BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 24
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Die Mitglieder der Internationalen Jury 2019, Juliette Binoche (Präsidentin), Justin Chang, Sandra Hüller, Sebastián Lelio, Rajendra Roy und Trudie Styler vergeben im Internationalen Wettbewerb obligatorisch folgende Preise:
Goldener Bär für den Besten Film (für den / die Produzent*in)Silberner Bär Großer Preis der JurySilberner Bär Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnetSilberner Bär für die Beste RegieSilberner Bär für die Beste DarstellerinSilberner Bär für den Besten DarstellerSilberner Bär für das Beste DrehbuchSilberner Bär für eine Herausragende Künstlerische Leistung aus den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design
Goldener Bär für den Besten Film
© Guy Ferrandis / SBS Films
Synonymes (Synonyme)
von Nadav Lapid
Produzent*innen: Saïd Ben Saïd, Michel Merkt
Silberner Bär Großer Preis der Jury
© Jean-Claude Moireau
Grâce à Dieu (Gelobt sei Gott)
von François Ozon
Silberner Bär Alfred-Bauer-Preis
© Peter Hartwig / kineo / Weydemann Bros. / Yunus Roy Imer
Systemsprenger
von Nora Fingscheidt
Silberner Bär für die Beste Regie
© Nachmittagfilm
Angela Schanelec für
Ich war zuhause, aber
Silberner Bär für die Beste Darstellerin
© Li Tienan / Dongchun Films
Yong Mei in
Di jiu tian chang (So Long, My Son) von Wang Xiaoshuai
Silberner Bär für den Besten Darsteller
© Li Tienan / Dongchun Films
Wang Jingchun in
Di jiu tian chang (So Long, My Son) von Wang Xiaoshuai
Silberner Bär für das Beste Drehbuch
© Palomar 2018
Maurizio Braucci, Claudio Giovannesi, Roberto Savianofür
La paranza dei bambini(Piranhas) von Claudio Giovannesi
Silberner Bär für eine Herausragende Künstlerische Leistung
© 4 1/2 Film
Rasmus Videbæk für die Kamera in
Ut og stjæle hester (Pferde stehlen) von Hans Petter Moland
UNSERE ERSTEN INTERPRETATIONEN zur Preisvergabe
Es ist viel glimpflicher abgegangen als befürchtet, denn die letztjährige BERLINALE-Preisvergabe hat uns das Fürchten gelehrt. Man sieht auch hier, daß die verschiedenen Preise, die zu vergeben sind, auf die Filme, die herausragten, verteilt sind. So war es einfach klar, daß der chinesische Film, der buchstäblich den gesamten Berlinale Palast bei der Pressevorführung zu Tränen rührte - und das drei Stunden - einen Preis erhalten muß. Der Film ist konventionell gedreht, was ja nichts Negatives ist, sondern sagen soll, daß er eine Filmerzählung ist, die gar keine besondere Kamerafahrten oder sonstige Auffälligkeiten hätte haben dürfen, weil sonst der Fluß der Erzählung, die drei Generationen umfaßt, abgelenkt worden wäre.
Daß nun die beiden Hauptdarsteller die Schauspielerpreise erhalten haben, ist völlig in Ordnung. Sie sind die Träger des Geschehens und auch Träger der Rührung, die dieser Film auslöst. In dem Moment - mit den Männern ging es wieder auf der Bühne los, in der schriftlichen Darstellung, siehe oben, kommt erst die Frau - , wo bekannt wurde, daß Wang Jingchun, der Vater und Ehemann aus SO LONG, MY SON den Preis für die männliche Darstellung erhält, konnte es gar nicht anders sein, als daß auch seine Filmfrau - Yong Mei - den entsprechenden Preis für die beste Darstellerin bekommen müßte, denn es ist eine Einheit als Ehepaar, die uns rührt. Daß der Film so unter die Haut geht, wird hier allein den Darstellern zugesprochen. Das ist legitim, auch wenn der Regisseur damit mitgemeint ist.
