Asylbewerber Adnan G. wurde getäuscht, um die schon erfolgte Abschiebung von Frau und vier Kindern komplett zu machen

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie eigentlich finden gottesfürchtige Dörfler der Wetterau die Abschiebung eines Traumatisierten, dessen Schicksal die Gesellschaft der Wahrer der Menschenrechte seit Anfang April umtreibt?

Der Fall des Adnan G. bestätigt einmal wieder, wie leichtfertig Menschen nicht als Individuen zählen, sondern als Ausgaben einer Masse, in der die einzelne Existenz untergeht, beliebig wird, obwohl doch die Gottesebenbildlichkeit formal weiter gilt.

 

Abgeschoben ins zerrüttete und gefährliche Niemandsland

Der Rom Adnan G. lebt jetzt mit seiner Frau und vier Kindern in einem baufälligen Zimmer von 12 Quadratmetern Größe in Pristina. Dorthin hat ihn das Landratsamt Wetterau verbannen lassen. In dem kalten Haus gibt es nicht mal Betten und schon gar keine Heizung. Das Haus ist schäbig. Die Traumatisierung geht weiter.

Die serbische Polizei hatte ihn im März und April 1999 – er war erst 14 Jahre alt – gezwungen, die Leichen toter Albaner aufzusammeln und auf einen Lastwagen zu werfen. Insgesamt waren es um die 160 Leichen, Männer, Frauen und Kinder, denen dies geschah. Andere Roma-Männer, die mithalfen, sind verschwunden. Die sogenannte Befreiungsarmee UÇK warf ihm Kollaboration mit Serben vor, drohte, ihn umzubringen. Der Rom war als Vertreter einer verfolgten, verachteten Minderheit vom Anschlag auf Leib und Leben bedroht. Roma sind eine auf dem Balkan diskriminierte und deklassierte Minderheit. Viele sehen nur den Ausweg Flucht.

Der Abgrund schlechthin: während Adnan in der Psychiatrie war, wurde seine Familie, seine Frau und die vier Kinder, schon im Januar abgeschoben. Er ist von seinen Erlebnissen aus dem Balkankrieg schwer traumatisiert, leidet unter dem Krankheitsbild Bipolare Störung, die ihn nicht schlafen lässt.

Das Niedrige und Gemeine, das sich in der holden christlichen Wetterau zutrug, war, dass er, der noch in klinischer Behandlung war, unter Vorspiegelung des falschen Versprechens - ‚er werde gleich Taschengeld bekommen‘ - plötzlich im Amt von zwei Polizisten verhaftet (‚sie sind verhaftet‘) und die Sozialarbeiterin, die ihn begleitet hatte, aus dem Amt geworfen wurde. Damit wurde das alte Trauma kraft deutscher Bürokratie – wobei Bürokratie ein Problemtitel ist – wieder frisch. Der Amtsarzt, der die ärztliche Legitimation lieferte, war stolz dem Willen seiner Chefs entsprochen zu haben, brüstete sich mit dem Satz: „Und ich bekomme viel Geld dafür“.

Die vier Kinder sind für ihre jungen Jahre nun ebenso schwer traumatisiert, weil sie aus dem Kindergarten (‚Dafina‘, drei Jahre alt) und der Schule (‚Leonora‘, neunjährig; spricht fließend Deutsch), aus ihren Einrichtungen, sie so gerne besuchten, herausgerissen wurden. Jetzt ist Schluss mit Schule, zunächst weil auch Leonora des Albanischen gar nicht mächtig ist und sie in einer Umgebung lebt, die ihr nicht wohlgesonnen, sondern feind ist - nicht bereit ist, Sorge für sie zu tragen.

 

Von Verfolgung betroffene Kinder gehören nach Deutschland

Unabhängig von formalem Recht und Gesetz: es ist geradezu ein Irrsinn, vier junge Menschen, die sich und ihren Mitmenschen ein Potential, ein Versprechen, eine Zukunft sind - die etwas aus sich machen können, wenn man ihnen nur Förderung erteilt - in eine politisch und moralisch niedergegangene Gegend des südöstlichen Europas auszuquartieren. Das ist eine Verschleuderung von Menschheitsvermögen.

