mhp VerlagVeröffentlichungen des Paritätischen Gesamtverbandes, Teil 919

Redaktion

Berlin (Weltexpresso)  - 

Zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zu einem Gesetz zur Stärkung der Pflegekompetenz (Pflegekompetenzgesetz – PKG) haben die in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände am 14. Juli 2025 eine Stellungnahme abgegeben. Das Gesetzesvorhaben hatte es in der vorangegangenen Legislatur bereits in den Bundestag und in den Bundesrat geschafft, kam dann aber aufgrund des Bruchs der Koalition zum Erliegen. Die Neuauflage als Referentenentwurf wurde gegenüber der letzten Fassung in einigen Punkten geändert oder ergänzt.


Mit dem Referentenentwurf ist es gelungen, wegweisende Schritte auf dem Weg hin zur Stärkung der eigenständigen Ausübung von Heilkunde durch Pflegefachpersonen einzuschlagen. Erstmals werden, ausgehend von den vorbehaltenen Aufgaben, heilkundliche Aufgaben der Pflege im Leistungsrecht des SGB XI und SGB V verankert. Damit wird der Grundsatz anerkannt, dass Pflegefachpersonen per se heilkundliche Aufgaben ausüben. Sehr zu begrüßen ist, dass die Möglichkeit zur erweiterten Heilkundeausübung die Modellvorhaben nach §§ 64d und 63 Absatz 3c mit ihren Webfehlern mit Blick auf diagnose- und prozedurenbezogene Tätigkeiten obsolet macht. Die BAGFW hat sich stets dafür eingesetzt, dass beruflich erfahrene Pflegefachpersonen mit einer entsprechenden Weiterbildung erweiterte heilkundliche Aufgaben ausüben können, wie es der RefE nun vorsieht. Ein weiterer Meilenstein ist auch die gesetzliche Verankerung der Pflegeprozessverantwortung, wie von der BAGFW seit langem gefordert. Die richtigen Weichen für eine Stärkung der Kompetenzen werden auch durch die Präventionsempfehlung, die Verordnung von Pflegehilfs- und Hilfsmitteln und die Ausstellung von Folgeverordnungen für die HKP gestellt.

Das Pflegekompetenzgesetz setzt auch Leitplanken für die dringend erforderliche Beschleunigung von Pflegesatzverhandlungen.

Der Paritätische sieht mit den in der BAGFW zusammengeschlossenen Verbänden folgende Nachbesserungsbedarfe am Referentenentwurf:

1. Verankerung der Heilkundeausübung

Die BAGFW begrüßt die Kodifizierung des Pflegeberufs als Heilberuf und die Übertragung von ehemals rein ärztlichen Tätigkeiten nach § 73d Absatz 1 SGB V in die “Behandlung durch Pflegefachpersonen” nachdrücklich sieht jedoch folgenden Nachbesserungsbedarf:

  • Leistungsrechtliche Verankerung der “Behandlung durch Pflegefachpersonen” nach § 15a in § 27 SGB V (Krankenbehandlung).
  • Abgrenzung der “Behandlung durch Pflegefachpersonen” nach § 15a SGB V in § 28 SGB V (Ärztliche Leistungen).
  • Verankerung der Leistung “Behandlung durch Pflegefachpersonen” im Leistungserbringungsrecht, z.B. durch Einführung eines neuen § 132x, der auch den stationären Bereich des SGB XI umfassen muss.
  • Leistungserbringungsrechtliche Verankerung der Folgeverordnungen zur HKP gemäß § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 in § 132a SGB V.
  • Streichung der Blanko-Verordnung nach § 37 Absatz 8 aufgrund der Normkollision mit § 73d Absatz 1 Nummer 2 i.V. mit § 15a Absatz 1 Nummer 2.
  • In den Leistungsarten nach § 28 SGB XI ist klarzustellen, dass die Erbringung heilkundlicher Leistungen nach § 15a SGB V aus dem SGB V finanziert werden muss. Einen möglichen Weg zur SGB V-Finanzierung der Leistungserbringung in stationären Pflegeeinrichtungen sieht die BAGFW in einer Ergänzung der 119b-Verträge um die Ermächtigung der Pflegeeinrichtungen zur Anstellung für Pflegefachpersonen, die zu Erbringung von Leistungen nach § 15a SGB V qualifiziert sind.

