
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Eine aktuelle Studie des Paritätischen Gesamtverbandes zur sozialen Lage von Menschen im Bürgergeld zeigt das erschreckende Ausmaß materieller Entbehrung: Fast jeder Fünfte hat kein zweites Paar Schuhe. Jeder Dritte kann sich keine vollwertige Mahlzeit jeden zweiten Tag leisten. Mehr als die Hälfte kann kaputte Möbel nicht ersetzen. Dies geschieht trotz Tafeln und Sozialkaufhäusern – und während die Bundesregierung stärkere Sanktionen für Leistungsberechtige plant.
Die Hälfte aller Menschen im Bürgergeld lebt 2024 in materieller Entbehrung – ein dramatisch höherer Wert als bei Menschen ohne Bürgergeld-Bezug, wo dies nur auf 8,9 Prozent zutrifft. Die konkreten Auswirkungen zeigen, was dies im Alltag bedeutet: 86,6 Prozent können keine unerwarteten Ausgaben von 1.250 Euro finanzieren. Mehr als die Hälfte, nämlich 55,4 Prozent, kann kaputte Möbel nicht ersetzen. Fast ein Drittel kann nicht mal gelegentlich, also einmal im Monat, mit Bekannten essen oder trinken gehen. Fast jeder Fünfte hat Zahlungsrückstände bei Miete, Strom oder Heizung. Besonders alarmierend ist, dass 30,8 Prozent sich nicht mal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten können – und 17,2 Prozent haben kein zweites Paar Schuhe.
„Es ist ein Skandal, dass Millionen Menschen nicht einmal das Nötigste haben", erklärt Dr. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Während die Bundesregierung aktuell Reformpläne vorlegt, in denen vorrangig von Kürzungen und Verschärfungen die Rede ist, können Menschen im Bürgergeld sich keine tägliche vollwertige Mahlzeit leisten und haben kein zweites Paar Schuhe. Das ist beschämend für unser Land. Besonders bitter: Knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in dieser Armut auf. Statt Verschärfungen brauchen wir endlich eine spürbare Erhöhung der Regelbedarfe."
Die statistischen Daten untermauern die dramatische Lage: Menschen im Bürgergeld leben deutlich unter der Armutsgrenze von 1.381 Euro monatlich – ihnen fehlen dazu im Schnitt fast 500 Euro jeden Monat. Die Differenz zwischen dem, was jemand bekommt und der Armutsgrenze ist die sogenannte Armutslücke. Diese Armutslücke ist in den vergangenen Jahren drastisch angewachsen. Sie betrug bei Alleinlebenden 2010 noch 308 Euro. 2023 stieg sie auf 474 Euro.
Selbst die deutlichen Erhöhungen der Regelbedarfe in den Jahren 2023 und 2024 konnten diese Entwicklung nicht stoppen. Das Bürgergeld entspricht damit nur etwa 40 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland. Die Leistungsberechtigten wurden von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt: Während die Nettoeinkommen anderer Haushalte preisbereinigt um ein Drittel anstiegen, stagnieren die Regelbedarfe seit 30 Jahren auf dem Niveau von 1995.
Die Analyse zeigt: Die zweifachen Erhöhungen der Regelbedarfe 2023 und 2024 um jeweils über 10 Prozent haben zu keinem nennenswerten Rückgang der materiellen Entbehrung geführt. Diese Anpassungen kompensierten lediglich Kaufkraftverluste durch die Inflation – von 2021 bis Ende 2023 summierten sich diese bei einem Singlehaushalt auf bis zu 1.012 Euro. Eine strukturelle Verbesserung der defizitären Lebenslage wurde nicht erreicht. Die geplanten Nullrunden in den Jahren 2025 und 2026 werden die Lebenslage der Leistungsberechtigten weiter spürbar verschlechtern und die Armutslücke erneut vergrößern.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Grundsicherungsleistungen ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern, nicht gerecht werden. Eine strukturelle und dauerhafte Erhöhung der Regelbedarfe ist dringend geboten, um Armut wirksam zu bekämpfen und soziale Ungleichheit zu reduzieren.
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