Hubertus von Bramnitz
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In der Biographienreihe der Goethe-Universität „Gründer, Gönner und Gelehrte“ ist soeben der 16. Band zum Leben und Wirken von Hugo Sinzheimer erschienen. Das zeigt einmal wieder, wie wichtig diese Reihe aus dem Societätsverlag ist. Hugo Sinzheimer war jüngst Thema bei einer Veranstaltung von PRO-Lesen in Frankfurt.
Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Prof. Otto Ernst Kempen porträtiert in diesem Band Hugo Sinzheimer (1875–1945) als „Architekten des kollektiven Arbeitsrechts“. In den 1920er Jahren hatte Sinzheimer an der Frankfurter Universität die erste speziell dem Arbeitsrecht gewidmete Professur an einer deutschen Universität inne.
Der Rassenwahn der Nazis entleerte gleich nach deren Machtübernahme die Frankfurter Universität. Auch Hugo Sinsheimer emigrierte. Dazu gab es eine aufschlußreiche Tagung zum 100sten Geburtstag der Universität, die Prof. Dr. Johannes Fried ins Leben rief und leitete und über die Weltexpresso berichtet hatte:
https://weltexpresso.de/index.php/heimspiel/773-internationale-konferenz-politisierung-der-wissenschaft
Über diese Tagung erschien ebenfalls ein Band im Wallsteinverlag, den Janus Gudian zuzammengestellt hatte.
Der Autor der Sinzheimer Biographie liefert ein lebhaftes Zeugnis des engagierten Demokraten, der die Rechtswirklichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts aktiv mitgestaltet hat: Als Anwalt in Frankfurt vertrat er streikende Arbeitnehmer und Gewerkschaften, als SPD-Mitglied der Nationalversammlung wirkte er an der Weimarer Verfassung mit und setzte seine Vorstellungen des Koalitions- und Tarifrechts weitgehend durch, die bis heute im Grundgesetz und im Tarifrecht Bestand haben.
Hugo Sinzheimer passt als einer der bedeutendsten Arbeitsrechtler in das Profil der jungen Frankfurter Universität, die Wissenschaftspioniere magisch anzog: von Franz Oppenheimer, dem ersten Soziologie-Professor in Deutschland, über den Immunologen Paul Ehrlich, Nobelpreisträger und Vater der Chemotherapie, bis zu dem Röntgenpionier Friedrich Dessauer und vielen mehr. Offensichtlich waren es die liberale Grundhaltung der Stiftungsuniversität und die diskursive Atmosphäre in der Stadt, die außergewöhnliche Akademiker mit zukunftsweisenden Ideen in die Main-Metropole lockten. Noch etwas zeichnete die Vertreter der „Frankfurter Avantgarde“ aus: Sie waren politisch engagiert, übten oft einen Beruf neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit aus und setzten sich ein für verbesserte Lebens- und Bildungsbedingungen. Der Rechtsanwalt Sinzheimer lehrte sowohl an der Akademie der Arbeit, die seit ihrer Gründung 1921 mit der Universität Frankfurt verbunden ist, als auch an der Universität – und erhielt den Titel „ordentlicher Honorarprofessor“.
Aufgewachsen in einer Wormser Unternehmerfamilie, entwickelte Sinzheimer früh ein Gespür für ein gerechteres Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Als er sich 1901 in Frankfurt als Anwalt niederließ, vertrat er vor Gericht oft die Interessen von Beschäftigten und Gewerkschaften – und dies mit einigem Erfolg. Als Mitbegründer der Akademie der Arbeit engagierte sich Sinzheimer besonders für diese Institution. Dort wie an der Frankfurter Universität lehrte er die neuesten Entwicklungen des Arbeitsrechts und debattierte mit den Studenten und jungen Wissenschaftlern darüber, wie es auf diesem innovativen Feld weitergehen solle. Zu seinen akademischen Schülern zählen u.a. Otto Kahn-Freund und Ernst Fraenkel, die nach ihrer Emigration bedeutende internationale Vertreter des Arbeitsrechts wurden. Sinzheimers Werk Grundzüge des Arbeitsrechts ist auch heute noch eine Fundgrube aktueller Ideen, wie Kempen in der ersten Monographie über Sinzheimer herausarbeitet. Wie zahlreiche andere Wissenschaftler der Goethe-Universität musste auch Sinzheimer emigrieren. Er flüchtete mit seiner Familie in die Niederlande. Dort starb er am 16. September 1945, einen Tag bevor er seine Abschiedsvorlesung an der Amsterdamer Universität gehalten hätte.