Einen Meilenstein stellt die Verankerung der eigenverantwortlichen Heilkundeausübung in einem neuen § 4a PflBG dar. Allerdings ist dringend zu ergänzen, dass die Kompetenzen zur erweiterten Heilkundeausübung auch von Pflegefachpersonen während ihres Berufslebens durch Fort- und Weiterbildung erworben werden können. Nur so ist gewährleistet, dass erweiterte Heilkunde in die Fläche kommt. Die BAGFW setzt sich dafür ein, dass der Erwerb der erweiterten Kompetenzen im Wege einer Zusatzqualifikation mit Kostentragung aus dem Ausbildungsfonds und Regelung einer Ausbildungsvergütung nach PflAuFinV erfolgt. Die Beauftragung und weitere Veranlassung zu dem “Muster Scope of Practice” sollte systemkonform durch den Qualitätsausschuss Pflege durchgeführt werden.

Positiv zu würdigen ist, dass die Fachkommission die Aufgabe von standardisierten Kompetenzbeschreibungen für die eigenverantwortlich auszuübenden heilkundlichen Aufgaben erhält. Die zwar nicht abschließende, doch explizit angeführte Aufzählung der Anwendungsbereiche Diabetes, chronische Wunden und Demenz nach § 37 Absatz 2 Satz 2 stellt eine Engführung dar, die es mindestens auf die in den bisherigen acht Modulen abgebildeten Themen zu erweitern gilt. Positiv zu bewerten ist die Klarstellung, dass die standardisierten Kompetenzbeschreibungen über die bereits in der beruflichen Pflegeausbildung erworbenen Kompetenzen hinausgehen müssen. Die BAGFW hatte in der Vergangenheit anlässlich der Modellvorhaben immer wieder kritisiert, dass die in den Modulen nach § 14 PflBG beschriebenen Kompetenzen nicht trennscharf von den Kompetenzen der grundständigen Ausbildung abgrenzbar waren, etwa beim Modul Demenz.

Zu ergänzen ist in § 4a auch dringend, dass die Kompetenzen zur erweiterten Heilkundeausübung auch von Pflegefachpersonen während ihres Berufslebens durch Fort- und Weiterbildung erworben werden können. Nur so ist gewährleistet, dass erweiterte Heilkunde in die Fläche kommt. Des Weiteren setzt sich die BAGFW dafür ein, dass der Erwerb der erweiterten Kompetenzen im Wege einer Zusatzqualifikation mit Kostentragung aus dem Ausbildungsfonds und Regelung einer Ausbildungsvergütung nach PflAuFinV erfolgt. Die Beauftragung und weitere Veranlassung zu dem “Muster Scope of Practice” sollte systemkonform durch den Qualitätsausschuss Pflege durchgeführt werden.

2. Pflegeprozessverantwortung vergütungsrechtlich absichern und Leistungsanspruch definieren

Die BAGFW hat sich seit langem für die gesetzliche Verankerung der Pflegeprozessverantwortung eingesetzt und begrüßt, dass der Gesetzgeber nunmehr diesen Schritt durch Verankerung in den vorbehaltenen Aufgaben nach § 4 PflBG sowie in § 15a SGB V tut. Pflegeprozessverantwortung ist eine vorbehaltene Aufgabe nach § 4 PflBG - daher wird die Definition von Voraussetzungen für eine fachgerechte Pflegeprozessverantwortung in § 132a Absatz 1 Satz 4 Nr. 2a SGB V als im Widerspruch zu einer fachlichen Eigenverantwortung von Pflegefachpersonen stehend von der BAGFW abgelehnt. In § 132a SGB V (und korrespondierend in § 89 SGB XI) fehlt es stattdessen an Grundsätzen der Vergütung für die im Rahmen der Pflegeprozessverantwortung erfolgenden Erst- und Folgegespräche sowie Fallbesprechungen. Auch reine Pflegegeldempfangende müssen einen Anspruch auf Pflegeprozesssteuerung erhalten, § 37 Absatz 3a SGB V ist daher entsprechend nachzubessern. Für alle Pflegebedürftigen soll der Anspruch auf Pflegeprozessverantwortung bei jeder grundlegenden Änderung ihres Gesundheitszustands, Wechsel der Pflegeperson, bei Veränderung des Pflegegrades oder bei Änderung des Pflegesettings, z.B. nach Krankenhausaufenthalt, bestehen.

