Die Stadt ist meine Heimat geworden
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Engagiert berichtet die Sechsunddreißigjährige von ihrer Kita-Arbeit in der Corona-Zeit: „Es war einmal ein Virus, das überall hinkam...“ Zum Corona-Erreger erzählte sie den Kids erfundene Geschichten, die dazu Bilder malten, aus denen ein Buch entstand. Um die nötigen Hygienemaßnahmen zu verdeutlichen, sollten sich sie die Kinder ihre Hände mit Glitzerstaub einreiben. „Jedes Glitzerkörnchen wäre mal ein Virus gewesen“ - und die Kleinen wuschen sich solange, bis kein Gran mehr zu sehen war. Gemeinsam wurde auch lustige Seife hergestellt, die ja in diesen Zeiten so wichtig ist. Über die Kinder erreichte sie ausländische Eltern, die sie mit verschiedensprachigen Infobroschüren über Corona versorgte.
Im Gespräch vor einiger Zeit betonte Soheila, wie wohl sie sich hier in Schlüchtern fühle: „Die Stadt ist meine Heimat geworden.“ Doch einige Wochen später überraschte sie mit der Mitteilung, dass sie uns nun verlässt, um zukünftig in einer Frankfurter Kita zu arbeiten und in der Main-Stadt zu wohnen. Zwei Jahre lang besuchte Soheila bisher die duale Erzieherinnenschule in Hünfeld und arbeitete gleichzeitig in der Schlüchterner Kita. Sie wurde lediglich als Praktikantin angestellt - mit entsprechend niedriger Bezahlung und ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. In dieser Zeit gelang es ihr nicht, den durch die Schule geforderten Arbeitsvertrag von der Stadt als „Erzieherin in Ausbildung“ zu bekommen. Diesen besser dotierten Kontrakt erhielten jedoch alle ihre Kommilitoninnen in anderen Gemeinden.
Nun verlässt uns also die engagierte und intelligente Mitbürgerin, die im nächsten Jahr Deutsche werden wird. Aus ihrem Heimatland musste sie seinerzeit fliehen, weil die mittelalterlichen Verhältnisse dort für sie als rebellische Frau lebensgefährlich wurden. Die Religionspolizei, zu der auch ihr Bruder gehört, bestimmt das ganze öffentliche Leben im Iran: „Gerade als Frau lebst du immer in großer Unsicherheit und Angst gegen die Vorschriften zu verstoßen.“ Die Verstöße werden nach islamischem „Recht“ mit Peitschenhieben, Misshandlungen und Folter geahndet. Eine ihrer Freundinnen verschwand vor Soheilas Flucht spurlos.
Die Migrantin studierte in Teheran Informatik, konnte aber in der patriarchalischen Berufswelt nur als Friseuse arbeiten. In Deutschland bekam sie schnell ihre Anerkennung als Verfolgte, alle ihre schulischen und beruflichen Abschlüsse wurden anerkannt und sie konnte ihr Studium hier fortsetzen. „Mit Mathe und Physik hatte ich natürlich keine Probleme“, meint sie selbstbewusst, „aber ich kam im Studium finanziell nicht zurecht!“ Deshalb begann sie die Erzieherinnenausbildung, auch weil die Arbeit mit Kindern ihr großen Spaß macht.
Ihr iranischer Freund Bardia (35) besuchte sie häufig in Schlüchtern und kam vor einiger Zeit als Migrant hierher, um in der Gastronomie bzw. als Informatiker zu arbeiten. Auch er lernte sehr schnell Deutsch und bekam die Anerkennung als Bachelor für Informatik: aber das ist eine andere Geschichte. Nun zieht er nach Frankfurt mit seiner „eingetragenen Lebenspartnerin“, wie Soheila entschieden aber lachend betont.
Eine Frage an Clas Röhl:
Der Deutsch-Schwede Clas Röhl (67) engagiert sich seit vielen Jahren im Altkreis Schlüchtern für geflüchtete Menschen. Er gibt, wie andere Ehrenamtliche in der Stadt, Deutschkurse, organisiert soziale Projekte und kümmert sich individuell um hilfsbedürftige Migranten. Er unterstützt uns mit Informationen aus seiner Arbeit und kommentiert die angesprochenen allgemeinen Probleme der asylsuchenden Menschen.
„Ist Soheilas Werdegang typisch?“
Ihr Werdegang nach der Flucht ist sehr beeindruckend: Sie musste immer früh aufstehen und weit fahren, hat intensiv Deutsch gelernt und war insgesamt sehr, sehr fleißig. In ihrer pädagogischen Arbeit ist sie stark engagiert. Was sie also bisher in einem wahrlich nicht einfachen Flüchtlingsumfeld geschafft hat, verdient Respekt. Und gut ist, dass einige lokale ehrenamtliche Helfer sie auf ihrem Weg begleitet haben. Aber machen wir uns nichts vor: Sie stellt eine Ausnahme dar! Denn die Mehrheit der Geflüchteten hat hinsichtlich Ausbildung, Arbeit und Akzeptanz nach wie vor noch einen langen Weg vor sich.
Foto:
(c) Hanswerner Kruse: "Was für eine Hitze", Soheila mit Kids in der Kita