Der Autor
Prof. Dr. Otto Ernst Kempen (Jahrgang 1942) war Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht, Verfassungsrecht und Politikwissenschaft an der Akademie der Arbeit, und auch lange Jahre Direktor der Akademie. Außerdem lehrte Kempen als Honorarprofessor an der Goethe-Universität. Gleichzeitig leitete er das Seminar für Arbeits-und Sozialrecht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und beriet viele Gewerkschaften als Anwalt.
Die Unterstützerin
Diese Sinzheimer-Biographie wurde ermöglicht durch das 2010 gegründete Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht. Dass Institut fühlt sich „dem humanistischen Erbe Hugo Sinzheimers und mithin der Freiheit und Würde der arbeitenden Menschen“ verpflichtet, wie es im Gründungsstatut heißt. Die Kooperation zwischen dem Institut und der Goethe-Universität hat sich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre eindrucksvoll entwickelt: Neben vielen Lehrveranstaltungen und wissenschaftlichen Tagungen seien in diesem Zusammenhang auch die jährlich stattfindenden Sinzheimer-Vorlesungen und der jährlich verliehene Hugo Sinzheimer Preis für die besten arbeitsrechtlichen Dissertationen erwähnt.
Die Reihe
In der im Frankfurter SocietätsVerlag publizierten Biographienreihe werden Persönlichkeiten der Gründerjahre der Universität vor und nach 1914 ebenso wie die Generation des Wiederaufbaus nach 1945, aber auch Vordenker und Akteure der bildungsbewegten 1960er und 1970er Jahre porträtiert. Bisher sind bereits 16 bebilderte Bände (Preis: 14,80 Euro pro Band) erschienen. Porträtiert wurden (in der Reihenfolge des Erscheinens): Wilhelm Merton, Otto Stern, Leo Gans und Arthur von Weinberg, Franz Adickes, Fritz Neumark, Friedrich Dessauer, Theodor W. Adorno, Henry Oswalt, Franz Oppenheimer, Leo Frobenius, Ernst Kantorowicz, Max Horkheimer, Moritz Schmidt-Metzler, Heinrich Roessler, Guido von Kaschnitz-Weinberg, Hugo Sinzheimer. Anlass für die Biographienreihe war der 100. Geburtstag der Goethe-Universität im Jahr 2014.
Weitere Biographien sind geplant, so wird im kommenden Jahr ein Band über Kurt Riezler, von 1928 bis 1933 Kurator der Universität Frankfurt, erscheinen, Autor Prof. Notker Hammerstein. Mit Riezler erlebte die Frankfurter Universität eine intellektuelle Blüte. Konsequent förderte er Wissenschaftszweige, die einen Beitrag zum politisch-gesellschaftlichen Diskurs der Weimarer Republik und zur Lösung zeitgenössischer Probleme zu leisten versprachen.
Foto: Cover
Info:
Otto Ernst Kempen, <Goethe-Universität Frankfurt (Hrsg.)>, Hugo Sinzheimer, Architekt des kollektiven Arbeitsrechts und Verfassungspolitiker, Societätsverlag 2017
Moritz Epple, Johannes Fried, Raphael Gross und Janus Gudian (Hrsg.): „Politisierung der Wissenschaft“. Jüdische Wissenschaftler und ihre Gegner an der Universität Frankfurt am Main vor und nach 1933. (Schriftenreihe des Frankfurter Universitätsarchivs 5), Wallstein Verlag, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1438-2, 505 Seiten, 39,90 Euro.
Hugo Sinzheimer passt als einer der bedeutendsten Arbeitsrechtler in das Profil der jungen Frankfurter Universität, die Wissenschaftspioniere magisch anzog: von Franz Oppenheimer, dem ersten Soziologie-Professor in Deutschland, über den Immunologen Paul Ehrlich, Nobelpreisträger und Vater der Chemotherapie, bis zu dem Röntgenpionier Friedrich Dessauer und vielen mehr. Offensichtlich waren es die liberale Grundhaltung der Stiftungsuniversität und die diskursive Atmosphäre in der Stadt, die außergewöhnliche Akademiker mit zukunftsweisenden Ideen in die Main-Metropole lockten. Noch etwas zeichnete die Vertreter der „Frankfurter Avantgarde“ aus: Sie waren politisch engagiert, übten oft einen Beruf neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit aus und setzten sich ein für verbesserte Lebens- und Bildungsbedingungen. Der Rechtsanwalt Sinzheimer lehrte sowohl an der Akademie der Arbeit, die seit ihrer Gründung 1921 mit der Universität Frankfurt verbunden ist, als auch an der Universität – und erhielt den Titel „ordentlicher Honorarprofessor“.