3. Entbürokratisierung der Hilfsmittelverordnung durch Pflegefachpersonen

Die Genehmigungsfiktion der Verordnung von Hilfs- und Pflegehilfsmitteln durch Pflegefachpersonen wird begrüßt, jedoch erneut die Streichung der Festlegung von Qualifikationsanforderungen in Richtlinien gefordert. Pflegefachpersonen sind dazu qua Ausbildung ebenso befähigt, wie zur Ausstellung einer Blankoverordnung bzw. einer HKP-Verordnung nach § 73d Absatz 1 Nummer 2. § 17a Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V ist daher ebenso ersatzlos zu streichen wie § 132a Absatz 1 Satz 4 Nr. 7 SGB V. Ausweislich der Begründung zur Hilfsmittelversorgung sind Pflegefachpersonen grundsätzlich zur Inkontinenzversorgung befähigt. Daher ist dem Petitum der BAGFW nach Streichung des Präqualifizierungserfordernisses bei der Inkontinenzversorgung in § 126 SGB V endlich Rechnung zu tragen.

4. Verhältnisprävention in der Häuslichkeit stärken und Expertise der Pflegefachperson für Prävention nutzen

Die BAGFW hat seit langem gefordert, Prävention nicht auf den stationären Bereich und mithin auf die letzte Phase der Pflegebedürftigkeit zu konzentrieren, sondern bereits am Anfang der Pflegebedürftigkeit bei der Versorgung in der Häuslichkeit anzusetzen und begrüßt daher die Ausweitung von § 5 SGB XI auf das häusliche Setting. Für eine wirkliche Stärkung der Gesundheitsförderung – ganz entsprechend dem Pflegeverständnis des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs – muss Prävention jedoch weit über die jetzt vorgesehene Empfehlung von verhaltensbezogenen Präventionskursen der Krankenkassen hinausgehen und vor allem bei der Verhältnisprävention ansetzen. Präventionsberatung im häuslichen Bereich muss daher im Rahmen der Leistungserbringung nach § 36 SGB XI oder eines Beratungsbesuchs nach § 37 Absatz 3 SGB XI verankert werden und auch die Stärkung von Gesundheitskompetenz klar als Aufgabe benennen. Pflegeberater*innen nach § 7a SGB XI sollen den Zugang zu Präventionsangeboten erschließen. Pflegekurse und Schulungen in der Häuslichkeit müssen flächendeckend zur Verfügung stehen müssen und dürfen nicht länger davon abhängig sein dürfen, ob die einzelne Pflegekasse einen Rahmenvertrag mit dem jeweiligen Leistungserbringerverband oder Pflegedienst geschlossen hat.

5. Pflegebegutachtung durch Pflegefachpersonen in der Einrichtung auf Höherstufung konzentrieren

Das Gesetz hebt zu Recht hervor, dass Pflegefachpersonen qua Ausbildung befähigt sind, den Pflegegrad eines Pflegebedürftigen festzustellen. Es ist leider zu konstatieren, dass diese Fähigkeiten nicht genutzt werden, um dem Bearbeitungsstau bei Höherstufungsanträgen in der stationären Pflege von 6 bis 9 Monaten entgegenzuwirken. Die BAGFW setzt sich erneut dafür ein, dass Höherstufungsanträgen, die vom Medizinischen Dienst nach Aktenlage begutachtet werden, automatisch stattgegeben wird. Bei dem in § 18e SGB XI vorgesehenen Modellprojekt zur Erprobung der Begutachtung durch in Einrichtungen angestellte Pflegefachpersonen gibt sie zu bedenken, dass Pflegefachpersonen für die Durchführung eines gesamten Begutachtungsprozesses einschließlich Erstellung eines Gutachtens nicht nur einer Schulung bedürften, sondern dass der dadurch entstehende Aufwand zu Lasten der kostbaren Ressource Pflegefachperson in Zeiten des Fachkräftemangels ginge. Ein Modellprojekt sollte sich daher auf die Erprobung machbarer Aspekte wie der Höherstufungsanträge beschränken.

