Ministerpräsident Volker Bouffier zum Verfassungsreferendum in der Türkei "...– Gesprächsfaden nicht abreißen lassen“ 

Hubertus von Bramnitz

Wiesbaden/Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gibt ziemlich viele Gründe, warum einem die Abstimmung über das Verfassungsreferendum in der Türkei schwer zu schaffen macht. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Probleme oder um formale, von denen sowieso einige zusammenfallen. Wir sind nicht in der Türkei, sitzen in keinem Wahllokal, können nur glauben, was kritische Stimmen berichten. Das ist zu wenig. Was wir allerdings beurteilen können, ist die Aussage - wenn sie stimmt  -,  daß Zweidrittel der Auslandstürken, mit und ohne deutschen Paß, für Erdogan, für das JA zum erdoganschen Präsidialsystem gestimmt haben.

Das ist ungeheuerlich. Zweidrittel derer, die hier in gesicherten demokratischen Verhältnissen leben, wollen, daß in der Türkei die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt wird, die hier zur Grundlage unserer Gesellschaft gehört, diese konstituiert. Gewaltenteilung heißt eben, daß einer nicht alles bestimmen kann. Denen, die dann blauäugig erwidern, daß doch auch die USA ein präsidiales System hätten, kann man leicht erwidern, daß dieses aber die Gewaltenteilung im Gegensatz zu den türkischen Vorsätzen, bestehen läßt. Bestes Beispiel ist dieser neuer Präsident der Vereinigten Staaten, der sein Wahlkampfversprechen  "Ausländer raus", "Islamgläubige raus", durch den Einreisestop für spezielle sieben musilimische Ländern umsetzte. Umgehend wurde dies durch ein Gericht untersucht und ein Richter kam zum Schluß, daß für diese Bestimmung keine gesetzliche Grundlage vorhanden wäre und kassierte diese Praxis.

Wäre das in Türkei geschehen, nachdem die neuen Bestimmungen durch das JA sankioniert sind, dann hätte kein Gericht die Rechtmäßigkeit der Präsidentenerlasse angezweifelt, denn die Gewaltenteilung in Form der rechtlichen Überprüfung der Exekutive durch die Justiz ist in der Türkei nicht vorgesehen, abgesehen davon, daß schon heute dort die Justiz politisch besetzt wird. In den USA zumindest im Wechsel der beiden großen Parteien, so daß nie eine Partei überall herrscht. In der Türkei hätte also ein ebensolcher Einreisestop auch gegen geltendes Recht trotzdem Bestand gehabt. Wir werden das sehr bald an Beispielen erleben. Denn Erdogan hat das Ganze ja nicht angestrengt, um im Wahlkampf deftig draufzuhauen, sondern, weil er mit der Alleinmacht etwas anfangen will, anfangen wird.

Wir möchten denen, die im sicheren Deutschland lebend, für ein JA für die Verfassungsänderung stimmten, wirklich empfehlen, die Folgen ihrer Abstimmung in der Türkei selbst mitzuerleben. Warum lebt jemand in Deutschland, wenn er doch in der Türkei mit Erdogan glücklich werden kann? Auf jeden Fall stimmen wir ausdrücklich nicht für den Dialog, den nun alle auf der Zunge tragen. Geredet wird dauernd. Ein echter Dialog ist nicht möglich. Alles, was in den letzten Monaten aus der Türkei kam, war Säbelrasseln etc. Nein, es ist etwas grundfaul im Staate. Und es geht auch nicht, daß Europa ständig Geld in die Türkei transferiert, damit dort Flüchtlinge, die nach Europa wollen, kaserniert werden. Erdogan ist ein Nutznießer der komplexen Situation in Vorderasien und Nordafrika und spielt sich damit auch noch zum Retter Europas auf.

Ganz abgesehen davon, daß sofort die gefangengehaltenen Journalisten entlassen werden müssen aus der Haft. Kein anderer Staat sperrt so viele ein. Das sind Zeichen, die die JASAGER nicht sehen oder sogar akzeptieren, also richtig finden. Bei weiteren Einbürgerungen von Türkischstämmigen sollten die Fragen nach dem erdoganschen Präsidialsystem nicht fehlen. Uns scheint auch, als ob die Praxis von doppelten Staatsbürgerschaften, doppelten Pässen, an ihre Grenzen gestoßen ist.  Zurück zu Hessen.


Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier auf jeden Fall macht öffentlich, daß er bedauert, dass sich beim Verfassungsreferendum in der Türkei offensichtlich die Befürworter des Präsidialsystems durchgesetzt haben. „Nach allem was wir aktuell wissen, ist der Volksentscheid über das Verfassungsreferendum äußerst knapp verlaufen. Das offizielle Ergebnis und die Berichte der neutralen OSZE-Wahlbeobachter liegen indes noch nicht vor. Sollte es allerdings bei der Zustimmung zum Referendum bleiben, erfüllt mich die Entwicklung in der Türkei mit großer Sorge. Ich habe mir ein anderes Ergebnis gewünscht: ein klares Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie. Ich hoffe, dass sich das Land mit der Einführung der Präsidialherrschaft nicht auf den Weg in eine Diktatur begibt. In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir einen beklemmenden Wandel der Worte, der Werte und der politischen Kultur beobachtet, den wir nicht gutheißen“, sagte der Regierungschef.

Das Ergebnis zeige auch, dass die Türkei tief gespalten sei, weil nahezu die Hälfte der Wahlberechtigten sich gegen die Einführung der Präsidialdiktatur entschieden habe. Auch um deren Willen sei es wichtig, den Dialog und den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.

Bouffier betonte weiter, dass unter diesen Bedingungen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union nicht in Frage komme. „Besonders die von Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigte Wiedereinführung der Todesstrafe ist mit den Werten der EU unvereinbar.“

Der Hessische Ministerpräsident zeigte sich zudem besorgt über die Abstimmungsergebnisse der Türken in Deutschland. „Ich finde es befremdlich, dass die vielen freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie die Verhaftung von Abgeordneten und Journalisten, so auch die Inhaftierung des aus Flörsheim stammenden Deniz Yücel, bei vielen hier lebenden türkischstämmigen Mitbürgern offensichtlich keine Rolle gespielt haben. Sie genießen alle demokratischen-parlamentarischen Rechte unseres Staates, schränken diese mit ihrem Wahlverhalten aber gleichzeitig in der Türkei ein. Umso mehr gilt es, sich nun noch mehr um unsere türkischstämmigen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu kümmern, um sie von den freiheitlichen Werten einer parlamentarischen Demokratie zu überzeugen“, sagte Ministerpräsident Bouffier. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich mit dem Hessischen Ministerpräsidenten je so stark einer Meinung war. Man lernt nie aus.

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