Mit CETA ist der Status confessionis Europas eingetreten
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (weltexpresso.de) - Wenn in der Evangelischen Kirche der Status confessionis erklärt wird, steht die kirchliche Gemeinschaft auf dem Spiel.
Das Moderamen (Leitungsgremium) des Reformierten Bundes sah 1982 im Zusammenhang mit der Legitimierung von Atomwaffen diesen als gegeben an. Denn die grundsätzlichen ethischen Fragen der Kirche seien durch den weiteren Ausbau der Massenvernichtungswaffen in Frage gestellt. Das mit Kanada ausgehandelte Freihandelsakkommen CETA stellt nach Auffassung seiner Kritiker den Geist der Europäischen Union zur Disposition bzw. setzt ihn faktisch außer Kraft.
So hat das Parlament der Wallonie die seit 2009 von der EU-Kommission mit Kanada geführten Geheimverhandlungen über ein Handelsabkommen als trojanisches Pferd einer einseitigen, die Monopolwirtschaft bevorzugenden Globalisierung entlarvt.
Das Bundesverfassungsgericht hingegen hat in seiner Entscheidung vom 13. Oktober die Eilanträge gegen CETA abgelehnt, obwohl ihm der Vertragstext einschließlich dessen juristischer Bewertung ebenso vorlag wie den Belgiern. Das Gericht orientierte sich in seiner Entscheidung weniger an den Bestimmungen des Vertrags als an der Absichtserklärung der Bundesregierung über dessen Umsetzung. Würden solche im Kern unverbindlichen Erklärungen zum geltenden Rechtsprinzip erhoben, könnte man das Grundgesetz sofort abschaffen. Folglich fällt die Begründung zur Ablehnung des Eilantrags juristisch halbseiden aus:
„Da die Bundesregierung darüber hinaus einer vorläufigen Anwendung von CETA für Sachmaterien nicht zustimmen wird, die nach ihrer Auffassung in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind, kann davon ausgegangen werden, dass sie - soweit nicht Ausnahmen von der vorläufigen Anwendung durch Beschluss des Rates statuiert werden - entsprechende Vorbehalte anbringen wird. Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA-E), zu Portfolioinvestitionen (Kapitel 8 und Kapitel 13 CETA-E), zum internationalen Seeverkehr (Kapitel 14 CETA-E), zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen (Kapitel 11 CETA-E) sowie zum Arbeitsschutz (Kapitel 23 CETAE) nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst werden.“
Das Verfassungsgericht wollte aus schwer nachvollziehbaren Gründen noch keine Entscheidung in der Hauptsache fällen, also der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von CETA. Daran, dass diese wesentlich anders ausfallen wird als die Eilentscheidung, glauben vermutlich weder die Bundesregierung noch die EU-Kommission oder die kanadische Regierung. Andernfalls hätte man das Ratifizierungsverfahren bereits am 13. Oktober ohne Wenn und Aber gestoppt.
Es blieb dem Parlament der Wallonie vorbehalten, das Abkommen als gegen die Interessen Belgiens und Europas gerichtet zu brandmarken. So berücksichtigt der angestrebte Abbau von Zöllen nicht die Notwendigkeit von Schutzzöllen, welche europäische Betriebe vor ruinösem Wettbewerb bewahren sollen. Auch die Einführung einheitlicher Standards birgt die Gefahr, dass Kernpunkte des europäischen Rechtsverständnisses wie das Vorsorgeprinzip bei Lebensmitteln (Artikel 191 AEUV) oder das Verbot von Gentechnik formal legal umgangen werden können. Auch die vermeintlichen Nachbesserungen bei der Einrichtung eines internationalen Schiedsgerichts schließen solche Institutionen nicht generell aus. Vielmehr bieten diese die Möglichkeit, die bestehenden nationalen Rechtsordnungen einschließlich des EU-Rechts auszuhöhlen.
Die Europäische Union ist an einem Scheideweg angelangt. Entwickelt sie sich zurück zu einer von Lobbyisten bestimmten Wirtschaftsgemeinschaft oder besitzt sie den Mut, endlich den Weg hin zur politischen Union zu gehen? Letzeres wird nur ohne die Juncker, Schulz und Draghi möglich sein.
Foto: Berlin (c) Foodwatch