6. Tagespflege stärken und gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen

Die Neuregelung des § 72 Absatz 2a SGB XI lehnt die BAGFW als untaugliches und nur Bürokratie erzeugendes Instrument, das zu keinerlei Verbesserungen in der Versorgung führen wird, ab. Es bedarf keiner gesonderten Regelung für die Tagespflege, sondern einer für alle Akteure verpflichtenden und auf Augenhöhe durchzuführenden regionalen Pflegestrukturplanung, in welcher auch der Bedarf an Tages- und Nachtpflege festgestellt und in die Schaffung von Versorgungsangeboten umgesetzt wird. Zugleich weist sie auf strukturelle Defizite in der Finanzierung der Tagespflegeeinrichtungen hin, die zu Belegungsrückgängen dieser gerade für demenziell erkrankte Personen attraktiven Versorgungsform führt und regt folgende konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Versorgungssituation an:

  • Nutzung des gemeinsamen Jahresbetrags nach § 42a SGB XI für die nicht pflegebedingten Kosten der Tagespflege (Investitionskosten, Unterkunft und Verpflegung, Fahrtkosten) wie z.B. für die Investitionskosten, die nicht von den Kommunen getragen werden, oder auch Unterkunft und Verpflegung sowie Fahrtkosten. Generell setzt sich die BAGFW dafür ein, im SGB XI künftig konsequent und systematisch dem Sachleistungsbudgetgedanken bei einer Weiterentwicklung des SGB XI zu folgen.
  • Überdies fordert die BAGFW seit langem, dass die unverhältnismäßig hohen Anforderungen an den Fahrdienst der Tagespflege, durch Änderung von § 1 der FrStllV des Personenbeförderungsgesetzes fallen sollten. Das würde die Kosten für den Fahrdienst deutlich senken.
  • Flexibilisierung der Leistungen der Tagespflege: stundenweise Inanspruchnahme, flexible Öffnungszeiten, Errichtung von Zweigstellen
  • Kombination von Tages- und Nachtpflege, um die dringend benötigte Nachtpflege, die wirtschaftlich nicht tragfähig ist, etablieren zu können.
  • Gesamtversorgungsverträge für die Tagespflege gangbar machen
  • Schaffung bundeseinheitlicher Regelung für die Abwesenheitsvergütung und Freihalteregelungen in § 87a SGB XI

7. Leistungen in gemeinschaftlichen Wohnformen/innovative Wohnformen erproben – sektorenübergreifende Ansätze jetzt ermöglichen

Die BAGFW unterstützt das Bestreben des Gesetzgebers, neue innovative Wohnformen zu erproben und einzuführen, uneingeschränkt. Der neue § 45h SGB XI i.V. mit § 92c SGB XI führt jedoch einen dritten Sektor ein, was wir ablehnen. Stattdessen sollten die bewährten, aber mittlerweile vielfach gefährdeten, ambulanten Wohngruppen (§ 38a SGB XI alt/jetzt § 45f SGB XI neu) besser gefördert werden durch Erhöhung des Wohngruppenzuschlags von den jetzt unzureichenden 224 Euro auf die hier für das gemeinschaftliche Wohnen angesetzte Pauschale von 450 Euro.  Sofern an § 45h SGB I i.V. mit § 92c SGB XI festgehalten wird, spricht sich die BAGFW für die Erprobung im Rahmen eines Modellprojektes aus. Mit § 45h SGB XI bzw. § 92c SGB XI wird kein echter sektorenübergreifender Ansatz verfolgt. Dies ist mit der Einführung von § 125d SGB XI, mit der Modellvorhaben zur Erprobung der Flexibilisierung der Leistungserbringung stationärer Pflegeeinrichtungen eingeführt werden sollen, anders. Aus unserer Sicht sollte bereits heute in der Regelversorgung verankert werden, das stationäre Träger ein ausdifferenziertes Angebot an pflegerischer Unterstützung anbieten, aus dem die Pflegebedürftigen Leistungen auswählen können, und bestimmen können, welche Leistungen z.B. von ihren Angehörigen erbracht werden, sodass sich im Ergebnis die Kosten für die Versorgung deutlich reduzieren ließen. Hierfür bedarf es keiner weiteren Modellprojekte. Die Möglichkeiten zur Erbringung von pflegerischen Leistungen durch stationäre und teilstationäre Pflegeeinrichtungen im Quartier (bspw. Häusliche Krankenpflege) sollten hingegen wie vorgesehen modellhaft erprobt werden. Als ein wesentlicher Schritt zur Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung, sollte dies nicht losgelöst von den Modellvorhaben in § 8 Abs. 3c SGB XI erfolgen, sondern dort integriert werden. Maßgabe muss auch sein, dass in diesen Fällen das gesamte Quartier mitgedacht wird und sich diese Versorgung nicht ausschließlich an wirtschaftlichen Kriterien ausrichtet.

