U-Haft für Deniz Yücel in der Türkei


Thomas Adamczak

Wiesbaden (Weltexpresso) -  Deniz Yücel, Journalist der Zeitung »Die Welt«, davor langjährig bei der TAZ tätig, muss in Untersuchungshaft. Ein Istanbuler Haftrichter folgte am Montagabend dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Deniz Yücel wird »Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung« vorgeworfen.

Deniz Yücel war Schüler der Schule, an der ich langjährig tätig war. Wir kamen über einen Leserbrief  in näheren Kontakt. Ich hatte mich über eine Formulierung in einem Artikel von ihm geärgert. Der Leserbrief wurde nicht veröffentlicht, aber Deniz Yücel hatte mir prompt persönlich geantwortet und mich kurz darauf zu einer Aufführung von „Hate Poetry“ nach Frankfurt eingeladen.

Die Idee von Hate Poetry: Deutsche Journalisten mit Migrationshintergrund oder, vielleicht besser, von Eltern, die in anderen Ländern als Deutschland geboren wurden, tragen in einer Art Wettbewerb an sie gerichtete Leserbriefe vor, die voller Hass und Fremdenfeindlichkeit sind. Die Berliner Autorin Ebru Tasemir gab die Anregung, beim Vortrag dieser fassungslos machenden rassistischen Ergüsse mit befreiendem Lachen zu reagieren, statt betroffen zu schweigen. Es geht darum, wie einer der Journalisten sagte, »mit diesem Dreck nicht länger allein sein zu wollen«.

Der Verfasser dieser Zeilen war am  10.11.2013 bei dieser Veranstaltung von „Hate Poetry“ und hat dem Journalisten Deniz Yücel daraufhin folgenden persönlichen Brief geschrieben, der deshalb hier erscheinen soll, weil er die Absurdität des Vorwurfs, Deniz Yücel wiegele die Bevölkerung auf, offenbart. Diesem Journalisten geht es um Aufklärung, er antwortet mit Lachen auf Äußerungen des Hasses.

                                                                                                                      

„Lieber Deniz Yücel (c wie dsch  ausgesprochen!), aber lieber eigentlich nur : Lieber Deniz!

Ach du liebe Güte, wie fang ich an?
Was ist am Wichtigsten?
Es ist so vieles wichtig.

Zunächst vielen herzlichen Dank, dass du mich zu „Hate poetry“ ins Türk Halkevi in  Frankfurt eingeladen hast.
Ich bin sehr gern gekommen, und meine Frau wollte auch unbedingt mit, so dass wir zu zweit da waren und dann zufällig am Tisch deiner Eltern saßen, wie sich erst später herausstellte. Deine Schwester hatte uns übrigens, als wie angestiefelt kamen, den Weg zum Veranstaltungsraum gewiesen.
Was’n Glück, dass wir da waren und eure „Show“ erleben konnten.
Ich habe  erst im Nachhinein einigermaßen die „Inszenierung“ verstanden.
Ihr kommt rein, zu türkischer Musik, tanzend, tänzelnd, voller Freude, Ausgelassenheit, gute Stimmung verbreitend. Motto: Seht her, wie gut es uns geht, wir sind bester Laune, lasst euch anstecken, das wird ein lustiger Abend.
Und dann wird das Publikum mit Geschenken/ allerlei Mitbringseln überhäuft: orientalische Gastfreundschaft, Freigiebigkeit, Großzügigkeit. Wir geben euch, was wir haben, wir teilen mit euch, ihr seid willkommen. Danke, dass ihr gekommen seid.

Na, denke ich, wie passt das denn zu dem, was uns erwartet: „Hate Poetry“?
Ihr trinkt, trinkt Raki, trinkt Alkohol. Bei der Lesung?
Ist es sonst nicht auszuhalten, habe ich mir gedacht?