Familien, die aus Bürgerkriegszonen zu uns verschlagen werden, müssen allein der Kinder wegen bei uns bleiben können. Wenn die übrige Familie, Frau und Kinder, noch im überforderten Griechenland oder im gefahrvollen Heimatland harren, gebietet es die christliche Menschenpflicht, sie umgehend nachzuholen, aus humanitären Gründen und weil sie ein Gewinn für alle sind. Gestrandete Kinder sind fürs Gymnasium ebenso gut geeignet wie einheimische Kinder – wenn nicht mehr, denn sie wissen eher noch etwas zu schätzen und zu ehren.

Die Gesellschaft der Satten und Geborgenen drückt sich vor den Problemen der Weltgesellschaft, die sie doch erreichen wird. Drücken gilt nicht! Aus Kindern lässt sich am wenigsten schwer etwas machen, sie sind offen, flexibel und bildsam, je jünger desto ausgeprägter. Besonders die Mädchen lernen wie im Flug die deutsche Sprache. Eltern sind Begleitpersonen, die in den Lernprozess integriert gehören. Wir brauchen Kinder als Weltbürger für künftige Aufgaben. Die Welt ist nur die eine (im Sinne von ‚urbi et orbi‘), in der Zusammengehörigkeit einer geschaffenen Gattung.

Wer in Griechenland im abgelegenen Dorf Halt macht, wird sofort eingeladen – so gut wie unmöglich in deutschen Landen! Der Deutsche ist vorrangig misstrauisch und abweisend, tendenziell arm an Seele und Gemüt. Deutschländerinnen sind weniger so, weswegen sie auch ohne lang zu zögern sich an die Erteilung der Deutschkurse und die Begleitung der Geflüchteten heranwagen.

 

Schlimm gelaufen

Dem Direktor am Universitätsklinikum Gießen, Bernd Gallhofer, war Adnan G. wegen seiner schweren depressiven Episoden längst bekannt. Adnan galt als Mensch `der nicht zur Ruhe kommen‘ kann. Das gehört zum Bild der Posttraumatischen Belastungsstörung, an der der vierfache Vater leidet. Das ist ein ärztlicher Befund, der in der christlichen Provinz teilweise noch nicht zum Erfahrungsschatz gehört.

Bernd Gallhofer hatte Adnan behandelt und ihn – abweichend vom Amtsarzt - für reiseunfähig erklärt. Weil Gallhofer die Abschiebung sowie die Umstände der überfallartigen ‚Verbringung‘ öffentlich verurteilt hatte, parierte der SPD-Landrat Joachim Arnold mit einer Klage zurück, was Entsetzen unter Parteifreunden der SPD hervorrief. Mit einer Betrugsklage will man Gallhofer zur Strecke bringen, wiewohl es die Uniklinik war, die die Rechnung für erbrachte Leistungen gestellt hatte.

Adnan warf man vor, er sei einer Vorladung zur Prüfung seines Zustands nicht nachgekommen. Dazu sei ein schwer traumatisierter Mensch aber gar nicht allein in der Lage, urteilt Bernd Gallhofer. Er benötigt Begleitung. Ein rücksichtloser Umgang führt zur sofortigen Widerkehr der traumatischen Erlebnisse. Für das Landratsamt ist aber Adnan G. nur ‚der Ausländer‘ (gemäß Gesetzestext). Die Sozialarbeiterin der Klinik, die Adnan ins Landratsamt begleitete, wurde aus dem Amt geworfen, ein unerhörter Vorgang. Was ist los  im Land der Wetterau, wo Kirchgang und christliche Sozialisierung noch so tief verwurzelt sind? Ist das christliche Gemüt abgestumpft?

 

Foto: Roma-Kosovo (c) proasyl.de