8. Vertrags- und Vergütungsverhandlungen wirksam beschleunigen

Die Ansätze des RefE zur Schaffung von Rahmenbedingungen für die dringend erforderliche Beschleunigung der Pflegesatzverhandlungen gehen in die richtige Richtung, sind aber nicht weitreichend genug. Viele Pflegeeinrichtungen stehen mit bis zu sechsstelligen Minusbeträgen aufgrund nicht abgeschlossener Vergütungsverhandlungen vor der Insolvenz. Die jetzt in § 86a SGB XI vorgesehenen Bundesempfehlungen enthalten zwar mit vereinfachten Verfahren zur pauschalen Anpassung und Nachweisverfahren für die zugrunde gelegten Kalkulationen richtige Ansätze, ihr Abschluss – 9 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes, also frühestens und ohne die erwartbaren Verzögerungen bei solchen Verhandlungen frühestens zum 3. oder 4. Quartal 2027 – würde das Aus für viele Einrichtungen bedeuten. Daher fordert die BAGFW zwei Sofortmaßnahmen, die direkt im Gesetz vorgegeben werden müssen: 1. Eine Genehmigungsfiktion von beantragten Steigerungen, wenn 6 Wochen nach Antrag keine Verhandlungsaufnahme durch die Kostenträger erfolgt ist, 2. Strafzahlungen bei Verfahrensverschleppungen oder Schadensersatzforderungen bei Missachtung gesetzlicher Vorschriften und Anforderungen durch die Kostenträger wie Kranken- und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträger. Die vorgesehenen Empfehlungen nach § 86a dürfen nicht dazu führen, Verhandlungen auf der Länderebene zu blockieren oder zu verzögern, angesichts der großen Problemlagen. Das jetzt im Gesetz vorgesehene Verfahren für zeitnahe Nachweisforderungen sowie die Benennung einer verbindlichen Ansprechperson bei den Kostenträgern geregelt werden, ist sachgerecht. Die Ansprechperson muss allerdings, wie im alten RefE 2024 vorgesehen “bevollmächtigt” sein. Zudem muss die Ansprechperson nicht nur für den Antrag, sondern für die ordnungsgemäße Durchführung des Gesamtverfahrens bis hin zur Unterschrift/Abschluss des Pflegesatzverfahrens verantwortlich sein. Das Unterschriftenverfahren muss zwingend digital durchgeführt werden können; dafür müssen die Leistungsträger zur Einführung einer digitalen Unterschrift (QES) verpflichtet werden. Insgesamt bedarf es einer Verpflichtung zur Umstellung des Verhandlungsprozesses auf digitale Portale (bspw. analog ELSTER), um die Pflegesatz- und Vergütungsverhandlungen substanziell zu beschleunigen. Eines Modellvorhabens dazu bedarf es nicht, dieses würde die flächendeckende Einführung der Digitalisierung der Verhandlungen nur um Jahre verzögern. Die BAGFW zeigt in der nachfolgenden Stellungnahme en detail auf, an welchen Stellschrauben konkret Probleme bestehen, die in den Bundesempfehlungen zu regeln sind und für die es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich der Hinweise bedarf. (u.a. Plausibilisierungserfordernis bei Tarifsteigerungen, keine Anerkennung betriebsnotwendiger Personalaufwendungen, wie für betriebliche Gesundheitsförderung, fehlende Synchronisierung von SGB XI und V-Verhandlungen, Fehlen von Vergütungszuschläge für Wegstrecken in unterversorgten ländlichen Gebieten, Fehlen eines pauschalen Risikozuschlags). Ausdrücklich begrüßt wird die Neuregelung in § 73a SGB XI, wonach bei absehbaren und schon eingetretenen Änderungen der Rahmenbedingungen Maßnahmen zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung zu treffen sind. Diese Verstetigung der Corona-Regelungen hatte die BAGFW gefordert. Allerdings muss dies auch “kurzfristige” Abweichungen beinhalten, wie im alten RefE 2024 vorgesehen war. Und um schließlich Probleme aus der Coronazeit zu vermeiden, müssen verbindliche Rückmeldungen der Pflegekassen sichergestellt werden. Die frühzeitige Anrufung der Schiedsstelle nach § 85 Absatz 5 SGB XI, ist begrüßenswert - jedoch wird die Regelung ins Leere laufen, wenn Leistungserbringer und Kostenträger sie nur gemeinsam anrufen können. Die BAGFW spricht sich überdies dafür aus, in § 85 pauschale Kollektivverhandlungen zu ermöglichen. Des Weiteren macht sie nachfolgend konkrete Änderungsvorschläge zu der schon lange geforderten Verschlankung der Meldepflichten für tarifgebundene Einrichtungen.

