Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 784
Der Paritätische
Berlin (Weltexpresso) - Zu Beginn des Wahljahres hat sich die politische Debatte in der Migrations- und Flüchtlingspolitik erneut erheblich verschärft. Die Unionsparteien haben eine Vielzahl migrationspolitischer Maßnahmen in den Bundestag eingebracht und mit Stimmen von AfD und FDP einen Entschließungsantrag beschlossen. Die folgende Fachinformation gibt einen kurzen Überblick über die verschiedenen Maßnahmen der Unionsparteien und wirft einen genaueren Blick auf das sogenannte “Zustrombegrenzungsgesetz”.
Die Fraktionen von CDU und CSU brachten am 29.01.2025 zwei Entschließungsanträge in den Bundestag ein. Einer der Anträge enthielt einen „5-Punkte-Plan“, der unter anderem dauerhafte Binnengrenzkontrollen, Zurückweisungen auch von Asylsuchenden an den Binnengrenzen sowie umfassende Inhaftierungen ausreisepflichtiger Personen vorsah. In einem weiteren Antrag für einen „Politikwechsel bei der der inneren Sicherheit“ wurden insgesamt 27 sicherheits- sowie asyl- und migrationspolitische Punkte benannt. Der „5-Punkte-Plan“ wurde mit Stimmen von Union, FDP und der in Teilen als gesichert rechtsextrem geltenden AfD angenommen. Der Paritätische hat diesen in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmaligen Vorgang deutlich kritisiert. Der "27-Punkte-Plan" hingegen fand keine Mehrheit. Da es sich um Entschließungsanträge handelt, entfalten beide Anträge keine Bindung für das Handeln der Bundesregierung.
Kurz darauf, am 31.01.2025, brachten CDU und CSU schließlich auch noch das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ in den Bundestag ein. Der Gesetzesentwurf enthielt drei Maßnahmen: Die erneute Aufnahme des Wortes „Begrenzung“ im Aufenthaltsgesetz, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten sowie eine Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei. Das Gesetz fand im Bundestag keine Mehrheit.
An diesem Montag, den 03.02.2025, beschloss die CDU auf ihrem Parteitag auch ein „Sofortprogramm“, mit dem Maßnahmen benannt werden, die unmittelbar nach einer möglichen Regierungsbildung umgesetzt werden sollen. Hier wurden sowohl der „5-Punkte-Plan“ sowie das „Zustrombegrenzungsgesetz“ aufgeführt. Darüber hinaus wird auch die Rücknahme der jüngsten Änderungen am Staatsangehörigkeitsrecht unter der Ampel-Koalition genannt. Ob hierunter auch die von der CDU geforderte Möglichkeit des Verlusts der deutschen Staatsangehörigkeit bei bestimmten Straftaten fällt, kann dem "Sofortprogramm" nicht entnommen werden.
Diese Fachinformation setzt sich im Folgenden mit dem “Zustrombegrenzungsgesetz” auseinander.
Aufnahme des Begriffs „Begrenzung“ in § 1 AufenthG
Gemäß des "Zustrombegrenzungsgesetzes" soll die Begrenzung der Migration als Gesetzeszweck benannt werden. Die Aufnahme des Begriffs „Begrenzung“ in § 1 AufenthG soll dabei den Behörden laut der Gesetzesbegründung bei der Ermessensausübung eine „restriktive Handhabung der Zuwanderungssteuerung“ nahelegen. Die Bundesregierung hatte dieses Wort jedoch erst Ende 2023 im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung aus dem Aufenthaltsgesetz gestrichen, unter anderem mit der Begründung, dass es eines klaren Zeichens für mehr Offenheit bräuchte, um Zuwanderung insbesondere bei der Bildungs- und Erwerbsmigration zu fördern.
