dbp17 blinddateSerie: Deutscher Buchpreis 2017, 7: Lange Liste: die Österreicher

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gerammelt voll war es wieder im zum Lesesaal umgewidmeten Saal der Deutschen Bank, unten im Trakt unter den beiden Türmen, die sich in Frankfurt noch immer in die Höhe recken – und wie es heißt, jetzt nach den internationalen Blessuren leichter als in den vergangenen Jahren.

Auf jeden Fall war auch dieses Jahr die Deutsche Bank wieder dabei, wenn es im Vorfeld, also nach der Bekanntgabe der Zwanziger Liste und vor den letzten Sechs, die sogenannte Blind-Date-Veranstaltung gibt. Sogenannt, weil es eine Schande bleibt, daß eine Deutsche-Buchpreis-Veranstaltung keinen adäquaten deutschen Ausdruck findet, wo ja schon die Bezeichnungen der Auswahllisten mit ‚long‘ und ‚short‘ peinlich genug sind. Immerhin sind seit der Einführung des Deutschen Buchpreises, der schon in den Fünfziger Jahren u.a. vom Suhrkampverleger Siegfried Unseld vorgeschlagen war, und im Jahr 2005 nach französischem, englischen und amerikanischen Vorbild endlich eingerichtet wurde, schon so viele Jahre vergangen, wo wir alle uns treffende Bezeichnungen hätten einfallen lassen können. Warum das wichtig ist? Weil eine Sprache nur weiterlebt und lebendig bleibt, wenn sie für neue Sachverhalte treffende Wörter findet.

Aber die Sache selbst ist so was von lebendig, daß man gerne kommt und gerne darüber berichtet. Wie selten darf man sich überraschen lassen in unserer Welt, in der doch eigentlich alles festgelegt und lange zuvor schon festgezurrt ist. Diesmal hatten die Einladenden ein literarisches Schwergewicht gebeten, denn Franzobel ist ein bekannter Autor aus Österreich und seine Thematik DAS FLOSS DER MEDUSA dazu. Und das gleich doppelt. Ich kannte den Roman noch nicht, aber natürlich die Geschichte rund um das Gemälde von Gericault, das schon alleine seiner Größe von über sieben mal fast fünf Meter auch heute im Louvre für Aufsehen sorgt.

Das ist aber nichts im Vergleich zum damaligen Skandal. Denn das 1819 fertiggestellte Bild beruht auf einem echten gesellschaftlich-politischen Skandal, als 1816 dieses Schiff Meduse unzureichend ausgerüstet und unter der Führung eines inkompetenten Kapitäns, der nur seiner politischen Genehmtheit wegen Kapitän spielen durfte, mit rund 400 Personen auf dem Weg in den Senegal vor der afrikanischen Küste auf Grund ging.

dbp 17heftNach der Begrüßung durch den Hausherren und durch Heinrich Riethmüller, den Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, in dessen Kompetenz der Deutsche Buchpreis fällt, kam der Moderator des Abends, Torsten Casimir schnell zur Sache und damit zur Begrüßung von Franzobel, dessen bürgerlicher Name Franz Stefan Griebl lautet. Das kann man den Leseproben der ausgewählten 20 Romane entnehmen, die der Börsenverein jedes Jahr zur Unterstützung der lebendigen Leserdiskussion um die Romane und um die Veranstaltungen zum deutschen Buchpreis in einem kleinen Büchelchen herausgibt. Dabei werden, wie in diesem Fall, aus dem Roman viereinhalb Seiten zitiert – toll ausgewählt, will man schon sagen, dabei erkennt man dann sofort beim Lesen, daß es die Eingangsseiten des Romans sind, der also auf den ersten Seiten schon das Ganze in den Blick nimmt -, hinzu kommen eben auch ausführliche Vorstellungen der Schriftsteller, von denen man ja nur wenige längst kennt. Wer noch keine LESEPROBEN zur Zwanzigerliste hat, sollte in der nächste Buchhandlung versuchen, noch ein Exemplar zu ergattern.

In einem kurzen Hin- und Her wurde über die geschichtlichen Hintergründe des Romans gesprochen, der also tatsächlich das Unglück vom Juli 1816 ins Heute bringt. Und das auf durchaus unkonventionelle Weise. So werden in die Erzählung von damals Kommentare von heute eingestreut, beispielsweise, wenn bestimmte handelnde Personen, die im Äußeren und im Verhalten beschrieben werden, flugs einen Schauspieler verpaßt bekommen, der in einem Film, den Franzobel sehr gerne anregen möchte, dann die jeweilige Rolle spielen könnten.

Zurück zur Geschichte: Die Schiffskatastrophe hatte mehrere Ursachen, aber das Skandalöse ist, daß zu wenig Rettungsboote vorhanden waren und das Floss, das aus den Brettern der Medusa gezimmert wurde, mit 147 Leute überfrachtet war und 13 Tage bei sengender Hitze auf dem Salzwasser ohne Trinkwasser trieb, wobei nur 15 Personen überlebten, was sowohl auf die Strapazen wie auch auf Kannibalismus zurückgeht. Der eigentliche Skandal war, daß das Floß, das von den Rettungsbooten per Anleinung an Land gezogen werden sollte, plötzlich durch das Kappen der Leinen orientierungslos auf dem Meer trieb, während sich der Kapitän gegen die ethischen Usancen der Schiffahrt im Boot gerettet hatte.

Fortsetzung folgt.

Foto:
Auf der Veranstaltung
alle Fotos © Deutscher Buchpreis / Christina Weiß"

Info:
Franzobel, Das Floss der Medusa, Paul Zsolnay Verlag 2017
Die Longlist. Lesproben, 2017 deutscher buchpreis, Stiftung Börsenverein des Deutschen Buchpreises, erhältlich in der Buchhandlung Ihrer Wahl









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