oder Wie man Neonazis Steilvorlagen liefert, Teil 1/2
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Stadtverordnetenversammlung von Limburg an der Lahn und der Magistrat der Stadt tun sich schwer mit der Aufklärung einer Affäre, die von ihnen selbst verursacht wurde.
Es geht (immer noch) um die Anti-Naziaufkleber-Aktion des Sozialpädagogen Ralf Bender vom April 2013. Und obwohl die Tatsachenlage eindeutig ist, relativieren die Mehrheit der Stadtverordneten und der Magistrat die tatsächlichen Ereignisse und drücken sich vor einer ehrlichen Stellungnahme. Für die Stadtverordnetensitzung am 26. September setzte die Fraktion DIE LINKE das Thema auf die Tagesordnung und beantragte eine Ehrenerklärung der Stadtverordneten und des Magistrats für Ralf und Reiner Bender.
Doch eine solche Bekundung wird abgelehnt, die Erörterung der Vorgänge vertagt. Zunächst soll der Haupt- und Finanzausschuss die Akten aufarbeiten. Insbesondere sollen die Fragen des Frankfurter Vereins PRO LESEN beantwortet werden, die dieser in einem offenen Brief an die Parlamentarier gerichtet hatte. Denn der Verein war ohne seine Absicht in die politische Auseinandersetzung zwischen offizieller Stadt und den Anti-Nazi-Aktivisten hineingezogen worden, als er die Brüder Bender im April 2016 zu einer literarisch-historischen Veranstaltung zur NS-Gewaltherrschaft eingeladen hatte. Seither sind er und sein Vorsitzender Klaus Philipp Mertens Zielscheibe rechtsradikaler Droh- und Schmähschriften.
Doch die Stadtverordnetensitzung am 30. November war immer noch nicht zu einer Beschlussfassung in der Lage. Man vertagte sich auf Januar 2017. Nur wenige Tage vor dem November-Termin machte eine vertrauliche Darstellung des Magistrats die Runde. Da in der Politik bekanntlich nichts vertraulich bleibt, möglicherweise auch gar nicht vertraulich bleiben soll, wurde ein Abgeordneter der Limburger CDU-Fraktion aktiv und machte es öffentlich. So erreichte das Papier auch den Verein PRO LESEN. Und der zeigt sich erschüttert von diesem Beschönigungsversuch.
Die vom Magistrat eigens angefertigte Chronologie verschweigt, warum die ursprüngliche Kostenrechnung der Stadt zweimal korrigiert werden musste - nämlich weil die Anzahl der betroffenen Objekte zunächst falsch war (36 statt 14) und weil man bestimmte Rechtsvorschriften hinsichtlich des Hessischen Straßenrechts nicht beachtet hatte.
Auch habe die seinerzeit von Bender dem städtischen Ordnungsamt übermittelte Liste von Objekten mit verfassungsfeindlichen Symbolen etc. das gesamte Stadtgebiet betroffen, ohne konkret zu werden. Das anschließende Zitat aus Benders Fax belegt jedoch das Gegenteil. Denn er war sehr präzise in der Beschreibung der Lokalitäten.
Dann wird behauptet, Ralf Bender habe bei seiner Aktion wahllos Farbe versprüht, statt sich auf die Unkenntlichmachung der verfassungsfeindlichen Aufkleber zu beschränken. Fotos hingegen belegen etwas anderes.
Obwohl es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, hat der Magistrat nach eigenem Bekunden die Polizeibehörde in Limburg um Auskunft angefragt, ob der Einbau von Sicherungsmaßnahmen im Haus von Ralf und Reiner Bender tatsächlich auf Empfehlung der Polizei erfolgt sei. Dieses wurde angeblich bestritten, was aber im Widerspruch steht zu den Angaben der Brüder Bender, die dafür Beweise vorlegen können.
Auch die sonstige Bedrohungssituation würde von diesen übertrieben dargestellt. Hierbei bezieht sich das Magistratspapier auf angebliche Äußerungen des zuständigen 10. Kriminalkommissariats in Limburg. Insbesondere gäbe es keine Mordandrohungen bzw. Ankündigungen künftiger Gewalttaten gegenüber Ralf und Reiner Bender. Zwar fungiert der Bürgermeister qua Amtes als örtliche Ordnungsbehörde, ein Informationsaustausch über laufende Ermittlungsverfahren zählt jedoch nicht zu den Querschnittsaufgaben. Inwieweit die rechtsradikalen Pamphlete als Mordandrohungen zu bewerten sind, lässt sich durch eine Analyse auf Basis der deutschen Syntax schnell feststellen - man muss aber des verstehenden Lesens kundig sein.
Auch die Hakenkreuz-Schmiererei auf Reiner Benders PKW, wenige Tage nach dem Urteil des Amtsgerichts Limburg begangen, wird in dem Umfang, wie er von Bender angezeigt wurde, in Frage gestellt. Als Quelle wird wiederum die örtliche Polizei genannt.
Breiten Raum nimmt eine Art Gegendarstellung ein, die sich mit dem Verhalten eines Mitarbeiters des städtischen Bauhofs gegenüber Reiner Bender beschäftigt. Der hatte am 18. Juni 2013 den Bediensteten darauf aufmerksam gemacht, dass auf einem Spielplatz, den er mit seinen sechsjährigen Schülern besuchte, Nazi-Symbole angebracht worden seien und darum gebeten, diese umgehend zu entfernen. Daraufhin hatte dieser Mitarbeiter nach der Darstellung Benders ihn selbst und seinen Bruder Ralf im Beisein der Schüler als „linke Schweine“ diffamiert.
