Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Für den normalen Berlinalejournalisten – es soll 3 500 geben – beginnt das Filmfestival an dem Tag, an dem die Berlinale in einer abendliche Zeremonie eröffnet wird, woran sich die Vorführung des Eröffnungsfilms anschließt. Aber da sind meist keine Journalisten mehr dabei, denn die haben am Mittag in der ersten Pressevorführung den Film schon sehen können, denn am nächsten Tag soll ja ihre Kritik schon in der Zeitung stehen. Aber richtig los geht es sogar Stunden vorher, wenn sich die Wettbewerbsjury in einer Pressekonferenz den Fragen stellt.
Das ist oft ein Durcheinander an Fragen, die sich auch wiederholen, aber man bekommt doch schnell ein Binnenklima der Jury mit und auch, wer sich mit welchen Äußerungen hervortut. Wir hatten die diesjährige Internationale Jury schon einmal vorgestellt, aber sie vor Augen zu sehen, ist dann noch einmal etwas anderes und der Berlinalesprecher tat gut daran, jeden einzelnen mit einem Hinweis auf seine Arbeit zu begrüßen. Das war von links nach rechts auf dem Podium
Justin Chang, Autor, Filmkritiker der Los Angeles Times, USA
Trudie Styler, Produzentin, Regisseurin, Schauspielerin, U.K. (und die Frau von Sting)
Sebastián Lelio, Regisseur, Chile,
Juliette Binoche, Schauspielerin, Frankreich, Jurypräsidentin
Sandra Hüller, Schauspielerin, Deutschland
Rajendra Roy, Filmchefkurator des MoMa, USA.
Auffällig war schon einmal, daß Juliette Binoche nicht die Fragen an sich zog, sondern sich als diejenige verstand, die hier auch moderiert und die Mitglieder ihrer Jury zu Wort kommen lassen will. Man hat den Eindruck, daß sie das Wort ‚miteinander‘ auch ernst meint und den Meinungsaustausch über die Filme in den Mittelpunkt stellt. Da hat die Jury vom 7. bis zum 17. Februar genug zu tun. Insgesamt werden im Wettbewerb 24 Filme gezeigt, von denen aber nur 17 sich um den Goldenen Bären und die anderen Preise rangeln. Die anderen sieben Filme werden a.K. gezeigt, was außer Konkurrenz bedeutet. Das hat oft mit Verleihrechten zu tun, mit Weltpremieren etc. und was den Film VICE – DER ZWEITE MANN angeht, der von Dick Cheney handelt, dem ehemaligen US-Vizepräsidenten, so ist dieser Film schon in Pressevorführungen gezeigt worden, denn er läuft schon am 21. Februar in den deutschen Kinos an und zeigt eine bitterböse Satire auf das amerikanische politische System, die wohl auch zeigen soll, daß der gegenwärtige Präsident kein Ausrutscher der amerikanischen Geschichte ist, sondern in eine bestimmte Linie der angeblichen Volksvertreter paßt.
Großes Thema war die Frage, was denn das Politische sei, wenn auch zu Filmen gesagt wird: Das Private ist politisch, eine alte Floskel der 68er, die damals so stimmte wie heute, auch wenn manche Leute sich schwer tun, dies zu verstehen. Man könnte einfach darauf antworten, daß Filme über das private Leben von zwei oder mehr Menschen dennoch zu einem politischen Film werden können, dann nämlich, wenn man ihre Eingebundenheit in die Gesellschaft der jeweiligen Länder einfängt. Und nimmt man sich das erst einmal vor, entdeckt man sehr schnell, daß auch in dem sogenannten Privaten die Strukturen der Gesellschaft verinnerlicht sind, sich wiederfinden, sei es Patriarchalisches oder Rassistisches etc.
Ein weiterer Fragekomplex galt den Reichen und den Armen und inwieweit eine Verteilung stattfindet, besser: eben nicht stattfinden. Das gilt sowohl für die reichen und armen Länder, wie ich über die jeweiligen Gesellschaftsschichten in den unterschiedlichen Ländern. Einig war sich die Jury, daß wir uns derzeit in einer sehr kalten Weltsituation befinden, die gefährlich wirkt.
