berl19 19usraelBERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 19

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Rätselhafter junger Mann, der auf dem Pariser Flughafen ankommt und der zu einer bestimmten Wohnung fährt, unter dem Läufer im Hausflur den Schlüssel findet – aha, das war mit jemandem verabredet –, in die Wohnung eintritt, die groß und eigentlich feudal mit Stuck ausgestattet, aber total leergeräumt ist. Yoav (Tom Mercier) heißt er, erfahren wir später, er zieht sich aus, duscht sich ausgiebig in der Badewanne, wie war das, ist er dann im Wasser eingeschlafen oder einfach liegengeblieben, auf jeden Fall fröstelt ihn gehörig, er saust aus der Wanne zu seinen Sachen, die jedoch sind verschwunden mitsamt seinem Rucksack, alles ist weg und die Wohnungstür steht offen.

Was wie ein Alptraum beginnt, geht so weiter. Aber es ist die Wirklichkeit. Er läuft splitterfasernackt durchs Treppenhaus, schellt verzweifelt bei verschiedenen Parteien, ist wieder in der Wohnung, versucht sich warm zu reiben und schließlich kümmern sich Nachbarn um ihn, der anteilnehmende Emile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte). Sie legen den Durchfrorenen erneut in die heiße Wanne und rubbeln ihn ab. Sie werden die Helferrolle spielen, die sich der junge Mann zu Hause verbeten hat. Er hat Israel verlassen und will nie wieder zurück. In diesem Punkt gleicht er dem Regisseur, der mit Haim Lapid auch das Drehbuch schrieb. Es sind also eigene Erfahrungen, aus denen dieser Film entstand, wenngleich die Figur im Film wesentlich radikaler ist als es der Regisseur je war, der zwar mit derselben Absicht wegging, aber klüger wurde und sein Filmstudium dann in Israel aufnahm. Er ist sicher ein Wanderer zwischen den Welten, die ja so verschieden nicht mal sind.

Das wird dann in der Pressekonferenz angesprochen, das Bild vom Ewigen Juden, von Ahasver, der ohne Heimat durch die Welt zieht. Aber mal abgesehen davon, daß dieses Bild kein genuin jüdisches ist, sondern aus christlichen Sagen resultiert, also auch eher eine Strafe bedeutet, ohne Heimat immer weiterziehen zu müssen, wäre dies Bild auch deshalb falsch, weil Yoav kein Wanderer ist, er ist aus Israel geflohen und will für immer in Paris bleiben. Er will dereinst sogar dort beerdigt werden, heißt es ausdrücklich. Er ist buchstäblich nackt, der Rucksack und alles andere mußte geklaut werden, damit das Existentielle der Situation deutlich wird, die über Kleidung und Gegenstände hinausgeht. Eigentlich müßte er, würde das in Mexiko spielen, sich sogar häuten, wie Xipe Totec, der danach neugeboren wird, also sogar eine neue Haut hat. Für Yoav langt, daß er nie wieder Ivrit sprechen will und sich das Französische einverleiben will. Er goutiert tatsächlich die einzelnen französischen Wörter wie eine Leibspeise.

Geld, das ihm Emile zusteckt, will er nicht haben, er möchte sein eigenes Geld verdienen und gibt eine Anzeige als Modell auf. Da allerdings kommt er in Situationen, daß er bei einem Fotografen für Pornobilder und Videos herhalten soll, was er mit Todesverachtung vollzieht, dabei aber, als er auch sprachlich seine Nacktheit zum Aufgeilen für andere demonstrieren soll, ins Hebräische verfällt. Wichtiges Zeichen, denn es zeigt, daß seine Absicht, seine Erinnerungen aus Israel dort zu lassen, nicht möglich ist, sie holen ihn und sei es nur über die Sprache ein. Aber, das erfahren wir später, die Bilder von zu Hause auch. Und diese Prostituierung ganz eigener Art geht auch nicht spurlos an ihm vorüber.