Aufgewachsen in einer Wormser Unternehmerfamilie, entwickelte Sinzheimer früh ein Gespür für ein gerechteres Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Als er sich 1901 in Frankfurt als Anwalt niederließ, vertrat er vor Gericht oft die Interessen von Beschäftigten und Gewerkschaften – und dies mit einigem Erfolg. Als Mitbegründer der Akademie der Arbeit engagierte sich Sinzheimer besonders für diese Institution. Dort wie an der Frankfurter Universität lehrte er die neuesten Entwicklungen des Arbeitsrechts und debattierte mit den Studenten und jungen Wissenschaftlern darüber, wie es auf diesem innovativen Feld weitergehen solle. Zu seinen akademischen Schülern zählen u.a. Otto Kahn-Freund und Ernst Fraenkel, die nach ihrer Emigration bedeutende internationale Vertreter des Arbeitsrechts wurden. Sinzheimers Werk Grundzüge des Arbeitsrechts ist auch heute noch eine Fundgrube aktueller Ideen, wie Kempen in der ersten Monographie über Sinzheimer herausarbeitet. Wie zahlreiche andere Wissenschaftler der Goethe-Universität musste auch Sinzheimer emigrieren. Er flüchtete mit seiner Familie in die Niederlande. Dort starb er am 16. September 1945, einen Tag bevor er seine Abschiedsvorlesung an der Amsterdamer Universität gehalten hätte.
Der Autor
Prof. Dr. Otto Ernst Kempen (Jahrgang 1942) war Inhaber des Lehrstuhls für Arbeitsrecht, Verfassungsrecht und Politikwissenschaft an der Akademie der Arbeit, und auch lange Jahre Direktor der Akademie. Außerdem lehrte Kempen als Honorarprofessor an der Goethe-Universität. Gleichzeitig leitete er das Seminar für Arbeits-und Sozialrecht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und beriet viele Gewerkschaften als Anwalt.
Die Unterstützerin
Diese Sinzheimer-Biographie wurde ermöglicht durch das 2010 gegründete Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht. Dass Institut fühlt sich „dem humanistischen Erbe Hugo Sinzheimers und mithin der Freiheit und Würde der arbeitenden Menschen“ verpflichtet, wie es im Gründungsstatut heißt. Die Kooperation zwischen dem Institut und der Goethe-Universität hat sich sowohl in der Forschung als auch in der Lehre eindrucksvoll entwickelt: Neben vielen Lehrveranstaltungen und wissenschaftlichen Tagungen seien in diesem Zusammenhang auch die jährlich stattfindenden Sinzheimer-Vorlesungen und der jährlich verliehene Hugo Sinzheimer Preis für die besten arbeitsrechtlichen Dissertationen erwähnt.
Die Reihe
In der im Frankfurter SocietätsVerlag publizierten Biographienreihe werden Persönlichkeiten der Gründerjahre der Universität vor und nach 1914 ebenso wie die Generation des Wiederaufbaus nach 1945, aber auch Vordenker und Akteure der bildungsbewegten 1960er und 1970er Jahre porträtiert. Bisher sind bereits 16 bebilderte Bände (Preis: 14,80 Euro pro Band) erschienen. Porträtiert wurden (in der Reihenfolge des Erscheinens): Wilhelm Merton, Otto Stern, Leo Gans und Arthur von Weinberg, Franz Adickes, Fritz Neumark, Friedrich Dessauer, Theodor W. Adorno, Henry Oswalt, Franz Oppenheimer, Leo Frobenius, Ernst Kantorowicz, Max Horkheimer, Moritz Schmidt-Metzler, Heinrich Roessler, Guido von Kaschnitz-Weinberg, Hugo Sinzheimer. Anlass für die Biographienreihe war der 100. Geburtstag der Goethe-Universität im Jahr 2014.
Weitere Biographien sind geplant, so wird im kommenden Jahr ein Band über Kurt Riezler, von 1928 bis 1933 Kurator der Universität Frankfurt, erscheinen, Autor Prof. Notker Hammerstein. Mit Riezler erlebte die Frankfurter Universität eine intellektuelle Blüte. Konsequent förderte er Wissenschaftszweige, die einen Beitrag zum politisch-gesellschaftlichen Diskurs der Weimarer Republik und zur Lösung zeitgenössischer Probleme zu leisten versprachen.
Foto: Cover
Info:
Otto Ernst Kempen, <Goethe-Universität Frankfurt (Hrsg.)>, Hugo Sinzheimer, Architekt des kollektiven Arbeitsrechts und Verfassungspolitiker, Societätsverlag 2017
Moritz Epple, Johannes Fried, Raphael Gross und Janus Gudian (Hrsg.): „Politisierung der Wissenschaft“. Jüdische Wissenschaftler und ihre Gegner an der Universität Frankfurt am Main vor und nach 1933. (Schriftenreihe des Frankfurter Universitätsarchivs 5), Wallstein Verlag, Göttingen 2016, ISBN 978-3-8353-1438-2, 505 Seiten, 39,90 Euro.