Helmut Luther, Österreich liegt am Meer. Eine Reise durch die K.U.K. Sehnsuchtsorte, Amalthea Verlag, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie vergänglich ist Ruhm. Wie viele kennen heute schon Giorgio Strehler nicht mehr? Mehr Menschen als er verdient, der auf der Höhe seines Ruhms als Regisseur ein europäischer Spitzenstar war – und ein Liebesobjekt für viele.
Eigentlich hatte ich ihn in Mailand verortet, wo ich in der Oper Inszenierungen unter dem Dirigat von Claudio Abbado und Riccardo Muti von ihm sah - und ihn einmal persönlich erlebte, wie auch in Bregenz auf der Seebühne am Bodensee, wo er inszenierte, aber lese nun, daß er ein waschechter Trientiner ist. Im Buch allerdings steht Triestiner. Aha, da bin ich mir selber aufgesessen und meinen Kenntnissen des Tridentiner Konzils, von denen es ja im 16. Jahrhundert drei gab, die folgemächtig die Gegenreformation der Katholischen Kirche einleiteten auf die Abspaltungen und Unverschämtheiten eines Martin Luthers und anderer hin. Also Tridentiner oder Triestiner? Dann doch lieber Triestiner. Aber das Rechtschreibprogramm weiß es noch besser: Nur Triester oder Tridentiner wäre richtig!
Was Autor Helmut Luther dann im Kapitel DIE WELT ALS BÜHNE über den Theater- und Frauenliebling Giorgio erzählt, hätte ein ganzes Buch füllen können. Er legt kurz die politische Situation klar – im Mai 1920 entstanden in Triest die ersten faschistischen Kampfbünde, ein Jahr drauf erzielte der faschistische italienische Block schon 45 Prozent der Wählerstimmen, es ging vor allem gegen die slowenischen Mitbürger. Dort wird am 14. August 1921 Strehler als einziges Kind des Paares Lovrich und Strehler geboren. Er wird immer wieder darauf verweisen, daß er das beste Beispiel einer multiethnischen Identität darstelle, das was einen ‚echten‘ Triestiner (wir bleiben bei der Bezeichnung aus dem Buch) ausmacht, der aber kein wurzelloser Kosmopolit sei, sondern eben ein ganz eigenes Gewächs, was auf dem Boden von Triest wachsen und gedeihen könne, wo die Verschiedenheit zum anderen, etwas Positives sei, weil alle die kamen, ihre eigene Geschichte, Sprache und Kultur mitbrachten, was zur gegenseitigen Toleranz führte. Das klingt wunderbar, aber der Verfasser fügt leider hinzu, daß bis heute in Triest die Rechtsparteien einen im Landesdurchschnitt höheren Stimmenanteil erhalten. Das klingt weniger gut. Aber da war doch Illy?! , ist der nächste Gedanke. Aber das ist eine andere Geschichte, die hoffentlich auch noch kommt.
Strehler auf jeden Fall hatte eine französische Gr0ßmutter, einen slawischen Großvater, die miteinander verheiratet waren, bei mütterlichen Verwandtentreffen wurden mehrere Sprachen gesprochen...“Meine Bildung, meine Denkungsart sind austro-ungarisch, wenn man so will habsburgisch“, sagt Strehler über sich selbst. Das hat Agnese Colle, wie Luther schreibt, für eine Ausstellung genauestens recherchiert und dokumentiert und wenn wir heute von Freizügigkeit in der EU sprechen, so muß man wissen, daß es in Österreich-Ungarn schon einmal so war. Tolle Geschichte, wie dann noch die Vaterfamilie Strehler, ursprünglich aus Wien, das Multikulti aufmischt und sich in Triest erst einmal aus geschäftlichen Gründen zur Führung des Verdi-Theaters zusammentut. Die Liebe folgt. Und der Sohn Giorgio auch. Aber als er drei Jahre alt ist, stirbt der Vater, „ein Österreicher aus Wien, ein sehr schöner Mann, groß und blond..“
Und deshalb zieht die Witwe, eine Geigerin, zum Auftritt nach Mailand, wo nach dem Zweiten Weltkrieg Giorgio das PICCOLO TEATRO DI MILANO gründen wird, die Keimzelle der neuen Theaterarbeit. Er spielt Brecht, als dieser in Westdeutschland noch verboten war und darf von B.B. hören: „Sie haben mein Werk zum zweiten Mal geschaffen“, nach der italienischen Erstaufführung der DREIGROSCHENOPER.
Der Weltbürger Strehler habe, kaum habe er gemerkt, „daß sein Gegenüber aus derselben Region stammte, konsequent im Triestiner Dialekt“ gesprochen, so verbunden blieb er der Heimat. Aber ist das nicht genau das Wesentliche, als Weltbürger in der Welt unterwegs zu sein, aber eine Heimat zu haben, sie zu fühlen und hin, also heim, zu dürfen, wenn man will.
Fortsetzung folgt.
Fotos: Giorgio Strehler
Info:
Helmut Luther, Österreich liegt am Meer. Eine Reise durch die K.U.K. Sehnsuchtsorte, Amalthea Verlag, 2017