Richard Fords KANADA als Buch bei Hanser Berlin und Hörbuch Edition parlando

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) –Dieser Arthur Remlinger hat alle in seiner mentalen Gewalt und auch in der gewehrbewaffneten Hand. Bald überwiegen aber beim Lesen und Hören das Interesse an den so subtil gezeichneten Charakterzüge des 'Patrons' genauso wie seiner Abhängigen, denn Macht kann einer nur ausüben, wenn die anderen ihn lassen.

 

Und diesen Besitzer eines Jagdhotels lassen sie. Längst sind wir also in die Fallstricke des Autors getappt und erleben, was mit der US- Polizei, die ihm auf den Fersen ist und den zwei Ermittler, die 3000 km weit aus Detroit gen Norden gekommen sind, passiert. Sind also schon längst gepackt von dieser neuen Geschichte, denn tatsächlich ist Dell nur der Berichtende, der dann zwar auch einmal eingreift und seine Geschichte mit Arthur Remlinger erlebt, aber eine Randfigur im Geschehen bleibt und uns von dem mordlustigen Kerl erzählt, prall, grausam, blutig.

 

Hat im ersten Teil – und hier beziehen wir uns ausdrücklich auf das Hörbuch – noch die Nonchalance überwogen, mit der die grauslichsten Kindheitserinnerungen anhand von Versatzstücken vorgetragen werden, denn die Befindlichkeit des Knaben wie die des heute 60jährigen steht nie zur Debatte, hier läuft keine Betroffenheitskiste ab – hat also im ersten Teil die Geschichte dieser Familie unser Interesse und auch Mitgefühl erregt, so verändert die Hörfassung exakt Ton, Stimmlage und Drumherum im zweiten Teil, der in Kanada spielt, wo wir Thriller, Psychodrama, unlautere Nonnen, abhängige Erwachsene, skurrile Landbevölkerung in einem haben, was der Erzähler Christian Brückner lustvoll ausmalt.

 

Ja, man sieht diese Personen vor seinem Auge wie in einem Drehbuch, während der erste Teil wie eine Konstruktion einer Erzählung aus Tagebuchnotizen ist. Daß zum Schluß nach so vielen Jahrzehnten der Bruder die Schwester wiederfindet – übers Internet! - diese am Krebs stirbt, das kommt einem etwas angeklebt vor wie auch die wenigen Aussagen über Dells Eheschließung. Nein, es geht letzten Endes nie um ihn, diese so oft 'neutrale' Person, sondern um die Geschichten, die sich um ihn ereignen. Das Buch ist menschendüster und menschenkomisch. Eigentlich das Buch einer verfehlten Kindheit und das eines dahingelebten Lebens, das seinen Wert dadurch erhält, daß man einfach lebt und überlebt.

 

P.S. Wir haben Roman und Hörbuch parallel gelesen/gehört. Immer Buch oder CD genommen, wie es im Tagesverlauf gerade günstig war. Natürlich gibt es Doppelungen, aber die sind dann erst recht interessant. Hört man nämlich, um den Anschluß an das Gelesene zu haben, dann hört man anderes, als man zuvor las. Das sind immer wieder diese Phänomene, die uns echt irritieren. Und hatte man gehört und sucht nun die Stelle im Text, überliest man auch Teile des Gehörten, bis man den Anschluß hat. Uns fiel dann auf, daß Christian Brückners Lesen beim eigenen Weiterlesen als Stimme im Kopf blieb, so daß unser Kopf seine Lesestimme, also besser: seine Dell Parsons Existenz weiterführte. So etwas müssen wir bei den nächsten Romanen/Hörbüchern überprüfen.

 

Richard Ford, Kanada, Hanser Berlin 2012

 

www.hanser-literaturverlage.de

 

 

Richard Ford, Kanada, 8 CDs, Edition parlando Christian Brückner

 

www.parlandoverlag.de