Richard Fords KANADA als Buch bei Hanser Berlin und Hörbuch Edition parlando, Teil 1/2

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Eine starke Geschichte, ein Roman der beginnt mit: „Zuerst will ich von dem Raubüberfall erzählen, den meine Eltern begangen haben. Dann von den Morden, die sich später ereigneten. Der Raubüberfall ist wichtiger, denn er war eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben...“.

 

Man hört am Ton – gelesen von Christian Brückner – noch die Zärtlichkeit: „Meine Eltern waren die unwahrscheinlichsten Bankräuber der Welt. Sie waren keine verrückten Leute, keine offensichtlichen Kriminellen.“ Offensichtliche nicht, aber auch keine versteckten, denn die Geschichte, die Richard Ford diesen Dell Parsons angesichts der dramatisch-verwirrenden Umstände doch recht lakonisch erzählen läßt, läßt diesen Bankraub wie eine Blüte am Baum der guten Bürgerlichkeit erscheinen. Das liegt auch an der Perspektive des Ich-Erzählers, der mit 60 Jahren nun besonnen und abgeklärt Rückschau auf sein Leben und seine Kindheit nimmt.

 

Eine traumatische Kindheit und Jugend würde man heute dazu sagen. Dabei beginnt alles ganz harmlos in diesem Städtchen in Montana, nicht weit der kanadischen Grenze, wo Dell mit den Eltern und Berner, seiner Zwillingsschwester, nach ständigen Umzügen durch Amerika lebt. Wäre der Vater nicht flugverrückt gewesen und Bombenschütze in den B-25 und Mitchells gewesen, die später über Osaka eingesetzt wurden, und hätte er sich zudem nicht so früh, mit erst 37 Jahren, pensionieren lassen, wäre das Leben für die Familie ordentlich verlaufen. Aber so rutschte der Vater, dem kein neuer Job – weder Autohandel noch illegaler Fleischhandel - erfolgreich gelang in die Versagerkiste und das konnte Neeva Kamper, die einen Siegertyp geheiratet hatte, von schöner aufrechter Gestalt dazu, nicht verkraften, sie, die Schöngeistige, die selber Gedichte schrieb und Lehrerin wurde, für die ein College-Professor der richtige Ehepartner gewesen wäre.

 

Daß Bev Parsons das nicht war, konnte sie ab irgendwann weder ihm noch dem Schicksal verzeihen. Ihre Kinder allerdings fragten sich eher, warum der Vater diese etwas unscheinbare Mutter geheiratet hatte. „Sie waren schlicht die Falschen füreinander, hätten nie heiraten oder sonst was miteinander anfangen sollen, hätten nach ihrer ersten leidenschaftlichen Begegnung ihrer Wege gehen sollen, ohne darauf zu achten, was dabei herauskam“ (15). Ford erzählt nun in völlig unaufgeregtem Ton diese dramatische Familiengeschichte um 1960 herum– viel kann er der Chronik entnehmen, die seine Mutter im Gefängnis von Golden Valley County in North Dakota und später im Zuchthaus schrieb - mitsamt der Trennung der Zwillinge und weshalb Dell auf einmal in Kanada landete – und blieb.

 

Damit hatten wir erst Probleme. Nicht mit Kanada, aber mit der Tatsache, daß wir nun statt der fortlaufenden Familiengeschichte eine völlig neue Geschichte, völlig neues literarisches Personal annehmen mußten, dessen einzige Klammer eben Dell war und blieb. Da zerfällt der Roman in zwei Teile, die sich aber dann am Schluß wieder als Stückwerk verbinden. Der neue Anti-Held ist ein psychopathischer Irrer aus Saskatchewan, der aus guten Gründen als US-Amerikaner nach Kanada ging, da er als junger Mann ein Bombenattentat mit Todesfolge mitverübte und sich hier lebenslang verstecken wollte. Fortsetzung folgt.

 

P.S. Wir haben Roman und Hörbuch parallel gelesen/gehört. Immer Buch oder CD genommen, wie es im Tagesverlauf gerade günstig war. Natürlich gibt es Doppelungen, aber die sind dann erst recht interessant. Hört man nämlich, um den Anschluß an das Gelesene zu haben, dann hört man anderes, als man zuvor las. Das sind immer wieder diese Phänomene, die uns echt irritieren. Und hatte man gehört und sucht nun die Stelle im Text, überliest man auch Teile des Gehörten, bis man den Anschluß hat. Uns fiel dann auf, daß Christian Brückners Lesen beim eigenen Weiterlesen als Stimme im Kopf blieb, so daß unser Kopf seine Lesestimme, also besser: seine Dell Parsons Existenz weiterführte. So etwas müssen wir bei den nächsten Romanen/Hörbüchern überprüfen.

 

Richard Ford, Kanada, Hanser Berlin 2012

 

www.hanser-literaturverlage.de

 

 

Richard Ford, Kanada, 8 CDs, Edition parlando Christian Brückner

 

www.parlandoverlag.de