Heinrich böll StiftungVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 644

Der Paritätische

Berlin (Weltexpresso) - Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP haben in Reaktion auf den Terrorangriff in Solingen ein sog. Sicherheitspaket vorgestellt, welches Maßnahmen in drei Bereichen vorsieht: Waffenrecht, Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus und aufenthaltsrechtliche Maßnahmen. Im Folgenden sollen die wesentlichen aufenthaltsrechtlichen Maßnahmen eine erste Einordnung erfahren.

Dublin-Verfahren im Fokus

Da der Attentäter von Solingen ursprünglich im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Bulgarien überstellt werden sollte, diese Überstellung jedoch scheiterte, steht auch das Dublin-Verfahren im Fokus des Maßnahmenpakets. So soll für Personen, für deren Asylverfahren nach der sog. Dublin-III-Verordnung ein anderer EU-Mitgliedsstaat verantwortlich ist, der Bezug von Sozialleistungen in Deutschland ausgeschlossen werden. Hierfür sollen bereits bestehende Möglichkeiten zur Leistungskürzung im Asylbewerberleistungsgesetz erweitert werden, wobei  noch unklar ist, ob es sich um eine komplette Streichung von Leistungen oder aber weitreichende Kürzungen handeln wird. Ersteres könnte eine Erweiterung des Leistungsausschlusses von § 1 Abs. 4 AsylbLG bedeuten, letzteres eine Ausweitung der Kürzungsmöglichkeiten nach § 1a Abs. 7 AsylbLG.

Der Paritätische lehnt dieses Vorhaben entschieden ab. Jedem Menschen ist das menschenwürdige Existenzminimum zu gewähren. Bereits die regulären Sätze im Asylbewerberleistungsgesetz erfüllen diese Forderung nicht, weshalb der Verband die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes fordert. Weitere Kürzungen sind nicht nur hinsichtlich der Würde der Betroffenen nicht hinnehmbar, sie würden auch drastische Verarmung und Verelendung verursachen, die auch auf den Rest der Gesellschaft zurückwirken könnten. Darüber hinaus verstoßen sie - aller Voraussicht nach - gegen geltendes EU-Recht sowie das Grundgesetz, denn eine freiwillige Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat, um dort Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, ist in Deutschland aktuell überhaupt nicht vorgesehen. Ein Beitrag zur größeren Sicherheit dürfte diese Regelung jedenfalls nicht darstellen. 

Darüber hinaus soll eine „Dublin-Task-Force“ von Bund und Ländern eingerichtet werden, die Verbesserungen bei der Rechtsdurchsetzung und Umsetzung von Rückführungen identifizieren soll. Hierbei geht es z.B. um die Zahl von Abschiebehaftplätzen und Bedarf an Rechtsänderungen, bspw. bei Nicht-Antreffen einer Person. 

Erleichterungen bei Abschiebungen und Ausweisungen

Im Maßnahmenpaket bekräftigt die Bundesregierung ihre Absicht und intensive Arbeit an Abschiebungen schwerer Straftäter und terroristischer Gefährder nach Afghanistan und Syrien. Kurz nach Verkündung des Maßnahmenpakets hatte zudem ein Abschiebeflug am Morgen des 30.08.2024 von Deutschland nach Kabul abgehoben. Mit diesem Flug wurden 28 afghanische Staatsangehörige abgeschoben, die laut Berichten teils schwere Straftaten begangen hatten.

Der Paritätische lehnt Abschiebungen nach Afghanistan oder Syrien ab, da in beiden Ländern eine Verletzung des menschenrechtlichen Schutzes vor Folter und unwürdiger Behandlung droht. Da diese Rechte absolut gelten, ist auch eine Abschiebung von Straftätern abzulehnen. Zu Recht ist gemäß  Art. 1 des Grundgesetzes die Würde aller Menschen unantastbar. Zudem erfordern diese Abschiebungen diplomatische Verhandlungen mit den Taliban sowie dem Assad-Regime, die selbst dann zu einer Aufwertung dieser Regime führen, wenn sie über Mittlerstaaten laufen. Stattdessen sollte eine rechtsstaatliche strafrechtliche Verfolgung im Fokus stehen. 

Vereinfacht werden soll auch die Verweigerung und Aberkennung des Schutzstatus von Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Hierzu soll § 60 Abs. 8 AufenthG geändert werden. Bisher gibt dieser zwingend eine Absehung vom Flüchtlingsstatus vor, wenn eine Person eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands darstellt oder zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verurteilt wurde (§ 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG). Dieser Tatbestand soll zukünftig auch bei Jugendstrafen von mehr als drei Jahren erfüllt sein. Darüber hinaus standen die genannten Rechtsfolgen bisher bei bestimmten Straftaten oder Begehungsformen im Ermessen der zuständigen Behörde (§ 60 Abs. 8 S. 3 AufenthG). Hier soll zukünftig ein gebundenes Ermessen („Soll-Vorschrift“) für Freiheits- und Jugendstrafen von mehr als zwei Jahren und eine Ermessens-Regelung („Kann-Vorschrift“) bei Freiheits- und Jugendstrafen von mehr als einem Jahr gelten. Zudem soll die Begrenzung auf bestimmte Straftaten aufgehoben werden.

Diese Änderungen sind rechtlich fragwürdig, da sie die notwendige Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Aberkennung des Schutzes bei Straftaten durch die Einführung eines gebundenen Ermessens abzuschaffen droht. Auch ist die Ausweitung der Tatbestände auf Straftaten nach dem Jugendstrafrecht bedenklich, da dieses letztlich präventive und pädagogische Zwecke erfüllen soll, die durch die Änderungen in § 60 Abs. 8 AufenthG konterkariert würden.

Eine weitere Maßnahme soll in der Erleichterung von Ausweisungen bestehen, wenn Personen Straftaten mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug begehen. In § 54 Abs. 1 AufenthG, der die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen normiert, soll hierzu eine neue Norm aufgenommen werden, anhand derer die Schwelle für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse in diesen Fällen abgesenkt werden soll. Mit Blick auf die Tat von Solingen würde diese Norm keine Konsequenzen haben, da die verübte Tat bereits nach gängiger Rechtslage ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse darstellt.

Aberkennung des Schutzes nach Heimatreisen

Bereits vor einigen Wochen waren Heimatreisen von Schutzberechtigten nach Afghanistan ein Thema in der migrations- und asylpolitischen Debatte. Die Regierung möchte nun die Aberkennung des Schutzstatus für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte gewährleisten, wenn jenseits der Notwendigkeit der Erfüllung sittlicher Pflichten (bspw. der Besuch einer Bestattung) in das Heimatland gereist wird. Explizit erwähnt wird hierbei, dass Geflüchtete aus der Ukraine von dieser Maßnahme nicht betroffen sind. Dies dürfte der Fall sein, da sie in der Regel durch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG einem anderen Schutzregime unterstehen.

Es bleibt abzuwarten, wie dieses Vorhaben rechtlich genau umgesetzt wird und was unter der "Gewährleistung" der Aberkennung des Schutzes zu verstehen ist. Vorstellbar wären Eingriffe in die notwendige Einzelfallprüfung. Regelungen, die eine Aberkennung ermöglichen, ohne dass die Person sich in ihrem Heimatland niederlässt oder sich dem Schutz ihres Heimatstaates unterstellt, dürften jedoch der Genfer Flüchtlingskonvention sowie demUnionsrecht widersprechen.

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