kpm Kelle Muttertier CoverBirgit Kelles allzu schlichte Sicht auf die Wirklichkeit

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Konservative geraten schnell an die Grenze ihrer intellektuellen Möglichkeiten.
Denn die von ihnen postulierten immer gültigen Werte erweisen sich in vielen Fällen als Sekundärtugenden, soweit es sich überhaupt um Tugenden handelt.

Demgegenüber werden unumstrittene ethische Qualitäten häufig als vermeintlich einseitig wahrgenommen, also als liberal, gar als links. Selbst Albert Schweitzers Ermahnung zur „Ehrfurcht vor dem Leben“ ist eindimensionalen Bürgern nicht geheuer, weil dieses Prinzip die Vorrangstellung der Menschenwürde in allen Lebensbereichen einschließt und den als unangenehm empfundenen Geruch von Menschenrechten, Freiheit und Sozialismus aufweist.

Eine dieser Konservativen ist die Publizistin Birgit Kelle, deren Kolumnen im Magazin FOCUS und der Tageszeitung DIE WELT zu lesen sind. Sie hat, wie auch ihre bisher veröffentlichten Bücher belegen, ein Problem mit der objektiven Analyse all dessen, „was der Fall ist“ (Ludwig Wittgenstein, Tractatus). Das Bild, das sie sich vom Menschen und der Gesellschaft macht, ist biologistisch und inhuman. Hierbei orientiert sie sich an Vorbildern wie Beatrix von Storch und Eva Herman. Ihr christliches Selbstverständnis, auf das sie sich ständig beruft, unterscheidet sich kaum von jenem unhistorischen Fundamentalismus, dem man dem konservativen Islam nachsagt.

Vor vier Jahren schrieb sie ihre Wut über die Frauen- und Familienpolitik in Deutschland in einem Buch nieder, dessen Titel "Dann mach doch die Bluse zu" die Unkenntnis verrät, der diese Frau erlegen ist. 2015 erschien ihr zweites Buch "Gendergaga", das sich laut Verlagsanpreisung als eine „satirische Kritik an der aktuellen Gender-Mainstreaming-Politik“ verstehe.

Seit Anfang Juli dieses Jahres liegt die dritte Kampfschrift vor, deren Titel ebenfalls überaus interpretationsbedürftig erscheint: „Muttertier. Eine Ansage“. In der Ankündigung des Verlags erfährt man dazu inhaltlich Folgendes:

"Wir Mütter tragen die Zukunft! Eine glückliche Mutter ist heute eine Provokation. Sie ist die selbstverständlich gelebte Weiblichkeit. Sie kann Leben schenken und Leben weitergeben. Was für ein Potenzial! Mutterglück – allein das Wort dreht den Fossilfeministinnen ja schlicht den Magen um. Haben sie nicht jahrelang gekämpft, um uns von diesem 'Mythos', von unseren Männern und auch von den Kindern zu befreien? Oder sollten wir nicht gleich sagen: von unserer weiblichen Natur? Früher legten wir Karrieren auf Eis, um Kinder zu bekommen. Heute sollen wir unsere Eizellen auf Eis legen, um Karriere zu machen und unsere besten Jahre der Firma statt unseren Familien zu schenken. Danke auch. Aber entgegen jedem Mainstream sind wir immer noch da: Beherzte Mütter. Weibliche Frauen. Wir sind die wahre Avantgarde. Ohne uns kein Leben. Wir sind die Muttertiere – wir spielen keine austauschbare Rolle, wir sind nicht dekonstruierbar, wir sind gekommen, um zu bleiben. Wir hüten die Brut, wir verteidigen sie wie Löwinnen. Wir geben ihr Wurzeln und Flügel. Wir lieben sie. Es ist nicht rational, es ist. Wir sind Muttertiere bis zum letzten Atemzug. Und das machen wir gut so."

Was will uns die Dichterin damit sagen?

Nun, sie gibt indirekt zu, dass sie vieles, vermutlich das meiste, was die Welt bewegt, nicht verstanden hat. So reduziert sie die Rolle der Frau auf die biologische Möglichkeit, Kinder zur Welt bringen zu können. Die Zukunft dieser geborenen Kinder hängt aber von Bedingungen außerhalb des Mutterleibs ab (oder sollte ich »außerhalb des Muttertiers« schreiben?). Beispielsweise von der Einsicht und Bereitschaft der Gesellschaft, jedem ein gesundes Leben (ohne Bedrohung von Atommüll und Dieselabgasen), die bestmögliche Bildung, eine Gleichberechtigung unabhängig von sexueller Orientierung sowie eine unbeschränkte Teilhabe am wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen.