Über den Regiepreis an Angela Schanelec wollen wir nicht räsonieren. Wir konnten mit dem Film nichts anfangen, wie die Besprechung zeigt. Sicher ist auch eine Einschätzung bei Filmen davon abhängig, was man erwartet. Für den normalen Zuschauer, und auch Kritiker können normale Zuschauer sein, ist ausschlaggebend, wie die Geschichte erzählt wird, wie er folgen kann, wie er den Handlungsfaden verfolgt und im Spiel der Darsteller die Gefühle entdeckt oder wiederfindet. Aber es gibt auch andere Kriterien, die für die Qualität von Filmen stehen können, die Kamerafahrt, das Licht, Verfremdungseffekt, Ton, Farbe oder Schwarzweiß, auch Zusammenstellungen von Szenen, die Assoziationen erzeugen sollen. Das soll bei dieser Auszeichnung eine Rolle gespielt haben.
Uns fiel etwas anderes auf: die Hauptpreise sind alle an Europäer gegangen. Für die Kamera ein Norweger, für den besten Film die Flucht eines Israeli nach Paris, aber auch ein weiterer Preisträger spielt in Frankreich!!: Grâce à Dieu (Gelobt sei Gott) von François Ozon. Überraschend ist ja, daß dieser sehr bekannte Regisseur ein solch eher schwieriges, weil auch sprödes Thema verfilmt, das in Frankreich gerade aktuell ist, wie es aktueller nicht sein könnte.
Der Film ist gut und er ist wichtig und von hoher gesellschaftlicher Bedeutung dazu. Aber das sind andere Filme auch. Wir vermuten, daß die Jurypräsidentin Juliette Binoche als Französin durchaus durchsetzungsfähig ist, denn die Preise werden fast immer innerhalb der Jury hin und hergewendet. Geb ich Dir was, gibst Du mir was. So stelle ich mir das vor und dafür gibt es auch Beweise.
Nach der zweimaligen Prämierung für einen in Frankreich spielenden Film ist Italien nicht weit und Neapel, wo der Film La paranza dei bambini(Piranhas) von Claudio Giovannesi spielt. Vorlage ist der Roman LA PARANZA DEI BAMBINI von Roberto Saviano, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, so daß uns merkwürdig, ausgerechnet bei diesem Film das Drehbuch auszuzeichnen oder besser gesagt, nicht merkwürdig, sondern als politische Aussage, denn Saviano hat es bei der gegenwärtigen politischen Führung in Italien sehr schwer. Betrachtet man weiter den Film, wie den Gewinnerfilm des Israeli in Paris oder den über die Pädophilie bei katholischen Würdenträgern unter dem Gesichtspunkt der aktuellen politischen Situation, kann man sich schon vorstellen, daß ein tagespolitischer Ansatz bei der Jury durchschlug, was nicht nur erlaubt ist, sondern in Zeiten wie diesen besonders wichtig ist. Film ist nicht nur zur Belustigung und Erbauung einsetzbar, sondern formt unser Bewußtsein. Filme, die unsere Gesellschaft, unsere Probleme wiedergeben und Auswege, bzw. Lebensentwürfe sichtbarmachen, zeigen, Filme können als Fanal wirken, daß Filme auf die gesellschaftliche Gegenwart reagieren und Handlungsweisen vorschlagen. Allerdings ist in allen drei Fällen der diesmaligen Preisauswahl der Aspekt des Politischen doch eher mit Gesellschaft und Staat verbunden, als mit dem, was ja Motto des Festivals war, daß nämlich das Private das Politische sei. Das kam in anderen Filmen stärker zum Tragen. Aber das schrieben wir schon. So richtige Skandale verursachen diese Preise nicht. Und meistenteils kann man die Meinung sogar teilen.
Foto:
Synonymes | Synonyms | Synonyme
Land: FRA/ISR/DEU 2019
Regie: Nadav Lapid
Bildbeschreibung: Tom Mercier
Sektion: Wettbewerb
© Guy Ferrandis / SBS Films