Über Martin Schulz, Donald Trump, Martin Luther King und Bertolt Brecht
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Liebe Leute, damit wir uns richtig verstehen: Ich werfe Martin Schulz nicht vor, dass er sich um die kleinen Leute kümmern will, um die Familien, um die Zurückgebliebenen; daran hat es ja bei der SPD seit Gerhard Schröder gemangelt.
Der kam zwar aus einfachen Verhältnissen, mutierte aber ganz schnell zu einem Liebediener der Reichen und sonnte sich am Ende gar darin, als "Genosse der Bosse" bezeichnet zu werden. Den schlechten Ruf, den sich die SPD damit eingehandelt hat, wird sie so schnell nicht loswerden, wobei ich das kurze Gedächtnis der Menschen, dieses Mistbeet, auf dem politischer Unrat so prächtig gedeiht, nicht außer Acht lasse.
Die SPD trete an, "um dieses Land zu führen", verkündete Martin Schulz. Das Foto, das die Süddeutsche Zeitung dazu am 26. Januar auf der ersten Seite veröffentlicht hat, vermittelt den Eindruck, als wäre das Ganze für ihn und seine Mitstreiter eine einzige Gaudi. Was Neil Postman dem Fernsehen vorgehalten hat, nämlich dass es "jedes Thema als Unterhaltung präsentiert", das trifft inzwischen auf Politiker jeglicher Couleur zu. Sie wollen Aufmerksamkeit erwecken, wollen die Menschen amüsieren und bei Laune halten. So lassen sie sich am besten regieren. Das wussten schon die alten Römer mit ihrem panem et
circenses. Bis hin zu Bert Brecht hat sich daran nichts geändert. "Theater muss Spaß machen", war seine Devise, und er hatte ja Recht damit. Moralinsaures abgedriftetes Gequatsche wollen die Zuschauer im Theater nicht hören, daran haben nur die gelangweilten Kritiker ihren Spaß, weil sie dann etwas zu schreiben haben.
Donald Trump hat das anscheinend instinktiv kapiert. Allein wie er sich frisiert und kleidet lässt darauf schließen, dass er provozieren und auf Teufel komm raus Aufsehen erregen will. Seine abfälligen Äußerungen über Frauen gehören ebenso dazu. Die meisten sehen ihm das nach, so wie sie Berlusconi sein "Bunga Bunga" nachgesehen haben. Manche Männer wären ja gern selber so potent wie die beiden sich aufspielen. Trump hat noch etwas anderes kapiert: Um jemanden für sich zu gewinnen, führt der kürzeste Weg in der Regel nicht über den Kopf und den Verstand, sondern über den Bauch. Ich wünschte, die Linken kapierten das endlich auch. Die Gefahr, in seichte Gewässer zu geraten, darf man dabei jedoch nicht aus den Augen verlieren.
Konrad Adenauer, der alte Fuchs, wusste das. Seine Devise lautete: Man muss die Menschen nehmen wie sie sind, es gibt keine anderen. Karl Marx hat sich anders ausgedrückt: Das Wesen eines Menschen sei "das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse". Wie war es möglich, dass ein offensichtlich schlicht gestrickter Milliardär wie Donald Trump ausgerechnet bei so vielen ärmeren Menschen ein offenes Ohr gefunden hat, er, der doch einem ganz anderen Milieu entspringt? Er hat den Träumen dieser Menschen Flügel verliehen. "Wir werden unsere Träume zurückbringen", versprach er in seiner Antrittsrede. Mit dem "wir" vermittelte er den "Vergessenen" das Gefühl, einer der ihren zu sein. "Wir müssen groß denken und noch größer träumen." Und er setzte noch einen drauf: "Ihr sollt niemals wieder ignoriert werden. Eure Stimmen, eure Hoffnung, eure Träume machen Amerikas Schicksal aus."
Kein Grund, abfällig die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Das ist dieselbe Sprache, die Martin Luther King 1963 beim Marsch auf Washington gesprochen hat, als er vor 250 000 Menschen dazu aufrief, sich "aus dem dunklen und trostlosen Tal der Rassentrennung zum sonnenbestrahlten Pfad der Rassengerechtigkeit zu erheben. Es ist ein Traum, der seine Wurzel tief im amerikanischen Traum hat, dass alle Menschen gleich geschaffen sind." Nicht weniger als acht Mal wiederholte er das legendäre "I have a dream". Müßig zu erwähnen, dass Martin Luther King andere Motive bewegten. Donald Trump verabschiedet sich mit seiner bildhaften Sprache nicht von der Gesellschaftsschicht der Superreichen, die bisher die Geschicke Amerikas bestimmt hat und sie auch weiterhin bestimmen wird. Aber wahrscheinlich spürt er, dass die Zeit gekommen ist, sich um des Selbsterhalts willen diejenigen zu Freunden zu machen, die seine natürlichen Gegner sind und bleiben werden.
Vielleicht spürt auch Martin Schulz, dass wir an einer Zeitenwende stehen. Wenn er es ernst meint mit dem Satz "Die SPD tritt an, um dieses Land zu regieren", wird er sich Verbündete suchen müssen. Ohne sie bleibt sein Versprechen, für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen zu wollen, Schall und Rauch. Ich wünschte, er fände sie.
Anmerkung
Wir heutigen glauben gerne, daß sich die Römer ihrer panem et circenses als Ablenkung fürs Volk selbst schon bewußt gewesen wären. Wie meist, wenn es gilt, gesellschaftliche Verhältnisse zu decouvrieren, war es ein Wortgewaltiger, dem dies sprachlich gelang.Der römische Dichter JUVENAL kam in seinen SATIRIEN auf "Brot und Zirkusspiele" im Zusammenhang mit dem Prinzipat, durch das Kaiser Augustus die Wahlvorgänge zum Magistrat nur noch zur Formsache machte und sein Nachfolger Tiberius sie ganz aussetzte. Bestechung des Volkes und Einwickelung seiner Ansprüche durch BROT UND SPIELE. Die Redaktion
Foto: (c) accomonview.com