Kritiker sehen einen Fall von politischer Justiz in Limburg an der Lahn

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Umgang der Stadt Limburg mit dem Nazigegner Ralf Bender ist ein Skandal.

Weltexpresso hatte darüber bereits am 29. März dieses Jahres berichtet („Wenn das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren geht“). Dem zur Zahlung von Schadensersatz verurteilten Sozialpädagogen, der im März 2013 Nazi-Schmierereien im Umfeld von Schulen übermalt hatte, wurde am 6. August ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt. Doch demokratisch gesinnte Bürger verhinderten durch die Überweisung von Spenden an die Stadtkasse Limburg die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Seit dem 10. August berichten darüber mehrere regionale und überregionale Tageszeitungen (u.a. die Frankfurter Rundschau) und das Hessische Fernsehen über das vermeintlich gute Ende der Sache. Doch Ralf Bender und viele Gleichgesinnte sehen das anders. In Leserbriefen (so in der FR vom 18.08.16) wird das skandalöse Verhalten des Limburger Magistrats heftig kritisiert, der erkennbar bemüht ist, Wesentliches unter den Tisch zu kehren und keine Ursachenforschung zu betreiben.

Denn während man dem streitbaren Demokraten Bender Schadensersatz für die Beseitigung von Farbresten an Laternenpfählen und Verkehrsschildern, die bei der Beseitigung von Nazi-Symbolen entstanden waren, abverlangte, erstattete die Behörde gegen die Verursacher der verfassungsfeindlichen Aktionen keine Strafanzeige, obwohl sie im Sinne der Gefahrenabwehr dazu gesetzlich verpflichtet war (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung HSOG). Als nach Bekanntwerden dieser vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Unterlassung ein Bürger Anzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt gegen den seinerzeit zuständigen Bürgermeister sowie gegen den Leiter des Ordnungsamtes stellte, nahm die Staatsanwaltschaft Limburg diese nicht an. Die Ablehnungsbegründung steht im krassen Widerspruch zu einschlägigen Kommentarwerken, welche die StGB-Paragrafen 258 und 258a betreffen. So ist zu vermuten, dass die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft auf Order aus dem hessischen Justizministerium gehandelt hat.

Zweifel an der rechtsstaatlichen Gesinnung der Limburger Stadtverwaltung sind auch angebracht, wenn man sich das Abrechnungsverfahren des städtischen Eigenbetriebs ansieht, der mit der Beseitigung der Farbreste beauftragt war. Zunächst war von 36 beschädigten Objekten ausgegangen worden, obwohl das Polizeiprotokoll lediglich 14 Objekte, die sich in öffentlichem Besitz befinden, mit exakter Straßenangabe benennt. Dadurch ergab sich zunächst eine Forderung von 3.278,17 Euro, gegen die Ralf Bender bereits vorgerichtlich Einspruch einlegte. Für die Reinigung der 14 Objekte wurden schließlich 991,55 Euro berechnet und später eingeklagt. Der darin ausgewiesene Arbeitsaufwand wurde jedoch auf der Basis von 36 behandelten Objekten anteilsmäßig errechnet. Bereits die 14 Pfosten, für die Bender die Verantwortung übernahm, wiesen unterschiedliche Farbanhaftungen auf. Trotzdem wurde keine Detailabrechnung vorgenommen. Folglich wurde Ralf Bender im Sinn einer Kollektivstrafe an den Schadensersatzverpflichtungen unbekannter Dritter beteiligt.

Aber auch der Materialaufwand (Farblösungsmittel) wirft Fragen auf. Denn die der Rechnung an Bender in Kopie beigefügten Einkaufsquittungen weisen nach, dass das Material zu einem Zeitpunkt eingekauft wurde, als der städtische Eigenbetrieb seine Arbeiten längst abgeschlossen hatte. Offensichtlich wurde Material verwendet, das sich bereits im Besitz des Bauhofs befand und möglicherweise zu anderen Konditionen erworben worden war.

