Veröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 878
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Die EU-Kommission hat einen Entwurf für eine Änderung der Aufnahmerichtlinie veröffentlicht, in der sie die Regelungen zu sogenannten „sicheren Drittstaaten“ überarbeiten möchte. Die Änderungen zielen auf eine Ausweitung des Konzepts sicherer Drittstaaten und einen Abbau des Rechtsschutzes für Geflüchtete. Der Paritätische lehnt die geplanten Änderungen ab.
Mit dem vorgelegten Entwurf möchte die Europäische Kommission erneut die Aufnahmerichtlinie ändern, die jüngst durch die GEAS-Reform reformiert wurde und im Juni 2026 in Kraft treten wird. Bereits gemäß der reformierten Richtlinie wäre es möglich, Asylanträge mit Verweis auf einen sicheren Drittstaat als unzulässig abzulehnen. In einem solchen Fall müsste der jeweilige Mitgliedsstaat den Asylantrag nicht inhaltlich prüfen und könnte die Person in den Drittstaat überstellen, sofern dieser “sicher” im Sinne der Richtlinie ist.
Bisher sah die Sichere-Drittstaaten-Regelung in der reformierten Richtlinie jedoch vor, dass es eine Verbindung zwischen der geflüchteten Person und dem Drittstaat geben muss. Im vorliegenden Entwurf schlägt die Kommission nun vor, es den Staaten freizustellen, ob sie dieses Verbindungselement anwenden wollen. Zukünftig kann es demnach auch schon ausreichen, wenn ein bloßer Transit durch den Drittstaat erfolgt ist oder ein Abkommen bzw. eine Vereinbarung zwischen dem Mitgliedsstaat und dem Drittstaat geschlossen wurde, das u.a. Garantien für die Durchführung eines Asylverfahrens umfasst. Somit könnten Asylsuchende künftig auch in Drittstaaten überstellt werden, zu denen sie keinerlei Bezug haben, selbst in solche, in welche sie noch nie zuvor einen Fuß gesetzt haben.
Ausnahmen regelt der Vorschlag nur mit Blick auf Kinder und unbegleitete Minderjährige. So soll bei der Anwendung des Sichere-Drittstaaten-Konzepts stets das Kindeswohl vorrangig beachtet werden. Dies würde im Falle begleiteter Minderjährige auch für Familien gelten. Auf unbegleitete Minderjährige darf das Konzept nur angewendet werden, wenn eine Verbindung oder ein Transit vorliegt.
Verschärft werden sollen zudem die Rechtsschutzmöglichkeiten. So soll, anders als bisher in der reformierten Richtlinie geregelt, eine Klage gegen eine solche Unzulässigkeits-Entscheidung keinen automatisch aufschiebenden Effekt haben. Ausgenommen sind nur Fälle, in denen die betroffene Person erfolgreich vorbringen kann, dass ihr im Drittstaat ein Verstoß gegen das Refoulement-Verbot droht. Den Asylsuchenden bleibt somit nur noch die Möglichkeit, auf dem Klageweg um die aufschiebende Wirkung zu ersuchen. Ausgenommen hiervon sind nur unbegleitete Minderjährige im Grenzverfahren.
Der Paritätische lehnt die vorgeschlagenen Änderungen ab. So dürfte eine Überstellung in „sichere Drittstaaten“ regelmäßig gegen das Kindeswohl verstoßen, da die Bedingungen für diese in Drittstaaten schlechter ausfallen dürften als innerhalb der EU. Durch die Absenkung der Standards beim Rechtsschutz drohen zudem rechtswidrige Überstellungen. Auch sind neben Minderjährigen keinerlei Vorgaben für vulnerable Gruppen vorgesehen. Problematisch ist auch, dass durch eine Ausweitung des Konzepts sicherer Drittstaaten die vermehrte Anordnung von Haft oder umfassenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit drohen.
Ermöglicht würden durch die Vorschläge auch Auslagerungs-Modelle wie das „Ruanda-Modell“, bei dem Schutzsuchende für ihr Asylverfahren in Länder überstellt werden, zu denen sie keinerlei Bezug haben. Die Mitgliedsstaaten könnten sich auf diesem Wege aus ihrer humanitären Verpflichtung für den globalen Flüchtlingsschutz gänzlich zurückziehen, was der Paritätische vor allem im Hinblick auf die globale Verantwortungsteilung kritisiert. Darüber hinaus droht eine Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes, da sichere Drittstaaten nur einen „effektiven Schutz“ bereitstellen müssen, der unterhalb der Schutzstandards der Genfer Flüchtlingskonvention liegt.
Hinzu kommen praktische Fragen, beispielsweise welcher Drittstaat hierbei mitwirken würde. Die Debatte um sichere Drittstaaten hat somit auch das Potenzial, gesellschaftliche, politische und finanzielle Ressourcen zu binden, die für Verbesserungen der Aufnahme- und Integrationsstrukturen besser eingesetzt wären. Zudem drohen auch Probleme in der Zusammenarbeit mit Drittstaaten, sollten diese auf verschiedene Weise dazu gedrängt werden, bei der Übernahme Asylsuchender zu kooperieren.
Der Kommissionsentwurf ist auf der rechten Seite verlinkt.
Dokumente zum Download
Vorschlag der EU-Kommission zur Sichere-Drittstaaten-Regelung (468 KB)
Foto:
©JuraForum.de