Aus dem Projekt „Gib deine Stimme“ des Schauspiels Frankfurt am Main, Januar/Februar 2016
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Können Sie die Vorgänge im Iran noch erschüttern? Nach 35 Jahren in Frankfurt und einigen Rückkehrversuchen, die sich sämtlich als Rückschläge herausstellten?“
„Nein, aber ich bin naiv und handele immer wieder gegen eigene Erfahrungen und Einsichten“, antwortet Masoud mit sarkastischem, leisem Lachen.
„Ich fliege nach Teheran, besuche meine Familie und hoffe, dass sich nach Ahmadinedschad politisch etwas verändert hat. Ja, doch, seit Rohani Präsident ist, werden noch mehr Todesurteile gefällt und vollstreckt. In der Liga der islamischen Killerstaaten sind wir, so schätze ich, mittlerweile auf dem ersten Platz, direkt vor Saudi-Arabien. Die würden auch gern noch mehr umbringen, aber dann müssten sie mangels Bevölkerungsmasse bei ihren Prinzen anfangen. Was sich natürlich ausschließt.“
Ich kenne Masoud seit fünf Jahren. Immer, wenn ich zu später Stunde in der Innenstadt ein Taxi benötige, halte ich nach seinem Ausschau. Meist steht er vor dem Theaterrestaurant am Schauspielhaus. Auf der Fahrt nach Sachsenhausen erzählt er mir dann von seinen Grenzgängen zwischen Iran und Deutschland, zwischen Deutschland und Iran.
Als junger Maschinenbaustudent, der mit den Ideen des 1953 vom CIA gestürzten Premiers Mossadegh sympathisierte, hatte er unter den Repressionen des Schah-Regimes gelitten. Doch nach der Machtübernahme Chomeinis wurde es für ihn lebensgefährlich. Fluchtartig verließ er im Frühsommer 1979 Persien.
„Als Andersgläubiger oder Ungläubiger wurde man unter dem Schah nicht behelligt. Bei Saddam Hussein im Irak und bei den Assads in Syrien, also bei Vater und Sohn, auch nicht. Wer jedoch seine abweichende politische Meinung offenbarte, musste mit schlimmen Strafen rechnen. Doch richtig vergiftet wurde unsere Gesellschaft durch Chomeini. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Aufhebung des Schleier-Verbots für Frauen. Durch seine Anti-Israel-Propaganda vertrieb er den größten Teil der Juden. Die waren seit Generationen ansässig und voll integriert. Sexualität wurde wieder zum Tabu-Thema. Alles wird begründet mit dem Koran. Dieses Buch zu lesen oder es zu verstehen, fällt vielen Iranern schwer, obwohl sie zu über 90 Prozent Moslems sind. Denn es ist in arabischer Sprache verfasst und wir sprechen Persisch. Selbst gebildete Leute sprechen besser Englisch als Arabisch. Die Koranübersetzungen ins Persische sind eine Vergewaltigung unserer kulturellen Traditionen. Arabische Namen wurden durch persische ausgetauscht, nur um die Sache stimmig zu machen.“
Masoud redet sich leicht in Rage. Manchmal ist er dabei an einer Ampel, die längst „grün“ zeigte, stehen geblieben.
„Chomeini war zwei, drei Wochen im Amt, da bekam er Besuch aus Deutschland. Von Alice Schwarzer, der Feministin. Sie trug sogar einen Schleier. Ich habe davon erst später erfahren, als ich bereits in Deutschland lebte und besser Deutsch lesen und sprechen konnte. Seitdem ist Alice Schwarzer für mich eine Schwätzerin, die vom Islam absolut nichts verstanden hat.“
Unlängst befragte ich Masoud nach seiner Meinung zu den syrischen Flüchtlingen.
„Die meisten wissen kaum etwas über Deutschland. Sie vertrauen den Parolen, die vor allem auf Facebook verbreitet werden. Sie werden es hier sehr schwer haben. Im Gegensatz zum Iran ist dort das Schulsystem schlecht. Es gibt viele Analphabeten. Eine Berufsausbildung für Handwerker und Kaufleute wie in Deutschland existiert nicht. Man wird angelernt und irgendwann ist man Bäcker, Maurer, Schlosser, Schneider oder Schuster. Die guten Schulen und die Universitäten stehen faktisch nur den besseren Kreisen offen, weil die das Geld dafür aufbringen können.
Die Oberschicht ist sehr gut ausgebildet. Syrische Ärzte und Ingenieure genießen auch im Ausland einen exzellenten Ruf. Assad selbst ist ursprünglich Augenarzt. Aus der Oberschicht entstammen auch die meisten politischen Flüchtlinge. Sie orientieren sich meistens an westlichen Maßstäben. Vielfach wurden sie in Gefängnissen gefoltert. Die einfachen Menschen leben jedoch in der Tradition des Islam, den sie nicht hinterfragen und sind obrigkeitshörig. Die Männer erziehen ihre Söhne zu Paschas und kujonieren ihre Frauen und Töchter.
Mir tun die Kinder, die jetzt nach Deutschland kommen, besonders leid. Die hätten eine Chance verdient. Aber dazu müsste der Staat massiv in die Erziehung eingreifen. Doch das wird er nicht tun. Vor 40, 50 Jahren war er schon nicht in der Lage, die Türken zum Erlernen der deutschen Sprache zu verpflichten und die Frauen daran zu erinnern, dass in der Türkei ein Kopftuchverbot in der Öffentlichkeit herrschte und dass sie sich bitteschön auch hier daran halten sollten. Die Deutschen, die so gern den Schulmeister spielen, sind auch manchmal fürchterlich konfliktscheu, sogar feige.“
Etwas desillusioniert verabschiedete ich mich von Masoud; denn wir hatten meine Wohnung erreicht.
Foto: Vor dem Bundestag in Berlin
Info:
Dieser Text wurde verfasst für das Projekt „Gib deine Stimme“ des Schauspiels Frankfurt am Main, Januar/Februar 2016