Serie: „Jüdische, völkische und andere Wissenschaftler an der Universität Frankfurt/Main“ als Vorbereitung ihrer 100-Jahr-Feier 2014, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein wissenschaftlich und politisch überfälliges Unternehmen, was das Historische Seminar der Universität Frankfurt und das Fritz Bauer Institut ab heute, 27. Juni, als Internationale Tagung der Universität Frankfurt beginnt, wo nun drei Tage lang Wissenschaftler aus der ganzen Welt - außer Deutschland vor allem aus Israel und den USA - interdisziplinär untersuchen, welches geistige Klima nach der Gründung der Universität durch vorwiegend jüdische Stifter herrschte und welch intellektuelle und politische Streitkultur sich als Vorbote des Nationalsozialismus in der Weimarer Republik entwickelte.

 

 

Johannes Fried, emeritierter Professor für Mediävistik und Spiritus Rector dieser Tagung, deren Ergebnisse zur Einhundert Jahresfeier im Februar 2014 als Festschrift dann vorliegen, eröffnete die Tagung mit mehr als einem Grußwort.“Es geht um den katastrophalen Einschnitt von 1933 und um das intellektuelle Milieu, das ihm vorausging und das er geschaffen hat.Der Anlaß zur Konferenz ist ein Moment des Nachdenkens über die Wissenschaft und ihre politische Verantwortung...“.Von „Politisierung der Wissenschaft“ spricht Fried in Anlehnung an den Philosophen Karl Löwith, der vor der 'braunen Einfärbung' warnte, der er um 1930/31 an der Universität Marburg ausgesetzt war, als ihm eine allgemeine Vorlesung über Karl Marx mit dem Diktum verweigert wurde, es müsse 'ein abgeschlossenes Urteil“ vorliegen.

 

Fried: „Dazu der skeptische Analytiker, der Löwith war: 'Eine geschichtliche Kraft muß schon 'historisch' geworden sein, d.h.niemanden mehr etwas angehen, um von allgemeinem Interesse zu sein!Wer mag sich bei dieser Geistesverfassung noch wundern, wenn unsere deutsche Intelligenz vor den wirklichen geschichtlichen Größen kapitulierte und ihre allgemeinen Kenntnis von Marx in der Tat erst durch Hitler bekam.' Eine intellektuelle Kapitulation vor der anbrandenden Geschichte, vorauseilend herbeigeführt durch die Universität selbst und ihre Willigkeit gegenüber der erst anrollenden braunen Macht? Bei aller verpflichtenden Sachlichkeit der Forschung, die Wissenschaft darf sich ihrer gesellschaftlichen und damit ihrer politischen Verantwortung nicht entziehen. Das Versagen vieler, nicht eines jeden, wohl aber der Institution Universität insgesamt im Jahr 1933 muß dauerhaft warnen.“

 

Auch Karl Löwith war rechtzeitig emigriert. Mit ihm die geistige Elite Deutschlands. Dies zeigt auf sinnliche Weise ein Gemälde von Arthur Kaufmann, das Blickfang der Plakate und Flyer zur Tagung darstellt und das von Johannes Fried in seiner Einführung vorgestellt und interpretiert wurde. Arthur Kaufmann, ebenfalls vertrieben, hatte sein Gemälde ARTS AND SCIENCE FINDING REGURGE IN THE U.S.A. 1938/39 geschaffen, 1964/65 in New York überarbeitet, heute hängt es im Museum Mülheim/Ruhr und gehört dem Stil nach der NEUEN SACHLICKEIT an. Es erinnert in seiner Direktheit aber auch an die Muralisten, also die Volkserzieher wie Diego Rivera, die über Wandmalereien die Personen und die Geschichte dem Volk erzählten.

 

Das dreigeteilte Bild – das Triptychon ist eine religiöse Konnotation – zeigt insgesamt 38 Gelehrte, Schriftsteller und Künstler aus ganz Deutschland, die von Hitlers Machtergreifung 1933 betroffen waren. Diese 38 waren beileibe nicht alle und so ist unter den Dargestellten auch nur ein einziger aus Frankfurt, Paul Tillich. Das Bild, das Kaufmann als 'das wichtigste meines Lebens' kennzeichnete, zeigt auf der linken Tafel oben im Hintergrund das Ulmer Münster, von einem Hakenkreuz auf Rot verschandelt, auf der Mitteltafel den Dampfer, der nach rechts fährt, wo die rechte Außentafel rechts außen mit die Freiheitsstatue abschließt, die die amerikanische Flagge gleichsam als Fanal den Kommenden entgegenstreckt. Ein sehr eindrucksvolles Bild, das eine weit größere Resonanz in der Deutschland verdient hätte.