Ob diese Änderung einen Effekt haben würde, ist zu bezweifeln. So haben die Vorgaben in § 1 AufenthG einen “programmatischen Charakter” und ist unklar, inwiefern sie zielführende Vorgaben für die Ermessensausübung bieten. Die Formulierung ist zudem unspezifisch und bezieht sich auf alle Formen der Einwanderung, sowohl Schutzsuchende wie auch Personen, die zu Bildungs-, Erwerbs- oder familiären Zwecken nach Deutschland einreisen wollen. Durch die klare Abgrenzung zur vorherigen Regelung müsste die Änderung zudem als ein Zeichen gegen Offenheit, somit für eine Schließung verstanden werden. Damit droht das Aufenthaltsgesetz wieder stärker als polizei- und ordnungsrechtliches Instrument der „Gefahrenabwehr“ verstanden zu werden.
Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten
Der zweite Punkt des “Zustrombegrenzungsgesetzes” betrifft die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten. Die Aussetzung soll unbefristet erfolgen. Bereits 2016 wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ausgesetzt, jedoch befristet auf zwei Jahre. Danach wurde er kontingentiert und ist derzeit gem. § 36a AufenthG auf 1000 Visa pro Monat begrenzt. Dadurch macht der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten derzeit nur 8 % an allen zum Familiennachzug erteilten Visa pro Jahr aus. Das im Koalitionsvertrag der letzten Bundesregierung festgehaltene Ziel, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten dem von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention anzugleichen, wurde nicht umgesetzt.
Eine unbefristete Aussetzung steht menschen- und verfassungsrechtlichen Einwänden gegenüber. So garantiert Artikel 8 EMRK das Recht auf die Achtung des Familienlebens und Artikel 10 der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtete zu einer humanen und beschleunigten Behandlung von Anträgen auf Familienzusammenführung. Verfassungsrechtlich garantiert Artikel 6 Absatz 1 GG den besonderen Schutz von Ehe und Familie. Dabei müssen familiäre Belange stets Eingang in behördliche Abwägungsprozesse finden. Von entscheidender Bedeutung ist dabei, ob die Familieneinheit auf zumutbare Weise auch in einem anderen Land als Deutschland wiederhergestellt werden kann; im Falle der Familienangehörigen schutzsuchender Personen dürfte das regelmäßig zu verneinen sein. Das Gewicht familiärer Belange erhöht sich zudem, je länger die Personen getrennt sind und je unvorhersehbarer die Dauer der Trennung ist.
Bereits die derzeit geltende Kontingentierung in § 36a AufenthG ist verfassungsrechtlich fragwürdig, da sie nach Ausschöpfung des Kontingents das Grundrecht auf den Schutz von Ehe und Familie vollständig ausschließt und auch die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung alternativer Normen wie bspw. § 22 S. 1 AufenthG, anhand derer dieses Grundrecht dennoch gewähren werden könnte, fraglich ist. Ein unbefristetes Aussetzen des Familiennachzugs dürfte mit noch größerer Wahrscheinlichkeit verfassungsrechtlich nicht haltbar sein. Auch europarechtlich gibt es gewichtige Bedenken, da ein unbefristetes Aussetzen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten bereits durch den EGMR für europarechtswidrig erklärt wurde (M.A. v. Denmark).
Aber auch jenseits rechtlicher Bedenken wäre ein Aussetzen des Familiennachzugs äußerst problematisch. Betroffen von einer Aussetzung wären Personen, die in vielen Fällen nicht nur vorübergehend, sondern langfristig in Deutschland bleiben. Mehr als die Hälfte der subsidiär Schutzberechtigten leben seit mehr als sechs Jahren in Deutschland. Wie Studien zeigen, bedeutet die dauerhafte Trennung von den Familienangehörigen für die Betroffenen großes Leid und schafft Hürden für eine erfolgreiche Integration – denn wer kann in Ruhe die deutsche Sprache erlernen oder einen Job suchen, wenn sie*er um das Schicksal ihrer*seiner Familienangehörigen bangt? Damit würde letztendlich auch der Zweck des „Zustrombegrenzungsgesetzes“ konterkariert, wonach die Aussetzung aufgrund erschöpfter Aufnahmekapazitäten erfolgen soll. Denn gerade der Familiennachzug stellt als ein Beitrag zur erfolgreichen Integration eine Entlastung der Strukturen dar.
