Der Paritätische
Berlin (Weltexpresso) - Nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg in Syrien ist die Freude über den Sturz des Regimes groß. Gleichzeitig stellt sich für viele Syrer*innen, die in Deutschland leben, die Frage, welche Auswirkungen das Ende des Bürgerkrieges auf ihren Aufenthaltsstatus hat. Dies gilt insbesondere, weil schon am Tag des Kriegsendes politische Forderungen nach einer schnellen Rückkehr laut wurden. Diese Forderungen sind mit Blick auf die noch vollkommen unklare Situation im Land klar zurückzuweisen. Die folgenden Ausführungen sollen einen ersten Überblick zur Rechtslage geben und die politische Debatte einordnen.
In Reaktion auf die derzeitige Lage in Syrien hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsangehöriger gem. § 24 Abs. 5 AsylG ausgesetzt. Demnach ist ein Aussetzen möglich, wenn eine „vorübergehend ungewisse Lage“ vorliegt. Dies ist in Syrien derzeit der Fall. Asylanträge syrischer Staatsangehöriger werden somit derzeit weder positiv noch negativ beschieden. Das Bundesamt ist verpflichtet, spätestens nach sechs Monaten eine erneute Prüfung der Lage in Syrien vorzunehmen, kann dies aber auch schon früher tun. Die betroffenen Personen sind über die Aussetzung und ihre Begründung zu informieren. Eine solche schriftliche Benachrichtigung ist kein Bescheid über die Entscheidung des Asylantrags, sondern dient bloß der Information.
Für viele Personen mit humanitären Aufenthaltsstatus stellt sich nun die Frage, wie es um ihren Aufenthaltsstatus steht. Grundsätzlich ist das BAMF zwar gem. § 73 AsylG gesetzlich verpflichtet die Asylanerkennung, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den subsidiären Schutz und Abschiebungsverbote zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für deren Erteilung nicht mehr gegeben sind. Allerdings muss der Wegfall dieser Voraussetzungen dauerhaft und von wesentlicher Natur sein. Ob und wann das mit Blick auf Syrien der Fall sein wird, kann derzeit nicht seriös eingeschätzt werden.
In jedem Fall bedarf es für einen Widerruf einer Prüfung durch das BAMF in einem individuellen Widerrufsverfahren. Derzeit hat das BAMF keine solchen Verfahren aufgrund der Entwicklungen in Syrien eingeleitet. Die aktuelle Situation in Syrien hat also keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Geltung humanitärer Aufenthaltstitel. Selbst wenn es zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Widerrufsverfahren kommen sollte, führt ein Widerruf des Schutzstatus nicht automatisch auch zum Verlust der Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis. Im Falle eines Widerrufsverfahrens sollten Betroffene eine Beratungsstelle aufsuchen bzw. anwaltlichen Rat einholen.
Auch Abschiebungen nach Syrien – z.B. von Personen mit einer Duldung und angedrohter Abschiebung nach Syrien – dürften aktuell nicht in Betracht kommen, da die Gefährdungslage nicht abschließend eingeschätzt werden kann. Etwas anderes könnte jedoch u.U. für Straftäter gelten, obwohl auch für diese der Schutz von Leib und Leben gewährleistet werden muss.
Für viele stellt sich auch die Frage, wie es mit ihrem Verfahren zur Familienzusammenführung weitergeht. Auch hier ist entscheidend, dass humanitäre Aufenthaltstitel für Syrer*innen derzeit weiterhin gültig bleiben. Die Gültigkeit ist eine Voraussetzung für das Verfahren zur Familienzusammenführung. Bisher gibt es keine Information dazu, dass die Botschaften die Bearbeitung von Visumsanträgen zur Familienzusammenführung ausgesetzt haben.
In der politischen Debatte werden nun jedoch vereinzelt Forderungen laut, die darauf abzielen, eine zeitnahe Rückkehr Geflüchteter nach Syrien zu forcieren oder gar einen Aufnahmestopp für syrische Staatsangehörige zu verhängen. Angesichts der nach wie vor unübersichtlichen Lage und der unabsehbaren weiteren Entwicklung in Syrien sind solche Forderungen jedoch unseriös und angesichts der nach wie vor großen Armut und unsicheren Lage vor Ort inhuman. Forderungen nach einem Aufnahmestopp entbehren zudem einer rechtlichen Grundlage. Auch wenn Entscheidungen über Asylanträge syrischer Staatsangehöriger derzeit ausgesetzt sind, steht jeder in Deutschland um Asyl ersuchenden Person ein rechtsstaatliches Verfahren zu. Dies kann nicht pauschal für einzelne Gruppen bspw. aufgrund der Staatsangehörigkeit ausgeschlossen werden.
Äußerst problematisch sind insbesondere die mit solchen Forderungen einhergehenden gesellschaftspolitischen Botschaften. Syrer*innen werden durch solche Äußerungen pauschal als Belastung betrachtet und suggeriert, es sei wünschenswert, dass sie Deutschland so schnell wie möglich wieder verlassen. Solche Aussagen befeuern Ressentiments gegenüber Syrer*innen und Personen, die als solche wahrgenommen werden und gefährden damit den sozialen Frieden. Darüber hinaus verkennen sie die enormen persönlichen und gesellschaftlichen Leistungen dieser Bevölkerungsgruppe. Der Großteil der syrischen Geflüchteten ist ein integraler Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Viele von ihnen wurden eingebürgert oder haben entsprechende Anträge gestellt. Sollten Syrer*innen Deutschland in großer Zahl verlassen, gingen damit große persönliche und gesellschaftliche Verluste einher. Zum einen würden Familien- und Freundschaftsbande gelöst, die über Jahre hinweg geknüpft wurden. Aber auch gesamtgesellschaftlich wären negative Effekte zu erwarten. So warnt beispielsweise die Deutsche Krankenhausgesellschaft davor, dass ein Weggang einer größeren Zahl syrischer Ärzt*innen in manchen Regionen zu personellen Engpässen führen könnte. Auch in anderen Berufszweigen dürften die Folgen spürbar sein, wenn viele Syrer*innen Deutschland wieder verlassen sollten.
Im Paritätischen Gesamtverband engagieren sich weit über hundert Mitgliedsorganisationen für Geflüchtete und Migrant*innen, unter anderem in den Bundesprogrammen Asylverfahrensberatung, Migrationsberatung für Erwachsene Zugewanderte und die Psychosozialen Zentren.