Die Absender bleiben anonym. Stehen aber fest an der Seite von AfD und Pegida

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Nun Volk, steh’ auf, und Sturm, brich los!“. So beendete Joseph Goebbels seine Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943, in der er zum „totalen Krieg“ aufrief.


Diese Phrase basiert auf einer Zeile aus Theodor Körners Gedicht „Männer und Buben“ und lautet im Original: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“. Völkisch-nationalistische Kriegslyrik dieses Schlags ist auch bei den neuen Rechten angesagt. Auf Pegida-Veranstaltungen hört man häufig den Vers: „Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten, / vom Feinde bezahlt und dem Volke zum Spott. / Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten, / dann richtet das Volk und es gnade euch Gott.“


Er wird ebenfalls Körner zugeschrieben, jenem Dichter, der dem Lützowschen Freikorps angehörte, einem Freiwilligenverband innerhalb der preußischen Armee in den Kriegen gegen Napoleon. Einig wusste sich der Dichter in seinen Zielen auch mit Ernst Moritz Arndt und „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn. Es verband sie das Streben nach einem deutschen Nationalstaat; den Bürgerrechten hingegen waren sie weniger bis gar nicht zugetan. Das unterschied sie von Napoleon, der letztere zumindest theoretisch proklamierte (so im „Code civil“ von 1804). Nach der Niederlage Napoleons wurde sein Gesetzbuch in der bayerischen Pfalz, in Rheinhessen und in Baden als „Rheinisches Recht“ beibehalten. Östlich des Rheins galt wieder das „Preußische Allgemeine Landrecht“. Und welches Recht man sich heute in einigen Regionen östlich der Elbe herbeiwünscht, bleibt der Phantasie der Leser überlassen.



Theodor Körner und das, was man ihm zuschreibt, nimmt auch eine zentrale Stelle in jenen Schmähschriften ein, die seit Wochen bei den Unterstützern von Ralf und Reiner Bender eingehen.
Zur Erinnerung: Die Brüder Bender hatten im April 2013 Nazi-Symbole an öffentlichen Straßenlaternen und Verkehrsschildern in Limburg an der Lahn entfernt bzw. übersprüht, nachdem die Behörden trotz mehrfacher Aufforderung zur Gefahrenabwehr untätig geblieben waren. Als „Dankeschön“ für die Aktion erhielt Ralf Bender einen Kostenbescheid, der später in eine Schadensersatzklage mündete. Gegen die Verursacher der verfassungsfeindlichen Schmierereien hingegen wurde keine Anzeige erstattet. Aus formalrechtlichen Gründen unterlag Bender vor dem Amtsgericht, wobei die Prozessführung durch die Amtsrichterin bis heute in der Kritik steht. Auch das Landgericht schloss sich dem fragwürdigen Urteil der Erstinstanz an (siehe Weltexpresso vom 25.08.16: „Die Vereinfachung als politische Strategie“; 23.08.16 „Mordandrohung per Brief“; 19.08.16 „Von Schwarzen, die braune Sprüche hinnehmen“; 29.03.16 „Wenn das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren geht“).



Seither schlägt der „Fall Bender“ Wellen in den regionalen und überregionalen Medien. Ein Teil der Bevölkerung fragt, warum der neue Limburger Bürgermeister, der mit den Vorgängen vor drei Jahren nichts zu tun hat, die Klärung der Sache nicht intern aufarbeitet und mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit geht, um ein klares Signal zu setzen. Vorrangig geht es um Antworten auf diese Fragen: Warum reagierten der Ex-Bürgermeister und der Leiter des Ordnungsamts im März/April 2013 nicht? Warum wurde keine Anzeige wegen Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole erstattet? Wie erklären sich die dubiosen Arbeits- und Materialnachweise des städtischen Bauhofs? Ein anderer Teil hingegen möchte die Sache dem Vergessen anheimgeben und stärkt dadurch jene Kreise, die auf Demokraten in anonymen Briefen verbal eindreschen.



„Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten“ steht in einem der Pamphlete, die den Frankfurter Literaturverein PRO LESEN Ende August erreichten, der im April dieses Jahres die Benders zu einer Diskussion eingeladen hatte. Während die Absender anonym bleiben, ergießen sich über die Adressaten der rechtsradikalen Botschaften wirre, aber eindeutige Attribute:

„Links-extremes, real rotfaschistisches Milieu und Antinazi-Wichtigtuer“, die sich in einem „Windmühlen-Kampf gegen ein paar ungefährliche Nazi-Aufkleber“ verstrickt haben. Ihre Behauptungen seien eine „asoziale Lügenproduktion“. Denn „anständige konservativ-patriotische Demokraten werden pauschal zu Nazis erklärt und beschimpft“, was mit Hinweisen auf AfD und Pegida unterstrichen wird. Diese linken Antifaschisten betrieben eine „asozial-kriminelle Politik der Volks-, Landes- und Wertevernichtung. Diesen Personen könnte es so ergehen wie der korrupt-ausbeuterischen, volksverachtenden Oberkaste Frankreichs 1789. Aber das [sei] keine aktuelle Drohung, sondern allenfalls eine perspektivische.“



Dann folgen staatsbürgerliche Belehrungen dieser Art: „Die NSU-Morde sind bis heute völlig unbewiesen“; „rote Antinazis [sind] oft Zwillinge der braunen Nazis“; „die Sach- und Personenschäden, die von SPD-Jusos, DGB-Verdi, gewaltaffinen Antifa [verursacht wurden] gehen in die Millionen. Während die politologisch völlig falsch als rechts bezeichneten Straftaten kaum ins Gewicht“ fielen. Und man legt mit einer vermeintlich historischen Tatsache nach: „Der Real-Kommunismus ermordete weit mehr Menschen als Hitler.“ Eine Landkarte mit den deutschen Grenzen von 1937 wird so erklärt: „Die abgestempelte Landkarte soll lediglich eine - nicht strafbare - patriotische Idealvorstellung markieren, mitteilen, wobei der großdeutsche Traum in der alten SPD früherer Jahrzehnte ebenfalls kräftig lebte.“ Dazu passt dann „Was den ach so schlimmen Nationalismus angeht, so forderte die KPD in den 50ern eine »nationale Wiedervereinigung« mit der DDR“.


Der nationale Feind scheint überall zu sein: „Kein anständiger, mental gesunder Mensch würde das seiner Familie antun, was die rotgrünroten und bürgerlichen (CDU, FDP usw.) „Gutmenschen“ dem deutschen Volk antun mit der Volks-, Landes- und Wertevernichtung seit 1970!! Diese Leute sind keine guten Menschen, sondern krank und kriminell!“

Und dann wird man ganz deutlich: „Die Nazis begingen Völkermord an den europäischen Juden, die BRD-Antinazis begehen Völkermord an den Deutschen!“ Und weiter heißt es: „Der moderne Nazi ist nicht braun, sondern bunt und sein Holocaust ist der Mord am eigenen Volk!!!“ Aber es könnte eine Rettung geben, denn: „Das Milieu der Arbeiter und kleinen Leute läuft heute in Massen über zur AfD.“

Auffällig ist auch die Benutzung von Aufklebern, die von der Zeitung „Junge Freiheit“ verbreitet werden. Letztere sieht sich augenscheinlich in der Nachfolge des Goebbels-Blatts „Das Reich“ sowie der „konservativen Revolution“ der 20er Jahre, einer Vorbereiterin des Nationalsozialismus.



Was kann man tun gegen diesen Ungeist? Heinrich Heine weist in seinem Gedicht „Die Menge tut es“ einen Weg:

"...und es ist das Brandenburger Tor
noch immer so groß und so weit wie zuvor,
und man könnte euch auf einmal zum Tor hinausschmeißen,
euch alle..."

 

Foto: Pegida (c) ARD