Hanswerner Kruse
Steinau/Straße (Weltexpresso) - „Fachkräftemangel? Keine Lust auf Altenpflege? Ich kann’s nicht mehr hören“, meint Einrichtungsleiterin Sandra Frenz-Poole (Foto links) und schüttelt den Kopf. „Wir bilden die Leute, die wir brauchen selbst aus und haben mehr Bewerber, als wir derzeit nehmen können.“
Denn für die Ausbildungen benötigt das Altenpflegeheim Doreafamilie noch mehr Fachkräfte, die eine zusätzliche Qualifikation als Praxisanleiter brauchen.
Die ehemalige Verkäuferin Heike Link erkannte 2018 bei der Schließung des Langer-Kaufhauses in Schlüchtern ihre Chance, mit fast 50 Jahren noch einmal etwas Neues zu beginnen (wir berichteten). Sie konnte überhaupt nur in diesem Heim in Steinau ihre Ausbildung als Altenpflegerin beginnen und abschließen, weil es qualifizierte Praxisanleitende gab. Einige regionale Einrichtungen bei denen sie sich bewarb, konnten sie nicht nehmen, weil dort diese pädagogische Unterstützung fehlte.
Eineinhalb Jahre nach ihrem erfolgreichen Examen als Altenpflegerin, besucht Link nun selbst berufsbegleitend eine halbjährige Zusatzausbildung als Praxisanleiterin und macht im Juli ihre Abschlussprüfung. Dabei wird sie im Heim von dem ausgebildeten Anleiter Dennis Präscher praktisch unterstützt. Grundsätzlich weiß sie ja viel über Altenpflege, aber bescheiden weist sie darauf hin, dass sie vor der Wissensvermittung oft noch mal nachdenken muss. Im Vordergrund steht die Frage, wie sie professionell und pädagogisch differenziert ihr Wissen an den Nachwuchs weitergeben kann.
Das neue Pflegegesetz von 2020 sieht eine generalisierte Ausbildung für die Kinder- und Altenpflege sowie die allgemeine Krankenpflege vor. Dadurch kommen auch Auszubildende aus den Main-Kinzig-Kliniken zeitweilig in die Altenpflege nach Steinau. Die sind häufig ebenso wie die Schulpraktikanten überrascht, dass die Atmosphäre im Heim so angenehm ist. Auch die Tochter einer Mitarbeiterin, die eigentlich gar nicht hierher wollte, aber „nichts besseres“ im Sozialbereich fand. Es riecht gut, mal nach Gebackenem, mal nach leckerem Essen. Die alten Leute sind meist freundlich, kommunikativ und neugierig. Jetzt nach der Corona-Pandemie stehen die Türen wieder weit offen. Es gibt Kontakte nach draußen, etwa mit einer Kindertagesstätte. Oder das Personal brachte für einen Bazar Gebäck und traditionelle Speisen aus anderen Ländern mit, der Erlös kam den Opfern des türkischen Erdbebens zugute.
Die Atmosphäre im Heim motiviert, aber die Motivation muss bei den Auszubildenden oder Praktikanten auch erhalten bleiben. Dazu gehört herauszufinden, wie die Neuen lernen. Link fragt deshalb zu Beginn nach den Hobbys und privaten Interessen um zu erkennen, ist die betreffende Person ein Teamplayer, also privat vielleicht ein Fußballspieler. Oder ist sie eher ein Crossfahrer, der möglicherweise gut alleine seine Ziele erreichen will und kann.
Ein wichtiges Fachthema ist die Prophylaxe. Hier steht an erster Stelle die Vorbeugung von Stürzen, so Link: „Die Schüler müssen vorausschauend denken, um Stürze bei den zu Pflegenden zu vermeiden, sie sollten Gefahrenquellen erkennen und die Bewohner beraten. Beispielsweise müssen sie bei der Bewegung und Mobilität Unterstützung leisten und dazu den sicheren Umgang mit Hilfsmittel trainieren.“
Grundsätzlich gilt es auch zu erkennen, dass Pflege immer Beziehungsarbeit ist. Bei jeder Tätigkeit soll nicht „an“ sondern „mit“ der zu pflegenden Person gearbeitet werden. Dabei ist immer Kommunikation möglich, noch vorhandene Fähigkeiten können erkannt und gefördert werden.
"ICH REISE DURCH DIE ZEIT" - DREI FRAGEN AN HEIKE LINK
Sie haben sich nach der Schließung des Kaufhauses Langer nicht zu alt gefühlt, um Neues zu lernen?
Nein, obwohl die meisten Leute in meiner Ausbildung oder jetzt im Kurs für Praxisanleitung halb so alt wie ich sind. Man braucht ja das lebenslange Lernen nicht nur um eine berufliche Ausbildung zu machen, sondern dieses Thema begleitet eigentlich jeden Menschen sein Leben lang.
Jetzt gibt es durch die Praxisanleitung ein weiteres neues Arbeitsfeld für Sie?
In meiner Pflege von alten Menschen sehe ich nun der Gestaltung von Lernsituationen für junge Schülerinnen und Schülern mit großer Spannung entgegen. Ich freue mich auf den „frischen Wind“ und das gegenseitige Sammeln von Erfahrungen. Themen wie: Moral, Ethik in der Pflege, Werte und Normen sind für mich besondere Wertvorstellungen. Ich kann die Erfahrungen meines Lebens und bereits aufgebautes Wissen einfließen lassen und den jungen Menschen mit auf den Weg geben.
Sehen Sie neue Entwicklungen in der Altenpflege?
Mit etwas Wehmut denke ich an die vielen Gespräche mit der „Kriegsgeneration“ zurück, die ich auch schon vor der Ausbildung erfahren durfte. Besonders die starken Frauen erzählten mir tolle Geschichten über zu bewältigende Ereignisse, Zustände in der Not und Herausforderungen, die zu bewältigen sie lernen mussten. Auch in schlimmen Zeiten wie im Krieg, gab es Liebesgeschichten und andere positive Ereignisse. Das waren richtige Zeitreisen für mich. Diese Generation verabschiedet sich nun langsam und es kommen die Menschen aus der „Nachkriegszeit“.
Foto:
© Hanswerner Kruse
Oben: (von links) Sandra Frenz-Poole, Heike Link, Dennis Präscher
Unten: Heike Link am Ende ihrer Ausbildung vor einem Werbeplakat für die Altenpflege
Info:
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