 

Schon deshalb verdient, weil es ein lebendiges Geschichtsbild ist, auf dem unsereiner noch vielfach die Köpfe erkennt und personell zuordnen kann, was kommende Generationen nur können, wenn diese ins visuelle kulturelle Gedächtnis der Nation gelangen. Was Albert Einstein angeht, der auf der Mitteltafel links die nach oben Gestaffelten mit weißem Haarschopf anführt, ist dies gegeben. Aber schon die neben ihm Stehende, die Erika Mann darstellt, ist uns nur als älter oder jünger bekannt und so macht man sich auf allen drei Tafeln, die jeweils gestaffelt die Emigrierten darstellen, auf die identifizierende Suche: Günther Anders, Ernst Bloch, Bruno Frank, Oskar Maria Graf, George Grosz, der Maler Arthur Kaufmann selbst mit seiner Frau, Otto Klemperer, Fritz Lang, Heinrich Mann, Klaus Mann, Thomas Mann, Erwin Piscator, Max Reinhardt, Ludwig Renn, Arnold Schönberg, William Stern, Helene Thimig, Ernst Toch – dem Komponisten wurde jüngst eine tolle Ausstellung im Jüdischen Museum in Wien ausgerichtet, Ernst Toller, Curt Valentin, Kurt Weill Max Wertheimer, Arnold Zweig.

 

Wir können einfach nicht alle aufführen, aber schon diese Namen zeigen, daß der Titel des Bildes auch heißen könnte: „Die Emigration der Künste und der Wissenschaften aus Deutschland“, denn die Mehrzahl der Dargestellten sind Schriftsteller, Komponisten, Regisseure, Schauspieler, die dem Maler Kaufmann näher standen, als die vielen, teilweise auch noch namenlosen jüdischen Wissenschaftler, die sich dann erst in den Vereinigten Staaten einen Namen machten und damit auch zeigten, welch kulturellen und geistigen Aderlaß der Nationalsozialismus für Deutschland zur Folge hatte. Eine kulturell ausradierte Landschaft. Diese Erkenntnis vermittelt dieses Historienbild. Denn obwohl sichtbar neu sachlich und volkstümlich gemalt, knüpft es an alte Traditionen an, von denen Raffaels DIE SCHULE VON ATHEN nur eine besonders prominente ist.

 

Johannes Fried hatte die Köpfe vorgestellt, „durchweg Persönlichkeiten, die den goldschimmernden Glanz , den kulturellen und wissenschaftlichen Rang der 20er Jahre in Deutschland verkörperten. Unsere Konferenz wendet sich also dem dunkelsten Augenblick in der Geschichte dieser Universität zu. Er bedrohte sie existentiell und ist um so erschütternder, als diese Universität aus der Initiative gerade herausragender jüdischer Frankfurter hervorging, allen voran Wilhelm Merton.“ In der Tat ist nicht nur die Universität durch das Kapital ihrer überwiegend jüdischen Stifter ab 1914 sofort lebensfähig geworden, sondern auch durch den großen Anteil von jüdischen Wissenschaftlern, Forschern und Nachwuchskräfte. Das zeigt sich schon daran, daß 1933 ein Drittel des Lehrkörpers als „jüdisch oder jüdisch versippt“ galt, „wie es im Jargon der neuen Herrscher hieß“. 16 weitere Mitglieder wurden aus 'politischen Gründen' ausgeschlossen.

 

Karl Herxheimer starb in Theresienstadt, Karl Pribram, Hugo Sinzheimer oder Georg Szwarzenski wurden entlassen. Letzterer war Direktor des Städel, das sich durch seine Ankaufspolitik noch heute auszeichnet: die frühe Moderne genauso wie das große Konvolut von Expressionisten – als entartet verschrien – und dem Lehrer an der Frankfurter Städelschule – Max Beckmann – der auch sofort entlassen wurde. Doch wer blieb? Wer zog seinen Nutzen daraus? Fortsetzung folgt.

 

Tagung bis 28. Juni im Campus Westend

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