Wenig ersichtlich ist auch, weshalb die Abschaffung des Familiennachzugs im Kontext sicherheitspolitischer Erwägungen ins Spiel gebracht wird. Letztlich sind von dieser Aussetzung besonders vulnerable Personen betroffen, allen voran Frauen und Kinder. Im Rahmen der Familienzusammenführung durchlaufen diese überdies eine umfangreiche Sicherheitsüberprüfung. Durch die Abschaffung eines legalen und sicheren Fluchtweges würden die betroffenen Personen schlussendlich auf lebensgefährliche Fluchtrouten gezwungen, um mit ihren Familienangehörigen zusammenleben zu können.
Der Paritätische Gesamtverband spricht sich klar für den Familiennachzug zu Geflüchteten und eine Gleichstellung subsidiär Schutzberechtigter mit Geflüchteten nach der Genfer Flüchtlingskonvention aus.
Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei
Der abschließende Teil des “Zustrombegrenzungsgesetzes” betrifft die Zuständigkeiten der Bundespolizei. Geregelt werden soll, dass die Bundespolizei die Zuständigkeit für Abschiebungen und Zurückschiebungen erhält, sofern sie eine vollziehbar ausreisepflichtige Person in ihrem Zuständigkeitsbereich aufgreift, deren Abschiebung nicht ausgesetzt ist oder die über eine Duldung aufgrund fehlender Ausreisepapiere verfügt und die entsprechenden Dokumente voraussichtlich innerhalb von 6 Monaten beschafft werden können. Bisher waren solche Zuständigkeiten der Bundespolizei nur beim grenzüberschreitenden Verkehr und an der Grenze geregelt. Nun sollen sie auf alle Bereiche ausgeweitet werden, die im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei liegen, wie bspw. Bahnhöfe. Die Zuständigkeit soll u.a. die Beantragung von Abschiebehaft, die Beschaffung von Passersatzdokumenten sowie den Abschiebungsvollzug umfassen und soll nur im Einvernehmen mit der zuständigen Ausländerbehörde auf die Bundespolizei übergehen. Sofern dieses Einvernehmen nicht rechtzeitig hergestellt werden kann, soll die Bundespolizei ermächtigt werden, notwendige Maßnahmen auch ohne Einvernehmen zu ergreifen. Das Einvernehmen ist in diesem Fall umgehend einzuholen. Die Zuständigkeit kann im Anschluss unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder auf die Ausländerbehörde zurückgehen.
Dieser Teil des “Zustrombegrenzungsgesetzes” war bereits Teil des Gesetzes zur Modernisierung der Rechtsgrundlagen der Bundespolizei, das 2019 von der Bundesregierung verabschiedet wurde, jedoch keine Zustimmung im Bundesrat fand. Bisher hatten sich viele Länder gegen eine Zustimmung zum “Zustrombegrenzungsgesetz” nur aus dem Grund ausgesprochen, dass dieses absehbar nur mit Stimmen der AfD beschlossen worden wäre, sind jedoch kaum auf den Inhalt des Gesetzes eingegangen. Auch die Gewerkschaft der Polizei hatte sich in 2019 aufgrund zahlreicher rechtlicher und praktischer Probleme gegen eine ähnlich gelagerte Regelung ausgesprochen.
Zuvorderst begegnet die Regelung verfassungsrechtlichen Bedenken. Potenziell würde sich die Zuständigkeit der Bundespolizei auf das gesamte Staatsgebiet und weiter in den Vollzug des Aufenthaltsrechts hinein erweitern. Laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist deren Befugnis "aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit und des Grundrechtsschutzes" auf bewusst eingeschränkt und darf die Bundespolizei nicht ihr “Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben” verlieren (BVerfG, - 2 BvF 3/92 -, Rn. 89). Eine Übertragung von Befugnissen darf daher nur zur "Abwehr bestimmter, das Gebiet oder die Kräfte eines Landes überschreitender Gefahrenlagen" erfolgen. Von ihrem Wesen als Sonderpolizei mit begrenzten Aufgaben würde sich die Bundespolizei, zumindest mit Blick auf vollziehbar ausreisepflichtige Personen, somit entfernen. Durch das "Zustrombegrenzungsgesetz" würde somit ein problematischer Eingriff in die verfassungsrechtlich geregelte föderale Kompetenzordnung erfolgen, der zufolge die grundsätzliche Zuständigkeit für die Ausübung staatlicher Befugnisse bei den Ländern liegt. Ob diese Bedenken durch das Erfordernis des Einvernehmens der Ausländerbehörden und die Möglichkeit, dass die Länder die Zuständigkeit jederzeit wieder an sich ziehen können, erfolgreich addressiert würden, ist zumindest fraglich. Das gilt insbesondere mit Blick auf schwere Grundrechtseingriffe wie der Abschiebungshaft, die auch ohne Einvernehmen der Ausländerbehörden durch die Bundespolizei beantragt und vollzogen werden könnten.
