c o am meerHelmut Luther, Österreich liegt am Meer. Eine Reise durch die K.U.K. Sehnsuchtsorte, Amalthea Verlag, Teil 1/4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kein Buch, um die 288 Seiten in einem Rutsch durchzulesen. Aber ein Buch, um in den 24 Geschichten, dem Vor- und Nachwort viele Tage und Nächte zu schmökern, wobei wir mit dem Personenregister begannen, wo wir gleich bei Woody Allen hängenblieben.

Das war ein schlechtes Beispiel für dieses Buch, da Allen in IM AUGE DES ZYKLONS, TRIEST nur als Beispiel für eine Art Stadtneurotiker steht und das auch nur äußerlich in einem Text, der sich zunehmend als atmosphärisch dichtes Gewebe herausstellt, in dem, wie die Spinne im Netz, die Erinnerung an Edoardo Weiss alles anfrißt, was sich um den Arzt, Gelehrten und ersten Psychoanalytiker, der in großem Stil therapierte, geschart hatte. „Wie ein Zyklon“ sei damals die Psychoanalyse über Triest hereingebrochen, schreibt der 1999 verstorbene...“. Nein, das ist jetzt nicht wichtig, noch einen zu zitieren, den heute keiner mehr kennt, aber wichtig ist es, von solchen Menschen zu erzählen wie Edoardo Weiss einer war, der wie obiger Autor weiterschreibt, dazu beitrug, daß es zu einem ‚ununterbrochenen Austausch von Erzählungen und Trauminterpretationen“ gekommen sei, zu „einem andauernden laienhaften Diagnostizieren der eigenen und fremden Neurosen, indem man sie in die eine oder andere von Freud unterschiedenen Phase (eine orale, anale und genitale) einzuordnen versuchte...“

Edoardo Weiss war ein Schüler von Freud noch zu Zeiten der K.u.K. Monarchie, aber als er 1919 nach Triest zurückkam, war die Stadt nicht mehr österreichisch, wohl aber gesättigt von der Habsburgerkultur und neugierig auf die Welt dazu. In wenigen Sätzen führt uns der Autor Luther in die Städte und das Leben und den Hintergrund des jeweiligen Protagonisten ein. Insofern sind die „Sehnsuchtsorte“ im Titel zwar nicht falsch – Triest ist einfach einer als Amalgam so verschiedener berühmter Personen und Situationen – insofern also nicht falsch, was einen dann aber immer stärker interessiert, sind die Menschen, die man in diesen Porträts kennenlernt, so daß man mit Fug und Recht sagen kann, hier schreibt einer Medaillons von Menschen, die ja sonst gemalt und gerahmt werden.

Und er macht es gut, so gut sogar, daß wir gar keine Lust mehr hatten, diese 24, uns zuvor oft völlig unbekannten, aber absolut vielseitigen Personen, im Überblick zusammenzufassen oder sie auf die regionalen Gebiete zu verteilen, die man in der Kartographie überblicken kann, die auf einer Doppelseite vor der Einleitung Platz fand. Für uns war ganz wichtig, diesen Bezug zum Meer, den Österreich rund um die Adria hatte, immer wieder vor Augen zu haben. Im Norden Lienz – Wien liegt schon ganz weit weg – und im Süden Modena/Italien im Westen und Brujuni und Pula/Kroatien im Osten und dazwischen oben den Adriabogen von Venedig bis Triest mit Gorizia, Görtz und Slowenien.

Inwieweit die Landschaftsbezeichnungen heute welchen Staaten zugehörig sind, wo liegt Istrien, wie es mit dem slowenischen Zugang zum Meer ist - oder sind es die Kroaten, die einen so schmalen haben, das sind Fragen, wo diese Karte dann nicht weiterhilft, aber man flugs andere heranzieht, denn wenn man sich schon in dieses Buch vertieft, dann richtig – und ist danach um viele Leben reicher.

Aber erst einmal um das von Edoardo Weiss, der aus einer jüdischen Familie kam, dessen Vater 1886 ins österreichische Triest eingewandert war aus Böhmen, wie so viele. Der Vater heiratete hier eine Sephardische und die neun Kinder werden alle eine hervorragende Schul- und Ausbildung erhalten, die Älteren in Wien, Berlin und Genf studieren und der Zweitälteste Edoardo soll Arzt werden und wird deshalb nach Wien geschickt. Das Studium führt ihn sofort mit Freud zusammen und Weiss wird Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, heiratet noch im Krieg eine Kroatin, wo er nach dem Rußlandeinsatz an der Front dann als Militärarzt wirkt. Zurück in Triest wird er zehn Jahre lang im städtischen Irrenhaus arbeiten, hunderte von Anamneseberichten verfassen – und dort die Psychoanalyse gesellschaftsfähig machen.

Dann schlägt die Politik das erste Mal zu. Alle Angestellten des Öffentlichen Dienstes sollen in die Partei eintreten, will 1927 das faschistische Regime aus Rom erzwingen. Wie sein Bruder im Schuldienst verliert auch Edoardo seine Stelle, als er sich weigert. Mit Gänsehaut liest man dann, was ihm der in Wien noch unbehelligte Sigmund Freud auf seine signalisierten Auswanderungspläne antwortet: ...An keinem anderen Ort sind die Erfolgsaussichten größer als im Heimatland.“ Mit billig privat bezahlten Analysestunden hält sich Weiss über Wasser, versucht dann mit seiner Familie in Rom ab 1931 das Glück. Dort gründet er im Jahr darauf die ‚Italienische Psychoanalytische Gesellschaft‘ und die gleichnamige Zeitschrift, kann auch überleben, aber die Zeit und die Umstände sind gegen seine beruflichen Pläne. Faschisten möchten nicht gerne mehr über ihre Motive hören. Italien, weniger antisemitisch als Frankreich oder Deutschland oder auch Österreich und Ungarn, ist dennoch kein Schutz mehr für Juden. Rechtzeitig wandert Weiss mit seiner Familie in die USA aus, wo er als Analytiker noch einmal von vorne beginnt.

Autor Luther verfolgt dann die Spuren von Weiss, die in Triest heute noch von ihm zeugen. Seine Trienter Kollegen hätten ihn fallen lassen und ein Teil der Familie sei in Auschwitz umgekommen. Und das erwähnte Irrenhaus erweist sich als ein gewaltiger Gebäudekomplex, ähnlich wie der Steinhof in Wien, der ein Dorf im Kleinen abbildet. Dort hat auch Edoardo Weiss gewohnt, aber daß man dort heute von ihm nicht spricht, hat einfache Gründe: ein noch berühmterer Psychiater zog ein, übernahm die Leitung der Klinik 1972, Franco Basaglia, der dann erst die gängigen Methoden: das „Anschnallen von Patienten, eiskalte Bäder, Zwangsjacken mit Elektroschocks“ verbot, und dann nicht nur sein Haus abschaffte, sondern erfolgreich dafür sorgte, daß die gesonderten Irrenhäuser, die Psychiatrien in Italien abgeschafft wurden. Der Aufschrei in Europa darüber ist noch heute zu hören.
Fortsetzung folgt

Foto: Cover

Info:

Helmut Luther, Österreich liegt am Meer. Eine Reise durch die K.U.K. Sehnsuchtsorte, Amalthea Verlag, 2017