9. Digitale Pflegeanwendungen (DiPa) befördern

Die Erhöhung des Betrags für die Inanspruchnahme von DiPa von jetzt 50 auf 70 Euro sowie die Differenzierung nach den Kosten für die DiPa selbst und die Unterstützung bei der Anwendung wird nachdrücklich begrüßt. Eine vorläufige Aufnahme der DiPa ins Leistungsverzeichnis ohne vorherige Erprobung wird aus Gründen der Patientensicherheit abgelehnt.

10. Qualitätsausschuss Pflege (QAP)

Das in § 113b SGB XI vorgesehene Recht des unparteiischen Vorsitzenden des Qualitätsausschusses zur zweimaligen Anrufung desselben und für ein Vorschlagsrecht zur Themensetzung ist nicht sachgerecht, da es sich beim Erweiterten Qualitätsausschuss und dessen unparteiischen Vorsitz um eine Schiedsorgan als Konfliktlösungsmechanismus handelt. Die hier vorgeschlagene Aufgabenerweiterung läuft dieser Funktion zu wieder und wird systemfremd abgelehnt. Darüber hinaus hat sich der QAP in den letzten Jahren zu einem bewährten und effektiven Instrument der Selbstverwaltung im SGB XI entwickelt und es ist nicht nachvollziehbar, wo hier ein Problem vorliegt, dass durch diesen Vorschlag gelöst werden soll.

Anstatt dessen ist der QAP weiterzuentwickeln, z. B. in dem die Berichtspflichten die bisher dem GKV SV zu Qualitätssicherung zugeordnet sind, künftig an den QAP zu übertragen, ebenso wie die Weiterentwicklung der Personalbemessung oder die Aufgaben einer Geschäftsstelle nach § 113c. Einen übergeordneten Rahmen für die Themen “Vorbehaltsaufgaben”, “Pflegedokumentation”, “bewohner- und kompetenzorientierte Personal- und Organisationsentwicklung” und “Pflegebedürftigkeitsbegriff” zu schaffen wird nachdrücklich begrüßt. Es ist jedoch sachgerecht, hierfür zusätzliche und parallele Strukturen zu schaffen. Vielmehr sollte auf Vorhandenes aufgebaut werden, auch um Synergien zu nutzen. Daher sollte die Umsetzung einer “Geschäftsstelle § 113c SGB XI” eng an die Geschäftsstelle des QAP angekoppelt werden und weitere vorhanden Strukturen, z. B. des Projektbüros EinSTEP, mit einbezogen werden.  

Um ein besseres Funktionieren der Springerpools zu ermöglichen, bedarf es einer Klarstellung bei der Personalbemessung nach § 113c SGB XI, dass das Personal für diese Zwecke verhandelbar ist, auch wenn die Personalanhaltszahlen noch nicht in allen Qualifikationsniveaus ausgeschöpft sind oder/und es noch keine Regelung im Landesrahmenvertrag gibt. Das Gleiche soll für akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen gelten. Und um trägerübergreifende Springerpools flächendeckend zu ermöglichen, bedarf es der Aufnahme im Gesetz.