Im tatsächlich Vollzug dürfte sich vor allem letzgenannte beabsichtigte Befugnis der Bundespolizei, bei fehlender Möglichkeit des Einvernehmens mit der Ausländerbehörde “unaufschiebbare Maßnahmen” auch ohne ein solches Einvernehmen durchführen zu können, als höchst problematisch erweisen. Eine solche Situation könnte tatsächlich eine Vielzahl von Fällen betreffen, wenn Ausländerbehörden bspw. aufgrund von Schließzeiten oder mangelnder personeller Ausstattung ein solches Einvernehmen regelmäßig nicht zeitnah herstellen können. Zunächst ist der Begriff "unaufschiebbarer Maßnahmen" in dem Gesetz nicht hinreichend genau abgregrenzt und würde somit zu Rechtsunsicherheit führen. In jedem Fall könnte die Bundespolizei jedoch Maßnahmen durchführen, für die es in der Regel Kenntnisse der Ausländerakte sowie der Herkunftsländer der betroffenen Personen braucht. Das gilt bspw. bei der Einschätzung, ob Reisedokumente innerhalb von 6 Monaten beschafft werden können und somit die Voraussetzungen für die Zuständigkeit in bestimmten Fällen überhaupt erfüllt sind. Noch gravierender würde sich dieses Problem bei Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen im Rahmen des Vollzugs der Abschiebung stellen, insbesondere der Abschiebungshaft. Ohne Kenntnis der Akte kann bspw. kaum umfassend geprüft werden, ob die Voraussetzungen für tatsächlich Haft vorliegen. Eine Mehrbelastung der Gerichte durch unbegründete Haftanträgen oder eine steigende Zahl rechtswidriger Haftbefehle, ein bereits seit längerem bekanntes Problem der Abschiebungshaft, wären die Folge.
Darüber hinaus sind weitere Fragen des tatsächlichen Vollzugs nicht geregelt, die zu Rechtsunsicherheit und einer Mehrbelastung der Verwaltung führen dürften, statt eine "Schnittstellenreduzierung" zu erreichen. Das gilt bspw. hinsichtlich der Prüfung, ob nach der Feststellung der Person durch die Bundespolizei absehbar auf mehr als 6 Monate Abschiebungshindernisse entgegenstehen; in einem solchen Falle würde die Zuständigkeit der Bundespolizei enden. Sofern die Bundespolizei nach der Feststellung zuständig wäre, müsste diese auch die Prüfung übernehmen; die Expertise hierfür liegt jedoch bei den Ausländerbehörden. Eine entsprechende Koordination zwischen den Behörden würde erheblichen Mehraufwand bedeuten und könnte durch unterschiedliche Einschätzungen Zuständigkeistsstreitigkeiten verursachen. Ähnlich stellt es sich bei der Beschaffung von Passersatzdokumenten dar, in die neben den Ausländerbehörden noch verschiedene andere Behörden involviert sind. Die Bundespolizei als zusätzlicher Akteur könnte hier zu weiteren Reibungsverlusten beitragen, insbesondere beim Wechsel der Zuständigkeit von den Ausländerbehörden zur Bundespolizei, aber auch, wenn die Zuständigkeit wieder zur Ausländerbehörde wechselt. Auch allgemein dürften diese Zuständigkeitswechsel bürokratischen Mehraufwand bedeuten, müssen doch Akten ausgetauscht und Maßnahmen neu koordiniert werden.
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