Keine Antworten finden sich in dem Papier auf Fragen, die PRO LESEN, aber mittlerweile auch andere, öffentlich gestellt haben:
• Warum wurde gegen die Verursacher der Nazi-Schmierereien keine Strafanzeige gestellt? Eine Unterlassung, die völlig im Gegensatz steht zu dem Begehren, von Ralf Bender Schadensersatz zu verlangen und diesen später auch gerichtlich einzuklagen. Inoffiziell ist zu hören, dass man bis ins Jahr 2013 grundsätzlich davon abgesehen habe, verfassungsfeindliche Plakatierungen etc. wegen mangelnder Erfolgsaussicht zu verfolgen. Eine solche Praxis hätte z.B. gegen § 86a des Strafgesetzbuchs verstoßen und würde gleichzeitig den Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) Unfähigkeit unterstellen.
• Auch die undurchsichtige Berechnung der Kosten (Arbeits- und Materialkosten als Durchschnittswert eines Aufwands, der bei der Reinigung von 36 Objekten angefallen war) bleibt weiterhin im Dunkeln.
• Unklar bleibt auch, warum man sich bei der Beseitigung der Nazi-Symbole im April 2013 so viel Zeit gelassen hat. Ähnliches geschah im Januar 2014, als in unmittelbarer Nähe vor dem Jüdischen Friedhof vier Wochen ein Hakenkreuz prangte. Denn auch die Abwehr einer abstrakten verfassungsfeindlichen Aktion, die keiner Konkretisierung bedarf, muss unverzüglich erfolgen.
• Und schließlich vermisst PRO LESEN eine eindeutige Stellungnahme gegen Rechtsradikale und zugunsten der Bender-Brüder. Denn ohne eine solche würde sich das braune Milieu weiterhin bestärkt fühlen und mit Droh- und Hetzbriefen Unfrieden stiften.
Unbelehrbar
Der Stadtverordnete Dr. Stefan Schäfer, Mitglied der Limburger CDU-Fraktion, äußert sich jüngst auf FACEBOOK zu dem Thema. In seinem Beitrag unterstellt er Ralf und Reiner Bender u. a. psychische Probleme. Da hat er sich mutmaßlich einen gewissen Dr. Joseph Goebbels zum Vorbild genommen, der seinen Gegnern (Demokraten, Juden und andere „Nichtarier“) ebenfalls Geisteskrankheit unterstellte.
Kein Wunder, dass die Gemeinschaft der Unbelehrbaren, die sich auf FACEBOOK zu Wort meldet, bereits rüpelhaft von „Spastis“ spricht, wenn sie die Bender-Brüder meint. Hier der Text:
»VERTRAULICHE POST
haben die Stadtverordneten vom Magistrat bekommen. Es geht mal wieder um die beiden Brüder, die einen vierstelligen Schaden für die Steuerzahler verursacht haben und in zwei Instanzen dazu verurteilt wurden, diesen der Stadtkasse zu ersetzen. Wir erinnern uns: Die Brüder waren etwas übereifrig vorgegangen, als sie an Straßenlaternen angebrachte Aufkleber mit rechtsradikalem Inhalt nicht einfach entfernten, sondern großflächig übersprühten, obwohl die Stadtverwaltung bereits (dankenswerterweise von den Brüdern selbst) informiert und mit der Entfernung der Aufkleber beschäftigt war.
Die den Stadtverordneten nun zugestellten Unterlagen werden mit großer Wahrscheinlichkeit in vollem Umfang bestätigen, was schon lange bekannt ist (insofern bieten die vertraulichen Unterlagen wohl absolut nichts Neues):
1) Die Aussagen der Stadt zum Gang des Geschehens sind richtig, diejenigen der Brüder sind falsch.
2) Die Stadt wollte sich (und damit den steuerzahlenden Bürgern) nur den entstandenen Schaden ersetzen lassen, hat aber auf ein Bußgeldverfahren und eine Strafanzeige verzichtet.
3) Die Vorgehensweise der Stadt war in jedem Stadium des Verfahrens sachlich und fair, die der Brüder sehr oft diffamierend und beleidigend.
4) Wer das Verfahren von Anbeginn an verfolgt hat, wird folgenden Eindruck nicht los: Den Brüdern fällt es offenbar schwer, bei ihrem lobenswerten Einsatz gegen rechtsradikale Propaganda (linksradikale Umtriebe sind ihnen interessanterweise egal) die Konsequenzen ihrer Taten und Worte einzuschätzen und das richtige Maß zu treffen.
Möglicherweise hätten sich schon in einem frühen Stadium nicht (nur) Juristen und Politiker, sondern (auch) Psychologen der Sache und vor allem der beiden Protagonisten annehmen sollen.«
Was Dr. Schäfer und andere nicht wahrhaben wollen, sind die Beweggründe von Ralf und Reiner Bender. Denn die empören sich über einen immer wieder aufglimmenden Naziwahn, der das Ziel hat, die demokratischen Verhältnisse zu zerstören, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, sie in mehr- und minderwertige Gruppen einzuteilen und letztgenannte zu stigmatisieren, zu diskriminieren, sie ihrer Würde zu berauben und sie letztlich der Vernichtung preiszugeben. Und sie erinnern daran, dass der Nazismus zur bislang größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit geführt hat. Wer das Hakenkreuz und ähnliche Symbole verharmlost, begibt sich in die Nachfolge von Mördern, die den Tod von sechs Millionen Juden und insgesamt 50 Millionen Kriegstoten zu verantworten haben. Fortsetzung folgt
Foto: Das so schöne daliegende Städtchen Limburg, das gerade einen braunen Ton erhält (c) wikipedia.de