c into the waterDie KrimiBestenliste der FAS und von Deutschlandradio Kultur JULI, Teil 3

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) - Mit großer Spannung wurde der zweite Roman von Paula Hawkins erwartet. Das liegt einfach daran, daß es trotz der gewaltige Geschäftemacherei, wie man Bücher zu Bestsellern macht, doch nicht alle Tage vorkommt, daß ein Erstling einen solchen Erfolg verbucht, wie es Paula Hawkins mit mit GIRL ON THE TRAIN gelang.

Der wurde in über 40 Sprachen übersetzt, man spricht von 20 Millionen Lesern, was mit Emilie Blunt in der Hauptrolle zudem erfolgreich verfilmt wurde. INTO THE WATER hat den Untertitel TRAUE KEINEM. AUCH NICHT DIR SELBST, erschienen bei blanvalet.

Das verweist dann schon stark auf das Gewebe des Romans, der aus Erinnerungen gestrickt wird, wobei die falschen Erinnerungen die gefährlichsten sind, die sozusagen immer wieder Maschen fallen lassen, so daß das Gestrickte keine zusammenhängende Form annehmen kann. Dabei sind falsche Erinnerungen doppelt gemeint. Es sind zum einen vorgebrachte Erinnerungen, die bewußte Fälschungen sind, um entweder von sich abzulenken oder einen anderen ans Messer zu liefern. Aber – und hier wird der Roman spannend – es unterlaufen den Menschen auch unbewußte Fälschungen der eigenen Erinnerung.

An dieser Stelle zeigt sich der Roman auf der Höhe der Zeit und wir scheuen uns nicht, solche Fragen wie Gedächtnisforschung von oder ein so erhellendes Buch wie VOM SCHLEIER DER ERINNERUNG von Johannes Fried zu nennen, denen nach unsere gesamte Geschichte Konstruktion von Erinnerung, also auch Rekonstruktion ist, die mit „Wahrheit „nun gar nichts zu tun hat, wobei auch eine solche Wahrheit mindestens zwei Seiten hat, die der Sieger und die der Verlierer.

Das nur grundsätzlich, um zu betonen, daß sich Paula Hawkins ein anspruchsvolles Feld ausgesucht hat, obwohl ja auch in GIRL ON THE TRAIN solche Fragen eine Rolle spielten, dort allerdings waren die Personenkonstellationen sehr überschaubar. Das aber ist nun anders, völlig anders ist auch die ländliche abgeschiedene Gegend, wo man fast den Eindruck von Inzucht erhält, und wo jetzt die vielen vielen Personen, die jetzt eine Rolle spielen sich – siehe oben bewußt oder unbewußt – falsch erinnern.

Wie oft haben wir uns auf den 473 Seiten gewünscht, was für italienische Romane fast Pflicht ist: eine vorgeschobene Personenvorstellung mitsamt verwandschaftlicher Bezüge, zumindest Freundschaften und Liebschaften mit dabei. Das hätte uns sehr geholfen, dieses dichte Gewebe von Personen und ihren Geschichten besser zu durchdringen. Und damit das gelang, haben wir mit Bleistift eine solche Auflistung selber vorgenommen. Und wir wetten, daß wir da etwas nachmachten, was Paula Hawkins in ihrer Konzeption des Romans vorwegnahm: die personellen Verschränkungen mitsamt den Geheimnissen, die dadurch in die Welt kommen.

Wir sind in Beckford, einer kleinen Gemeinde, in die die in London lebende, einst dickliche und jetzt erfolgreiche Julia Abbott fährt, weil sie die Nachricht erhielt, daß ihre Schwester tot ist. Sie habe sich im Fluß ertränkt, hört sie und weiß eines sofort: niemals hätte ihre Schwester Selbstmord verübt. Das ist das eine. Das andere. Seit langer Zeit sind ständig

Frauen in dieser Flußbiegung ertrunken. Zufall? Ganz sicher nicht, bei solchem statistischen Material. Aber warum, was ist los in diesem kleinen Ort, wo der eine über den anderen hetzt, dann wieder niemand etwas gesehen oder gehört hat.

Julia wird hin- und hergeworfen, zum einen ermittelt sie selber, zum anderen ist sie ständig mit ihrer damaligen Rolle im Clinch, nicht nur der Rolle, die sie in den Augen des Dorfes spielte, sondern ihre eigenen Auflehnungsversuche gegenüber ihrer begabten, alles regelnden großen Schwester. Und dann noch das Kind. Das Kind ihrer Schwester. Kein Kind mehr, sondern ein jungen Mädchen von 15 Jahren, durcheinander zwischen Aggression und tiefer Verletzung durch die Tat der Mutter, die sie allein zurückläßt, verletzt auch zum einen durch das Schweigen ihrer Tante, zum anderen die wechselhaften Gefühle eines jungen Dings gegenüber ihrer schönen und allmächtigen Mutter, die nun tot ist.

Sehr langsam und durchaus spannend nähern wir uns der eigentlichen Geschichte. Denn mit dem Tod von Nel hat es ja nicht begonnen, und auch mit dem, was Nel herausbekommen hat, ist der Anfang nicht gesetzt. Es ist ein routiniertes Verfahren, wie uns Paula Hawkins in die Geschichte verwickelt, die einen erst einmal nicht unbedingt interessiert, wo aber dann ein Verweis zum nächsten einen schlüpfrigen Grund bereitet, auf dem unser Geist genauso ausrutscht, wie das Gefühl, das man dem literarischen Personal gegenüber entwickelt.

Man hat also gleichzeitig damit zu tun, die Vergangenheit der wie gesagt ganz schön unübersichtlichen personellen Gemengelage zu durchschauen, wie auch der Begleitumstände des aktuellen Mordes/Selbstmordes/Unfalls zu klären. Ist dauernd mit dem Vorgestern über das Gestern zum Morgen gedanklich unterwegs. Das ist anstrengend. Gleichzeitig hat man von diesem Roman nur etwas, wenn man sich dieser gedanklichen Anstrengung unterzieht. Der Roman liest sich also nicht von selbst. Darum ist es ganz gut, sich selbst als Rätselentwirrer zu verstehen, wenn unterschiedliche Ich-Erzähler uns verwirren. Bei den wohl elf Hauptpersonen sind es ca. sechs Ich-Erzähler und noch einige Erzähler in der dritten Person, die wir ab irgendwann nicht mehr so genau auseinander halten können.

Darum hilft es in diesem Erzähldurcheinander, sich auf das Erinnern zu konzentrieren und sich viel stärker auf die empfundene Interpretation der Geschichte und die Auswirkungen vom gestern auf das heute zu konzentrieren. Dann hat man was davon.