Berliner Lektionen über die Kunst des politischen Scheiterns

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zuwanderung und Integration entgleiten den Verantwortlichen, gegen Gentrifizierung und Bildungsmisere fehlen Rezepte.


Ganz zu schweigen von der mehrfach unter Beweis gestellten Unfähigkeit, die Kontrolle beim Bau des Flughafens Schönefeld auszuüben. Und im Angesicht der sich anbahnenden Katastrophe spricht sich der Parteivorsitzende für das Freihandelsabkommen CETA aus, das die staatliche Daseinsvorsorge (z.B. Wasser-, Strom- und Gasversorgung, Verkehrsinfrastruktur und Teile des Gesundheitswesens) infrage stellen könnte und multinationale Unternehmen einer gesonderten dritten Gewalt unterwürfe, die von den Beteiligten selbst errichtet würde. Die Partei, die sich nach eigener Aussage als Vorreiter der sozialen Gerechtigkeit versteht, mutiert zum hilflosen Schiedsrichter zwischen Kapital und Arbeit und murkst vor sich hin.

Als Folge des Versagens kassiert die SPD bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus nunmehr magere 21,6 Prozent der Stimmen, was einem Verlust von 6,7 Prozent gegenüber der Wahl von 2011 entspricht. Und bereits damals war das Ergebnis alles andere als ein Sieg.

Dass der christdemokratische Konkurrent und bisherige Koalitionspartner auch der Bedeutungslosigkeit entgegen sinkt, dürfte nur ein schwacher Trost für die Demokratie sein. Linke und Grüne, die leicht hinzugewonnen bzw. etwas verloren haben, erweisen sich bei genauer Analyse als keineswegs gesund. Zwar fehlt es der Linken nicht an Grundsätzen, aber vielfach an geeignetem Personal, das über den Tellerrand des reinen Protests hinwegzublicken in der Lage ist. Bei den Grünen ist die soziale Frage, die untrennbar zur ökologischen gehört, zum Teil noch nicht gestellt oder unzureichend beantwortet (siehe schwarz-grüne bzw. grün-schwarze Koalitionen).

Währenddessen erwächst aus dem Sumpf von Ignoranz, Vorurteilen, Fremdenhass und Rassismus, hochgespült von der miserabel organisierten Flüchtlingspolitik der Großen Koalition sowohl im Roten Rathaus als auch im Bundestag, eine neue Partei und erreicht bei ihrem ersten Antritt in Berlin 14,2 Prozent: die AfD. Eigentlich besitzt nach den Vorgängen zwischen 1933 und 1945 niemand in Deutschland das Recht, politisch rechts zu stehen und sich als Verharmloser oder Nachfolger in die Reihen der Demokratiefeinde und Menschenrechtsverletzer einzureihen.

Ach ja, es gibt noch die FDP, die mit 6,7 Prozent in das Parlament zurückkehrt. Ein Stehauf-Männchen/Weibchen, das nach Ämtern und Einfluss schielt. Ihre derzeitige Führungsriege hat bereits klargestellt, dass die Partei in den Status quo verliebt ist und ihre Rolle vor allem in der Apposition sieht (also im Sinn eines substantivischen Attributs, das im selben Kasus wie das Substantiv steht, zu dem es sich zugehörig fühlt - nämlich der vorherrschenden, kommerziell nutzbaren Meinung).

Nachdem SPD und CDU nicht mehr genügend Abgeordnete vereinen, um erneut eine Koalition bilden zu können, scheinen die Zeichen auf Blassrot, Rot und Grün zu stehen. Derzeit sieht es so aus, als bestünde deren einziger gemeinsamer politischer Nenner lediglich in dem Willen, mitzuregieren. Oberflächlich betrachtet mag es sogar Übereinstimmungen in relevanten Punkten geben, die auch den jeweiligen Parteiprogrammen entsprechen. Aber ob eine SPD, die immer noch von Schröders einstigem Küchenkabinett bestimmt wird, zu einem Bündnis mit Sozialisten fähig ist, steht dahin. Ebenso unklar ist die Position der Grünen. Verstehen sie sich als linke Bewegung oder als biologisch-dynamische Mittelstandsvereinigung nach baden-württembergischem und hessischem Vorbild?

In einem künftigen Koalitionsvertrag müssten die Reorganisation der Verwaltung, das Ende der Ghettoisierung der Zuwanderer, der Stop der Gentrifizierung und der Immobilienspekulation und eine auf effiziente, sprich rasche Integration gerichtete Flüchtlingspolitik festgeschrieben werden. Erste Erfolge sollten im Sommer des nächsten Jahres erkennbar sein. Denn bald danach findet die Bundestagswahl statt. Und die gesamte Republik schaut dann auf Berlin - im doppelten Sinn des Worts.