Doch Sahra Wagenknecht scheint das nicht zu wissen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In Homers Ilias wird Thersites als Demagoge geschildert, der von den anderen Helden des Trojanischen Kriegs verachtet und gemieden wurde.
Frauke Petry, die AfD-Kovorsitzende, erinnert in Denken, Sprache, Habitus und Handlung an diese verhasste Gestalt der griechischen Mythologie, die von Geltungssucht, mäßiger Bildung, geringer Sensibilität gegenüber den Kriegsereignissen und dem Hang zu Schmähungen geprägt ist. Die griechischen Helden stimmten bei allen Differenzen in einem überein: Man sprach nicht mit Thersites.
Aber warum sollte man mit Frauke Petry, Beatrix von Storch, Alexander Gauland oder Jörg Meuthen sprechen?
Ja, die AfD hat sich im Parteiensystem eingenistet und sie gehört irgendwie zum politischen Alltag. Sie hat einen bestimmten Wählertyp mobilisieren können, der das Spektrum zwischen Prolet und kleinbürgerlichem Spießer abzudecken scheint und der gegen eine Welt protestiert, die er nicht mehr versteht. Nicht, weil er sie für ungerecht, gar unsolidarisch hält, sondern weil er sich in seinen vermeintlich gerechten Ansprüchen zurückgesetzt fühlt. Vor allem von Fremden, aktuell von arabischen Flüchtlingen, die sich jener Vorrechte zu bedienen scheinen, die er längst aus der persönlichen Wunschliste gestrichen hat. Die AfD bedient diese Piefkes und offeriert ihnen gefährliche Lösungen für ein allzu schlichtes Problembewusstsein.
Doch trotz ihres Erfolgs in acht Landtagswahlen giert diese Partei geradezu nach Salonfähigkeit. Ihr reaktionäres, weil antisoziales Staatsverständnis, ihr Nationalismus und ihre Fremdenfeindlichkeit sollen als legitime und normale politische Ansichten deklariert werden. Falls das gelänge, würde als Nächstes versucht, die Deutungshoheit über gesellschaftliche Prozesse zu erringen. Frauke Petrys Versuchsballon in Richtung Umdeutung des faschistischen Begriffs „völkisch“ fliegt in exakt diese Richtung.
Warum ausgerechnet Sahra Wagenknecht diese Strategie nicht durchschaute und sich zu einem gemeinsamen Interview mit Frauke Petry in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ herabließ, ist unbegreiflich. Die Vorsitzende der LINKEN-Bundestagsfraktion sollte eigentlich wissen, dass es in den Medien nicht nur auf die Inhalte ankommt, sondern mindestens genau so darauf, wo und mit wem man sich öffentlich präsentiert.
Jan Korte, Vizevorsitzender der LINKEN-Fraktion, weist aus Anlass des missglückten Interviews richtigerweise darauf hin, dass die LINKE seit 2010 massiv an Einfluss verloren hat und dass weder politisches Moralisieren noch die Übernahme rechter Ressentiments aus dieser Krise führen können.
Tatsächlich ist es höchste Zeit, dass Linke (darunter auch alle, die nicht dieser Partei angehören) sowohl die Krise der Europäischen Union als auch die Flüchtlingswelle aus dem arabischen Raum als Folgen des globalisierenden und stets rücksichtsloseren Kapitalismus erklären. Die Lösung kann nur in einer Wiederbelegung des antikapitalistischen Internationalismus liegen und keineswegs in einer Neuauflage des Nationalismus, der zu allen Zeiten ein Herrschaftsinstrument der Wenigen über die Vielen war.
Um solche sozialen Entwürfe, die an der Realität anknüpfen, populär zu machen, bedarf es geeigneter Vermittler. Möglicherweise ist exakt dies das Problem der LINKEN.
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