WELT Corona-Update
Hamburg (Weltexpresso) - Viele Eilanträge zu Corona-Eingriffen sind abgelehnt worden, nun stehen Entscheidungen in wichtigen Hauptsacheverfahren an. Worin die Unterschiede liegen, das hat die Staatsrechtlerin Anna Leisner-Egensperger im Gespräch mit unserer Redakteurin Ricarda Breyton erklärt.
WELT: Frau Leisner-Egensperger, zu Beginn der Pandemie wurden ganze Schulklassen auf Verdacht in Quarantäne geschickt, sobald ein Schüler infiziert war. In einem bemerkenswerten Urteil hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese Praxis nun als rechtswidrig verurteilt. Warum?
Leisner-Egensperger: Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hätten die Gesundheitsämter die tatsächliche Gefahrenlage in jedem Einzelfall ermitteln müssen. Sie hätten nicht pauschal einen bloßen Gefahrverdacht genügen lassen dürfen, auch nicht unter Berufung auf die hohe Arbeitsbelastung der Gesundheitsverwaltung. Vielmehr hätten sie bei jeder einzelnen Quarantäneanordnung jeweils prüfen müssen, ob eine konkrete Gefahr gegeben war.
WELT: In den ersten zwei Jahren haben die Verwaltungsgerichte viele Corona-Maßnahmen „durchgewinkt“. Blicken die Richter inzwischen kritischer auf staatlich verordnete Einschränkungen?
Leisner-Egensperger: Dies lässt sich nicht allgemein annehmen. In dem Verfahren, das nun vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugunsten der Kläger entschieden wurde, war das Verwaltungsgericht Augsburg in der ersten Instanz des Hauptsacheverfahrens zur Entscheidung gelangt, dass die Klagen, mit denen im Nachhinein die Rechtswidrigkeit der Quarantäneanordnungen festgestellt werden sollten, unzulässig, jedenfalls aber unbegründet waren. Im Berufungsverfahren entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nun zugunsten der Kläger. In diesem konkreten Fall lässt sich die unterschiedliche Bewertung der Sach- und Rechtslage also nicht auf die Unterschiede zwischen Eilrechts- und Hauptsacheverfahren zurückführen.
In einer generellen Tendenz kann man allerdings feststellen, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren viele Anträge gegen Corona-Maßnahmen abgelehnt wurden. Zu Beginn der Pandemie wollten die Verwaltungsgerichte nicht den Eindruck eines rechtlichen Ausnahmezustands erwecken. Zudem war die Sorge da, der Politik durch eine Kassierung von Corona-Maßnahmen Handlungsspielräume in der Pandemiebekämpfung zu nehmen. In den Hauptsacheverfahren, die nun zum Teil anlaufen, können die Gerichte im Ergebnis zu Unterschieden in der rechtlichen Würdigung kommen.
WELT: Was ist der Unterschied zwischen „vorläufigen Rechtsschutzverfahren“ und „Hauptsacheverfahren“?
Leisner-Egensperger: Die Gerichte legen in beiden Verfahren unterschiedliche Maßstäbe bei der Prüfung von Sachverhalt und Rechtslage an. Im vorläufigen Rechtsschutz, in dem besonders eilige Anträge verhandelt werden, geht es nur um die Sicherung eines Rechts oder Zustands bis zum Abschluss eines Prozesses. Dabei findet nur eine summarische Prüfung der erkennbaren Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren statt. Im Hauptsacheverfahren wird dann endgültig über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit von Maßnahmen entschieden.
WELT: Erwarten Sie, dass die Gerichte in den Hauptsacheverfahren anders urteilen als in den Eilverfahren?
Leisner-Egensperger: Ich gehe davon aus, dass sich die Tendenz der einstweiligen Rechtsschutzverfahren im Wesentlichen bestätigen wird – wenn es denn überhaupt zu Hauptsacheverfahren kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat vor allem in seinen Beschlüssen zur Bundesnotbremse eine Richtung vorgegeben, an der sich die Verwaltungsgerichte orientieren. Karlsruhe hat dem Gesetzgeber einen großen Wertungs-, Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zugestanden. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei berücksichtigt, dass die staatlichen Organe auf einer dünnen, sich laufend ändernden Faktenbasis und vor allem unter großem Zeitdruck entscheiden mussten. Nur in manchen Bereichen hat Karlsruhe den politischen Spielraum eingeschränkt: Bei der Versammlungsfreiheit, bei der Religionsfreiheit und beim Recht auf schulische Bildung dürfen nur wenige Abstriche gemacht werden.
