„Novecento - die Legende vom Ozeanpianisten“ aus dem Piper Verlag
Hanswerner Kruse
Steinau an der Straße (Weltexpresso) - Der Roman zum Theaterstück sozusagen. Ein Buch, dessen Gehalt im neuen Steinauer Theatrium als großartiges Kammerspiel präsentiert wurde und dort zum Repertoire gehört: „Novecento - die Legende vom Ozeanpianisten“ für einen Schauspieler und mehrere Puppen. Die Aufführung basiert auf der Vorlage des italienischen Autors Alessandro Baricco, der mit seinen Romanen („Seide“, „Land aus Glas“) auch in Deutschland sehr bekannt wurde.
„Novecento“ ist die Geschichte eines auf einem Ozeandampfer gefundenen Findelkindes, die aus der Sicht des Trompeters der Bordkapelle erzählt wird. Das Kind erhielt den Namen Novecento (Neunzehnhundert) nach seinem Geburtsjahr, es wuchs auf dem Schiff heran und wurde ein brillanter Pianist: „Der Größte, wahrhaftig. Wir machten einfach Musik, aber bei ihm war es etwas anderes. Was er spielte... Das existierte noch gar nicht, bevor er es spielte, okay? Das gab es sonst nirgends. Und wenn er vom Klavier aufstand, dann war es vorbei, für immer...“ Novecentos musikalische Improvisationen waren traumartige Reisen durch die Welt jenseits des Ozeans, die er gar nicht kannte und sich nur vorstellte. Denn er weigerte sich, jemals sein Zuhause, den Ozeandampfer, zu verlassen.
Wahrscheinlich wurde Novecento von armen Auswanderern zurückgelassen. Die „kamen mit Flicken am Hintern an Bord, mit ganz zerschlissenen Kleidern, den einzigen, die sie besaßen. Aber wenn sie am Ende der Reise von Bord gingen, waren sie alle gut angezogen, die Männer sogar mit Krawatten und die Kinder mit wunderbaren weißen Blusen, na ja, sie waren sehr tüchtig, und in den zwanzig Tagen der Überfahrt schnitten und nähten sie immerzu, bis es keine Gardinen und Bettlaken mehr gab auf dem Schiff, keinen Fetzen Stoff mehr: sie hatten sich Sonntagskleider für Amerika draus gemacht. Für die ganze Familie. Wie hätte man ihnen das übel nehmen können... Und manchmal kam es auch vor, dass eben ein Kind geboren wurde.“ Da ein weiteres Kind viel Ärger mit den Einwanderungsbehörden bedeutete, „ließen manche das Neugeborene auf dem Schiff zurück. Im Tausch gegen Gardinen und Bettlaken gewissermaßen. Mit diesem Kind muss es auch so gewesen sein.“
Das Leben des Ozeanpianisten hatte kaum dramatische Höhepunkte, meist berichtet der Ich-Erzähler von seltsamen alltäglichen Begebenheiten. Einmal wird Novecento vom weltberühmten Klavierspieler Jelly Roll Morton zu einem musikalischen Duell herausgefordert, das der Provokateur jämmerlich verlor. Der Text ist eher ein Monolog als ein dramatisches Theaterstück, obwohl es von Baricco mit zarten Regieanweisungen geschrieben wurde. Doch der Autor meint selbst, sein Text läge „zwischen einer Inszenierung und einer laut vorzulesenden Erzählung.“
Man kann das Buch einfach nur lesen - vielleicht wird man sich dadurch sogar zum Besuch des Theatriums verführen lassen. Nach dem Besuch einer Vorstellung kann man aber auch die wunderbare Sprache Bariccos noch einmal nachklingen lassen.
bUmschlagabbildung © piper.de
Info:
Alessandro Baricco: „Novecento - die Legende vom Ozeanpianisten“, Piper-Verlag, gebunden / Taschenbuch 84 Seiten, ca. 10 Euro
www.theatrium-steinau.de