Diese Ungereimtheiten sollten auch in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Limburg am 18.11.2014 auf Benders Antrag hin geklärt werden. Doch die Richterin, die vor Beginn der öffentlichen Sitzung dem HR-Fernsehredakteur Andreas Hieke Aufnahmen im Gericht untersagte, lehnte die Erörterung der von Ralf Bender vorgebrachten Beweise ab, erwähnte dies jedoch nicht im Verhandlungsprotokoll (!). Hätte nicht die Presse in ihrer Berichterstattung darauf hingewiesen, wäre über diesem groben Verfahrensfehler endgültig der Mantel des Schweigens ausgebreitet worden.

Ralf Bender unterlag vor dem Amtsgericht, das seine Argumentation hinsichtlich einer notwendigen Gefahrenabwehr (wegen einer drei Wochen untätig gebliebenen Behörde) verwarf und ihn zu Schadensersatz verurteilte. Das Landgericht Limburg als Berufungsinstanz lehnte hingegen die Aufnahme eines Prozessverfahrens vor allem mit der Begründung ab, Bender brächte Beweismittel ein, die er gemäß Zivilprozessordnung der Vorinstanz hätte vorlegen müssen und verwies auf das (fehlerhafte) Verhandlungsprotokoll.

Nach Ausschöpfung des Rechtswegs erstattete Ralf Bender Anzeige gegen die Verantwortlichen der Stadt Limburg wegen des Verdachts des Betrugs bei der Berechnung von Leistungen. Doch die Staatsanwaltschaft Limburg weigerte sich trotz aussagefähiger Beweise, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Auch Benders Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt blieb erfolglos.

Als Beobachter gewinnt man den Eindruck, dass der Fall Bender in den Bereich der politischen Justiz gehört, die man eigentlich als längst überwunden glaubte.

Die geschilderten Vorgänge erschließen sich aus einer Dokumentation, die Ralf Bender erarbeitet hat, die seit Ende 2015 von ihm kostenlos verbreitet wird und die jedem zugänglich ist („Limburg an der Lahn: Wo Nazi-Schmiererei lange toleriert und Zivilcourage bestraft wird. Der Fall Ralf Bender“). Im Frühjahr 2016 erschien eine zweite und bearbeitete Auflage, eine dritte, erneut ergänzte Auflage ist für die erste Septemberwoche angekündigt.

Limburgs neuer Bürgermeister, der der SPD angehört und die Hinterlassenschaft seines Vorgängers aufarbeiten muss, hätte sich die Zeit nehmen sollen, diese Dokumentation, die im Wesentlichen aus einer Chronologie der Ereignisse und der Wiedergabe von exemplarischen Originalen (Benders Briefen an die Stadt Limburg, Äußerungen der Behörden und Gerichtsakten) besteht, mit den Angaben der ihm unterstellten Behörde zu vergleichen. Dann hätte sich die Zwangsvollstreckung von vorherein abwenden lassen (sie wurde, wie oben erwähnt, erst durch Spenden engagierter Bürger obsolet). Letzteres auch deswegen, weil in der Güteverhandlung vor dem Amtsgericht, die der Hauptverhandlung vorausging, die Stadt Limburg bereit war, gegen die Zahlung eines symbolischen Euros und einer Schuldanerkennung durch Ralf Bender auf jede weitere Forderung zu verzichten. Es ging also von Anfang an nicht ums Geld. Vielmehr ging es um eine neue Form von Obrigkeitsstaat, der nach eigenem Ermessen darüber entscheidet, was er seinen Bürgern gestattet und was nicht.

Jetzt darf man gespannt sein auf die nächste Sitzung der Limburger Stadtverordnetenversammlung im September. Die Fraktion „Die Linke“ hat das Thema auf die Tagesordnung setzen lassen.

 

Foto: Ralf Bender (c) Ralf Bender

Info:
Die Dokumentation „Limburg an der Lahn: Wo Nazi-Schmiererei lange toleriert und Zivilcourage bestraft wird. Der Fall Ralf Bender“ (zurzeit in 2. Auflage 2016, die 3. Auflage erscheint in der 35. Kalenderwoche 2016) kann kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden: http://www.kpmertens.de/artikel_2007.ahtml