11. Entbürokratisierung - Qualität, Gemeinsamer Jahresbetrag, Präqualifizierung, Reha pflegender Angehöriger

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen unverzüglich folgende konkrete Vorschläge zur dringend erforderlichen Entbürokratisierung in der Pflege umgesetzt werden:

  • Schaffung einer zentralen digitalen Plattform rund um die Qualitätssicherung und Meldepflichten: Die Übermittlung von Prüfberichten nach der externen Qualitätsprüfung erfolgt in der Praxis nach wie vor sehr unterschiedlich über verschiedene Kommunikationswege und vielfach noch postalisch. Insgesamt müssen sich vollstationäre Einrichtungen aktuell nur zu Zwecken der Qualitätssicherung auf dem Portal der DCS
  • -Pflege, der DAS Pflege und im QPR-Portal registrieren und erhalten dennoch zusätzlich postalisch Berichte von Medizinischen Diensten und WTG-Behörden, sowie E-Mails zur Verlängerung des Prüfrhythmus oder gar Faxe zur Prüfungsanmeldung am Vortag. Aufwände, Risiken und die Fehleranfälligkeit, die mit Schnittstellen und uneinheitlichen Verfahren einhergehen, sind dabei nicht zu unterschätzen. Für Pflegeeinrichtungen sind die Aufwände, die ihnen durch derartige Strukturen entstehen, nicht mehr nachvollziehbar. Eine zentrale Plattform, die alle Akteure und Informationen rund um die Qualitätssicherung zusammenbringt und damit eine einheitliche, sichere und bürokratiearme Kommunikation ermöglicht, ist aus Sicht der Praxis und ggf. auch anderer Beteiligter dringend notwendig und im Sinne der Entbürokratisierung und damit zur Entlastung der Pflege geboten. Auch eine komplett digitale Abwicklung des Zulassungsverfahren bei den Kranken- und Pflegekassen und das Vertragsmanagement könnten hier perspektivisch zur Vereinfachung der Verfahren beitragen und damit die dringend benötigte Entlastung bringen.
  • Ankündigungsfristen bei Regelprüfungen von 1 Tag auf 3 Werktage verlängern: Die Durchführung der Qualitätsprüfung bindet in der Einrichtung viel Personal, das für diesen Zweck freigestellt werden muss und in Zeiten erheblicher Personalknappheit zu weiteren Engpässen führt.
  • Doppel- und Mehrfachprüfung: Verpflichtender Verzicht der Regelprüfung der Pflegekassen, sofern Prüfbehörden nach Landesrecht bereits in ihren Prüfungen dieselben Prüftatbestände geprüft haben und Abschluss entsprechender Vereinbarungen zwischen Pflegekassen und Prüfbehörden nach Landesrecht. Vorbild sollte das Modell der Hamburger Vereinbarung sein.
  • Verlängerung des Prüfrhythmus bei hoher Ergebnisqualität: Erweiterung der bisher auf den vollstationären Bereich begrenzten Regelung auf alle Versorgungsbereiche.
  • Anforderungen an die Pflegedokumentation bei Qualitätsprüfungen: Beschränkung auf die Anforderungen, die zum Strukturmodell vereinbart wurden.
  • Wegfall des Präqualifizierungserfordernisses nach § 126 SGB V bei der Inkontinenzversorgung.
  • Gemeinsamer Jahresbetrag § 42a SGB XI: Versicherte müssen Transparenz über bereits verbrauchte Leistungsbeträge der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege haben. Da nur die Pflegekassen, jedoch nicht die Leistungserbringer über diese Informationen verfügen, soll die Informationspflicht an die Versicherten auf die Pflegekassen übergehen.
  • Reha- und Vorsorgeleistungen für pflegende Angehörige praxistauglich gestalten: Antrag auf und Kostentragung für die Unterbringung der zu versorgenden pflegebedürftigen Person sollen einheitlich für alle Fallkonstellationen durch den jeweils für die Reha oder Vorsorge zuständigen Kostenträger erfolgen.

Dokumente zum Download

250623_RefE_Stärkung_Pflegekompetenz.pdf (2 MB)

2025-07-14_BAGFW-Stena_Referentenentwurf_PKG_final.pdf (709 KB)

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