 bis 18 Uhr, am 31. August, 7. und 14 September jeweils von 10 bis 13 Uhr.