Es ist typisch für Birgit Kelles vorurteilsbeladene Kritik, dass sie Fehlentwicklungen wie beispielsweise das Einfrieren von Eizellen aus Karrieregründen nicht im Kontext einer Entwicklung sieht, die den Menschen seiner Selbstbestimmung beraubt und ihn zum Sklaven einer Wirtschaftsideologie macht. Dass diese menschenverachtende Einstellung gegen die elementaren Interessen der Menschheit gerichtet ist, vermag sie nicht zu erkennen. Sie schreit ein kleines Nein in die Welt und bekräftigt mit einem großen Ja (fast) alles, was besteht.

Als Christin sollte sie beispielsweise eine Forderung des Alten Testaments beherzigen: „Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben erwählst und am Leben bleibst, du und deine Nachkommen“ (5. Mose, Kapitel 30, Vers 19, in der Luther-Übersetzung). Birgit Kelles Aufschrei erweist sich jedoch tatsächlich als der Weckruf eines Todesengels.

Die Autorin vermag jedoch auch mit anderen Realitäten nicht souverän umzugehen. So hat sie Leser in Stuttgart per FACEBOOK aufgefordert: „Geht doch mal zu Wittwer [eine große Buchhandlung im Stadtzentrum] und bestellt mein Buch. ... Wollen wir doch mal sehen, wie viel Vielfalt im grünen Bundesland der Vielfalt so möglich ist.“ Kelles Leserinnen und Sympathisanten sind dem Aufruf gefolgt und mussten erfahren, dass das Buch nicht vorrätig war (aber besorgt werden konnte). Angeblich hat eine Angestellte der Buchhandlung die Auskunft gegeben, man sei mit „Muttertier“ inhaltlich noch weniger einverstanden als mit dem Vorgängerwerk „Gendergaga“ und halte es deshalb auch nicht am Lager. Das rief einen so genannten Shitstorm auf dem kommerziellen Netzwerk hervor. Die Vorwürfe reichen von „Zensur“ über „Beschränkung des Rechts auf Informationsfreiheit“ bis hin zu Vergleichen mit dem NS-Staat und DDR-Unrecht. Ein FACEBOOK-Nutzer schrieb: „Auch Buchhandlungen und Antiquariate können mitunter dem linken Zeitgeistterror ausgesetzt sein.“

Birgit Kelle nutzte die vermeintliche Gunst der Stunde und hakte nach: „Ich hab jedenfalls nicht vor, tatenlos mit anzusehen, wenn Buchhändler aus ideologischen Gründen ihren Kunden falsche Auskünfte geben, um zu verhindern, dass ein Buch gekauft wird. Genaugenommen ist das geschäftsschädigend.“

Über ein gewisses Maß an Protesterfahrung verfügt die Publizistin nachweislich. So war sie in jenen rechten Netzwerken aktiv, die ab 2013 Front machten gegen den baden-württembergischen Bildungsplan, der auch moderne Familien- und Genderbilder in den Schulen zur Sprache bringen sollte. „Es ist die Rückkehr der Pädophilen, die wir gerade erleben“, kommentierte Birgit Kelle diesen Plan.

Mit den Schriften von Birgit Kelle indessen ist die Rückkehr des Unverstands in die gesellschaftliche Diskussion zu befürchten. Und damit sollte man sich nicht abfinden.

Foto: Umschlagabbildung © Fontis - Brunnen Verlag

Info:

Birgit Kelle
Muttertier
Eine Ansage
Ladenpreis 20,00 EUR
ISBN-13 9783038481249
Verlag Fontis – Brunnen, Basel 2017

Der Fontis Verlag ist ein Betrieb des evangelikalen Chrischona International-Gemeindeverbands, der sich bis 2014 Pilgermission St. Chrischona nannte und seinen Sitz in Bettingen bei Basel/Schweiz hat. In Deutschland ist Chrischona ein freies Werk innerhalb der Evangelischen Kirche und gehört dem Gnadauer Gemeinschaftsverband an.

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