BERLINALE 2019: Der Wettbewerb, Teil 4
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn der berühmte und in Berlin besonders geehrte chinesische Regisseur Wang Quan‘an in der Pressekonferenz fast stolz erzählt, daß er vier Wochen vor dem Dreh noch keine Geschichte für den Film hatte, und zwei Wochen zuvor auch noch keine Schauspieler, so muß man ihm antworten, daß man Ersteres merkt. Und er gibt dann ja auch zu, daß er noch beim Anfang nicht wußte, wie es weitergehen wird, nur die nackte Leiche einer Frau in den unendlichen Weiten der mongolischen Steppe, das stand für ihn als Anfang fest.
Später wird er sagen, daß ihm die Hauptdarstellerin, die Mongolin, die auch von den sehr weit entfernten Nachbarn nur die Dinosaurierin genannt wird, nach den Aufnahmen zugesteckt habe, ihre Zeugung sei auf dem selben Weg passiert.Und damit uns nicht das passiert, was der Regisseur ohne Skrupel im Film tat, wollen wir wenigstens auf die nackte Frau eingehen. Die ist nämlich nur Auftakt, soll uns fesseln, was sie tut. Aber sie wird später vom Leichenwagen abgeholt, ohne daß sie je wieder eine Rolle spielt. Es gäbe einen Verdächtigen. Wäre doch interessant in einer endlosen Landschaft dem nachzugehen. Und die Landschaft und auch das Können des Kameramannes Aymerick Pilarski, die Weite und das raue Klima dieser Landschaft, die ewig wogenden Gräser, der kalte Wind, den man selbst im Kino auf der Haut spürt, auf so beeindruckende Weise wiederzugeben, reißt sozusagen den Film raus. Für mich. Das muß ich dazusagen, denn die männlichen Kollegen reihum waren von diesem Film begeistert, gegen den ich zunehmend Aggressionen entwickelte.
Kurz die Geschichte: Die Tote wird zufällig bei einer Streifenfahrt der Polizei entdeckt, zur Sicherung des Tatorts wird der jüngste Polizist, ein 18jähriger zurückgelassen, wobei der Kommissar die Dinosaurierin bittet, sich um den Jungen des Nachts zu kümmern. Die, über eine riesige Schafherde verfügend, schreitet auf ihrem Kamel - die zweihöckrigen Trampeltiere stammen aus Asien - erst heimwärts, ruft ihren Mann für alle Gelegenheiten an und herbei, er möge bitte ein Schaf schlachten, was der tut und sie daran erinnert, daß er auch für andere Dienste gerne zur Verfügung stünde. Die Blutsuppe nimmt sie mit einer großen Flasche Alkohol mit zum nächtlichen Besuch des jungen Mannes bei der Frauenleiche.
Wir haben sehen können, wie dem nicht nur fad ist, allein in der Weite, die Leiche vor der Nase, sondern eben auch, wie er friert. Und dann kommt für mich die schönste Szene des Films, wo er wie ein Rumpelstilzchen nach der Weise von Elvis Presley LOVE ME TENDER herumtanzt. Das ist derart absurd, daß ich ab da Surreales erwartete. Stattdessen macht die dominante Mittdreißigerin erst ein Feuer, dann den Jungen besoffen und erlöst den dankbaren Knaben endlich von seiner Jungfräulichkeit. Diesseitiger und Realistische geht‘s nicht mehr.
War da nicht eine Leiche? Schon, aber um die geht es einfach nicht mehr. Sie wird dann schnöde abgeholt. Vorher hat jedoch die Führungskraft Mongolin noch die Wölfin erschossen, von der sie zuvor erzählte, diese habe Junge zu versorgen. Und dann kommt am Schluß der Mann für alle Gelegenheiten, weil eine Kuh kalbt. Das sind deshalb irre Bilder, weil der Geburtsvorgang echt ist, aber die beiden Angst haben, daß das Neugeborene in der Kälte sterben wird, weshalb sie das Ganze ins Zelt verlegen, wobei sie dann eine alte Gewohnheit wieder aufnehmen und miteinander schlafen. Beiläufig teilt sie ihm mit, daß sie schwanger ist.
Regisseru Wang Quan‘an hat diesen Film in der Pressekonferenz nach der Vorführung ausdrücklich Dieter Kosslick gewidmet, der für ihn, seine Karriere und auch für den chinesischen Film so wichtig war. Wir konnten den Chinesen letztes Jahr in der Jury erleben, er hatte mit TUAN YUAN die Berlinale 2010 eröffnet und den Silbernen Bären für das Drehbuch gewonnen, TU YA DE HUN SHI hatte 2007 sogar den Goldenen Bären für den besten Film erhalten. Das war sein dritter Film, der zweite wurde 2004 im Panorama und sein Debütfilm 2002 im Forum der Berlinale gezeigt. Also eine außerordentliche Verbundenheit mit den hiesigen Festspielen und dem bisherigen Leiter. Auf der Pressekonferenz trat er sehr eloquent und mit gekonntem Kulturpessimismus auf - gegen den wir nichts haben. Er sprach von der Menschheit als Wimpernschlag der Geschichte, vom Überleben des Volksstamms der Mongolen, daß es um die Bewahrung der menschlichen Rasse gehe. Menschen sind Teil der Natur und die Dinosaurierin hat ihre Weisheit aus der Natur, die das transzendiert was wir als Moral bezeichnen.
Man kann aber auch sagen, daß hier vom Werden und Vergehen in sehr gewöhnlichen Metaphern gesprochen wird. Drei Tote. Drei Morde. Die Frau im Gras, die Wölfin und das Schaf. Daß der Regisseur zwar die Wölfin am nächsten Tag als gefroren über die Gräser ziehen läßt, die Frau beim Umbetten auf die Liege aber weder Leichenstarre, noch Frost aufweist, nur nebenbei. Solche Sachen sind uns nicht so wichtig, weil beckmesserisch. Aber wir finden es plump und nicht allgemein menschlich, wenn den drei Toten zwei Geburten gegenübergestellt werden. Das Kälbchen und die Schwangerschaft, die die resolute Hirtin dem Mann für alle Gelegenheiten mitteilt, woraus der schließt, daß er auch für die nächste Zeit ihr Bettpartner sein darf. Mehr ist nicht drinnen, denn ihn heiraten wird sie nicht.
P.S. Der mongolische Titel ÖNDÖG bedeutet: ein Kind zu machen
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E.DULAMJAV AORIGELETU B.NORIBUZHABU