Und dann die „Leserbriefe“, diese Schmähungen, Hassausbrüche, chauvinistischen, faschistoiden Wutanfälle.
Und dazu euer Lachen, und das Publikum lacht mit. Viele, nicht alle lachen.
Mir ist überhaupt nicht zum Lachen zumute.
Das Gefühl der Scham. Ich schäme mich tatsächlich für dieses Land, in dem das möglich ist.
Und dann der Kopf: Natürlich ist das möglich. Was denkst du denn! Denk doch zurück bis zur Zeit des Faschismus.  Denk daran, was Ciompi schreibt: „Gefühle machen Geschichte. Die Wirkung kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama“.
Na klar ist er da, der Hass, und wir hören hier nur etwas von der Spitze des Eisbergs. Gut, will mich bremsen mit bei meinen hilfosen  Erklärungsversuchen.

Diesem Hass in den Leserbriefen an euch unvorbereitet ausgesetzt zu sein, und eure gespielte vergnügte Reaktion darauf zu erleben, das hat mich ganz schön erwischt, bis mir  Tränen in die Augen kamen.

Denn da ist ja auch noch meine Freude, eigentlich ein unberechtigter Stolz  auf euch, dich und Doris auf der Bühnen zu sehen. Beide von der GHS (Gustav-Heinemann-Schule Rüsselsheim). Ehemalige Schüler an der Schule, an der ich ja 30 Jahre Lehrer war. Berechtigt ist er doch, mein Stolz, flüstere ich mir zu, auch wenn ich an eurem Erfolg als Journalisten keinen Anteil  habe.

So viel zu der Unterschiedlichkeit meiner Gefühle an diesem Abend.
Sehrsehr gut, dass Yasin Musharbash  am Ende der Veranstaltung einiges zu eurer Intention gesagt hat. Dass ihr euch weigert, euch verletzen zu lassen, dass ihr euer Publikum zu animieren versucht, mit Lachen auf diese versuchten Verletzungen und Beleidigungen zu reagieren und damit die Beleidiger zu verlachen.
Lachen als Waffe. Weigerung, in die Hassfalle zu tappen. Wut nicht mit Wut zu begegnen, sondern diesen aggressiven Scheiß wegzulachen, um den Kopf frei zu haben für’s Denken, für’s Schreiben, für konstruktive, kreative Reaktionen.

Wie Recht ihr habt! Und so, wie ihr die „Show“ macht, macht ihr sie genau richtig.
Und ich wünschte mir, das ganze Land könnte sie sehen, und die SchülerInnen der GHS und die LehrerInnen an unserer alten Schule. Am besten ein Mal im Jahr oder immer dann, wenn mal wegen zunehmender Aggressivität die Worte fehlen.

Lieber Deniz, noch mal vielen Dank für die Einladung.
Von deiner Mutter habe ich  erfahren, dass du zurzeit in Istanbul bist und an einem Buch schreibst, und du hast das ja hinterher noch auf die Schnelle bestätigt.
Bin natürlich sehr gespannt, was es für ein Buch werden wird.
Könnte mir vorstellen, dass du die jüngsten Ereignisse in Istanbul  und  im gesamten Land (dem Geburtsland deiner Eltern) mal genauer betrachten willst. Das wäre natürlich ein lohnendes „weites Feld“, um mit Fontane zu sprechen. Aber vielleicht ist es ja auch was ganz anderes. Werde es schon irgendwann mal erfahren.

Dir wünsche ich viel  Erfolg für das Buch, gute Nerven bei der künftigen journalistischen Arbeit und dass die Unverletzbarkeit, die ihr demonstriert, Bestand haben möge.
Ich erschrecke  bei diesem letzten Wunsch, weil ich gar nicht weiß, ob das menschenmöglich ist, sich einen solchen undurchlässigen Panzer zuzulegen, ohne selber innerlich zu verhärten.

Herzlichste Grüßegrüße
Thomas Adamczak“

 

Foto: (c) Die Welt





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