Und dann die Fragen nach dem Deutschen Film, der seit Jahren immer wieder totgesagt, durchaus lebt. Da wurde behauptet, das deutsche Kino verliere Bedeutung international, aber hatte es die je? Ja, sagt dazu mit Überzeugung und laut Rajendra Roy. Er kennt den deutschen Film wenigstens und spricht nicht nur darüber. Klipp und klar erklärte er, daß wir hierzulande keine Ahnung hätten, wie die Berliner Schule, nun schon in der dritten Generation, Schule mache, Filmschule mache in der Welt. Frage ist auch, was von deutschen Filmen erwartet wird.
Justin Chang auf jeden Fall ist froh, daß er einmal dem Amerikazentristischen entkommen ist, die Denkweise in den USA und im weltweiten Filmgeschäft sei extrem auf Hollywood fokussiert. Er betont ebenfalls, für ihn sei jeder Film politisch, auch dann eben, wenn er so tue, als ob er unpolitisch sei. Dann erst recht. Und Aussagen, die einzelnen Jurymitgliedern auf den Weg gegeben wurde: „Bringen Sie keine Politik rein!“, die könne man nur als lächerlich bezeichnen. Chang, der betont, daß er als Kritiker ja sonst auf der anderen Seite sitzt, freut sich vor allem auf die deutschen Filme.
Von denen gibt es, SYSTEMSPRENGER, DER GOLDENE HANDSCHUH, DER BODEN UNTER DEN FÜSSEN, ICH WAR ZU HAUSE, ABER, immerhin vier Filme, die alle im eigentlichen Wettbewerb stehen, der aus 17 Filmen besteht, was wir oben erläuterten. Das sind im Verhältnis mehr als sonst und vor allem ist außer der paritätisch besetzten Juy auffällig, wie viele Filme von Regisseurinnen gemacht worden sind.
In der Pressekonferenz sind alle Jurymitglieder mit Beifall begrüßt worden, aber orkanartig war dies bei Juliette Binoche und Sandra Hüller. Rajendra Roy, der eindeutig die meiste Ahnung vom deutschen Film hat, sagt: „Ohne Sandra Hüller ist es nicht denkbar über den heutigen Film zu sprechen, den deutschen Film zu erwähnen und nicht TONI ERDMANN zu erwähnen, geht nicht, eine Aussage, die Juliette Binoche laut beklatscht. Sie sitzt in der Mitte, sehr dezent gekleidet, fast streng, Mittelscheitel, lange Haare zur Seite, dunkles Jacket und ein Rollkragenpulli.
Auch Sebastián Lelio äußerte sich deutlich: DerTod des Films wurde häufig in der Filmgeschichte erklärt, und der Film überlebt. Allerdings sei heute die kulturelle Relevanz wichtig, was sich in der Frage ballt: „Kann ohne Leinwand, ohne daß alle zusammen den Film sehen, der Film noch funktionieren. Damit spielte er auf die Probleme mit Diensten wie Netflix an, deren Serien in aller Welt massenhaft Zuschauer vor die Fernseher holen.
Berlin nimmt im Dreiklang der großen europäischen Festivals hier eine mittlere Position ein. In Cannes wurde Netflixfilme aus dem Programm genommen, in Venedig hat man sich diesen TV-Diensten angedient, anders kann man das nicht ausdrücken. Für die Berlinale wurde vereinbart, daß der spanische Beitrag ELISA Y MARCELA von Isabel Coixet, eine Netflix-Produktion, im Wettbewerb gezeigt wird, weil er einerseits zuerst in die Kinos, erst dann ins TV-Programm kommt, zweitens erfuhr man später, daß Spanien in diesen Fragen eine andere Gesetzgebung habe als Deutschland oder Frankreich, die dies möglich mache. Aber der Regisseur Sebastián Lelio war hier wohl am deutlichsten, er sprach von der magischen, kollektiven Erfahrung des Kinos, die eintritt, wenn man Filme gemeinsam sieht. Ein schönes Schlußwort, was wir nun an 24 Filmen überprüfen können. Und darüber berichten.
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