Zu den ersten Hilfsaktionen von Emile und Louise, deren Status schwimmend ist, gehört, ihn einzukleiden mit Sachen, die vorhanden sind und von denen er sich Stücke auswählen kann. Sein Lieblingsstück mit dem er durch Paris wandert, wird ein senfgelber Mantel sein, schmal geschnitten und eher kurz, dafür aber mit einem hochklappbaren Kragen, auffällig und für ihn wie ein Panzer oder auch eine Uniform. Später wird Nadav Lapid sagen, Filme seien oft klüger als ihre Regisseure. Im Fall des senfgelben Mantels auf jeden Fall. Seit dem frühen Mittelalter wurde in fast jeder Darstellung des letzten Abendmahls Judas mit einem gelben Überwurf und dem dicken Geldbeutel gekennzeichnet, der Gewinn für seinen Verrat den Römern gegenüber. Die Farbe gelb wurde später als Farbe der Falschheit generell den Juden zugewiesen, bis hin zum gelben Judenstern der Nazis. Aber, gleich vergessen, das hatte der Regisseur nicht im Sinn, mag aber diese Interpretation durchaus. Er ist nämlich ein Gekennzeichneter, dieser Yoah, der glaubte, allein ein Ortswechsel könne seine Identitätsprobleme und sein Problem mit Israel auslöschen. Das geht nicht, aber aufgeben wird er auch nicht. Als ihm Emile vorschlägt, Louise zu heiraten, damit er problemlos Franzose wird, ist er erst widerständig, findet den Vorschlag dann gut.

Die beiden heiraten. Aber der Zuschauer empfindet diesen Emile in einer homoerotischen Gemengelage viel eher als seinen Partner. Doch ein Film muß nicht alles klären. Auf jeden Fall ist diese Personenkonstellation sehr durchdacht. Denn Frauen neigen dazu, zu helfen, das will Louise auch, aber gleichzeitig ist sie viel distanzierter als Emile, der sich voll reinhängt, insbesondere, als dann auch noch Yoavs Vater aus Israel auftaucht, der seinen Jungen nach Hause holen will, was mißlingt.

Man weiß nicht genau, was die auf der Berlinale in den Pressekonferenzen anwesenden Journalisten über Israel wissen und denken. Auf jeden Fall fiel schon bei dem Film DIE AGENTIN auf, daß es fragenswert war, wieso dieser Film von Israel gefördert werde, wenn der Geheimdienst (Mossad) so schlecht dabei wegkomme. Als ob eine Regierung Netanyahu das ganze Land gleichgeschaltet hätte. Genauso verlief es hier. Daß dieser Film, der einen jungen Israeli zeigt, der sein Land verläßt, weil er es dort nicht mehr aushält, israelische Produzenten und Geldgeber hat, rief Erstaunen hervor.

Weniger, was den Empfang in Frankreich angeht. Denn das tut der derzeit verwundeten französischen Seele gut, daß dieser junge Mann aus Israel Franzose werden will, wo so viele jüdischen Mitbürger das Land verlassen. Insofern arbeitet der Regisseur dabei gegen den Zeitgeist, den er ansonsten blühen läßt.

Es ist eine bittere Erfahrung für alle, die neu anfangen wollen, daß man sich, seine Seele, seine Erinnerungen, seine inneren Bilder nicht abstreifen kann wie die Kleidung, die hier so passend entwendet wurde, ein Verlust, der dem jungen Yoah die Identitätsarbeit aber nicht abnehmen kann. Wie heißt der Spruch? Man muß wissen, woher man kommt, wenn man versuchen will, woanders hinzugehen. Ein weites Feld und ein interessanter Männerfilm.

Foto:
Tom Mercier 
© Guy Ferrandis / SBS Films

Info:
Yoav      Tom Mercier
Emile     Quentin Dolmaire
Caroline Louise Chevillotte