Das gesamte Interview in voller Länge finden Sie auf welt.de.
DER BLICK AUF DIE ANDEREN
Dänemark geht entspannt auf Herbst und Winter zu – zumindest in Sachen Corona-Politik. Denn anders als bei uns will die Regierung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen zur Zeit noch keine rechtlichen Möglichkeiten schaffen für Maßnahmen wie Maskenpflicht, Impfkampagnen oder mögliche Lockdowns. Die letzte große Corona-Pressekonferenz von Frederiksen und ihrem Gesundheitsminister Magnus Heunicke fand im Juni statt, vor mehr als zwei Monaten.
In Dänemark gelten schon seit Beginn des Jahres keine Corona-Beschränkungen mehr. Mit Blick auf den Herbst sieht die dänische Regierung Tests und die Überwachung des Abwassers als wichtige Werkzeuge. Aber nach der Devise: alles kann, nichts muss. „Sollte die Zahl der Ansteckungen im Herbst weiter steigen, können wir die Zahl der täglichen PCR-Tests schnell auf 200.000 hochschrauben“, hieß es in einer Mitteilung der Regierung. Schnelltests und auch PCR-Tests werden in Dänemark kostenlos angeboten. Weitere Schritte könne man dann immer noch entscheiden – je nach Bedarf.
Unsere Autorin Julia Wäschenbach lebt in Dänemark und hat dort kürzlich einen Spielplatz einer Kindertagesstätte aufgesucht. Alles wirkte auf sie, als „hätte es die Corona-Pandemie gar nicht gegeben", schreibt sie – Kinder spielen, kuscheln mit Erziehern, keiner spricht mehr von Corona. Denn viele der Corona-Maßnahmen, die bei uns noch eine Rolle spielen, seien in Dänemark – zum Beispiel bei Kitas – in „weite Ferne gerückt". Ihren Eindruck von der liberalen Corona-Politik schildert Wäschenbach hier.
Und ein Experte erklärt zudem, warum in Dänemark schon im Juli aufgehört wurde, Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren eine Erstimpfung anzubieten.
DER LICHTBLICK
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, im Foto) will das Corona-Medikament Paxlovid stärker in die Pandemiebekämpfung integrieren und die Verschreibung erleichtern. Daher dürfen Hausärzte das Mittel ab sofort in ihren Praxen lagern und direkt an Corona-Patienten abgeben, sagte Lauterbach dem „Spiegel“. Der bisherige Umweg über die Apotheken ist nicht mehr notwendig. Interessant dabei ist: Jedes Pflegeheim soll neben einem Impf- auch einen Paxlovid-Beauftragten ernennen, der sich um alles Organisatorische kümmern wird. Auch in den Heimen dürfe künftig ein Vorrat des Medikaments gelagert werden, damit es schnell eingesetzt werden könne, so Lauterbach.
An dieser Stelle noch eine besondere Empfehlung: Meine Kollegen Jacques Schuster und Kaja Klapsa haben den Bundesgesundheitsminister interviewt. Das Gespräch mit ihm erscheint schon morgen, in der Frühausgabe der WELT AM SONNTAG. Ich kann verraten: Es lohnt sich.
Foto:
©Quelle: Getty Images/Digital Vision Vectors/Alonzo Design; Peter Scheere/FSU; Montage: Infografik WELT
DER LICHTBLICK
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, im Foto) will das Corona-Medikament Paxlovid stärker in die Pandemiebekämpfung integrieren und die Verschreibung erleichtern. Daher dürfen Hausärzte das Mittel ab sofort in ihren Praxen lagern und direkt an Corona-Patienten abgeben, sagte Lauterbach dem „Spiegel“. Der bisherige Umweg über die Apotheken ist nicht mehr notwendig. Interessant dabei ist: Jedes Pflegeheim soll neben einem Impf- auch einen Paxlovid-Beauftragten ernennen, der sich um alles Organisatorische kümmern wird. Auch in den Heimen dürfe künftig ein Vorrat des Medikaments gelagert werden, damit es schnell eingesetzt werden könne, so Lauterbach.
An dieser Stelle noch eine besondere Empfehlung: Meine Kollegen Jacques Schuster und Kaja Klapsa haben den Bundesgesundheitsminister interviewt. Das Gespräch mit ihm erscheint schon morgen, in der Frühausgabe der WELT AM SONNTAG. Ich kann verraten: Es lohnt sich.
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©Quelle: Getty Images/Digital Vision Vectors/Alonzo Design; Peter Scheere/FSU; Montage: Infografik WELT