Serie: Deutscher Buchpreis 2017, 8: Lange Liste: die Österreicher
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Roman ist so vielschichtig und durch die historische Relevanz sozusagen vorbelastet, daß es nicht mit dem Referieren über den Inhalt, die Schiffskatastrophe von 1816 und den aufgetretenen Kannibalismus getan ist.
Aber ein Diskutieren über ethische Konsequenzen setzt den Inhalt des Romans voraus, der wie Autor Franzobel schilderte, sich eng an die historischen Vorgaben hält. Das Publikum lauschte gebannt. Und lachte bei den vielen skurrilen Ereignissen. Es treten die echten Personen auf, angefangen vom verachtenswerten Kapitän Hugues Duroy de Chaumareys, wobei die Erzählung mit dem Besteigen des Schiffes von Leuten beginnt, die wir beim Gleiten über das Wasser wieder erleben, ja richtig in ihren durchaus schrägen Charakteristiken kennenlernen und dann einige, darunter herausgehoben der zweite Schiffsarzt Jean Baptist Henri Savigny, uns das Buch über begleiten. Denn Savigny wird später auf dem Floß sein und die 13 Tage auf dem Wasser überleben. Er ist der, der sagt. „Die Welt muß wissen, und sie wird es erfahren, was wir erlebt haben...Wir sind am Leben, weil es unsere Pflicht gewesen ist zu überleben, der Menschheit unser Schicksal dazulegen...“
Aber er ist auch derjenige, dem zwei Monate nach der Rettung klar wird, daß „die Admiralität an seiner Geschichte kein Interesse hat. Im Gegenteil, man wollte die Angelegenheit unter den Teppich kehren. Dem Schiffsarzt wurde mitgeteilt, er habe in der Marine keine Zukunft und brauche auf keine Entschädigung zu hoffen. - Es ist im staatlichen Interesse, sich nicht über das auszulassen, was Sie gesehen haben. Am besten, Sie verkriechen sich und lassen nichts mehr von sich hören...Aber das war nicht nach dem Geschmack des Henri Savigny, dafür hatte er sich uns nicht vorgestellt. Er hatte doch nicht dreizehn Tage lang die Hölle überlebt, um dann zu schweigen.“(16)
Diese Erfahrung korrespondiert mit dem Verhalten des Königs, der drei Jahre später zur Eröffnung des Pariser Kunstsalons 1819 dem jungen Maler der gewaltigen Historienmalerei DAS FLOSS DER MEDUSA sagen wird: „‘Herr Gericault, Ihr Schiffbruch da, das ist nichts für uns!‘ Der fette Herrscher macht noch eine abfällige Geste, dann trottete er mitsamt seiner Entourage behäbig weiter, während der junge Maler, der für sein Bild mit Überlebenden gesprochen und sich aus den anatomischen Instituten Leichen ins Atelier hatte bringen lassen, zerstört zurückblieb.“(14)
Das öffentliche Verschweigen des staatlichen Versagens ist also das eine, aber das eigentliche Verschweigen betrifft die Vorgänge auf dem Floß, wo von 147 Schiffbrüchigen nur 15 Personen überleben, wobei nicht klar ist, wieviele natürlich starben oder als Schwächere von den Stärkeren ausgewählt wurden, für deren Überleben als Nahrung zu sorgen; Kannibalismus also. Im Roman selbst werden die Vorgänge ehe durch die Blume erzählt und das ist einem bei einem Thema, wenn Menschen Menschen essen, auch lieber. Aber natürlich setzt das sehr viele Überlegungen in Gang, seien sie ethischer oder religiöser Natur. Im Roman fällt an mehreren Stellen der Begriff des Schwächeren oder sogar Kranken, der aus Sicht der Stärkeren herhalten dürfe, wenn es um das Überleben dieser Stärkeren, also noch Überlebensfähigen geht.
Das ist insofern interessant, als vor drei Jahren Ferdinand von Schirach in DIE WÜRDE IST ANTASTBAR von einem Vorfall im Juli 1884 berichtet, wo ein englischer Frachter kenterte und sich die Besatzung von vier Personen auf ein Beiboot retteten, aber keine Verpflegung hatten, weshalb ab dem 18. Tag nach tagelangem Hungern der Vorschlag kam, einen der vier zu töten und aufzuessen, was die drei Familienväter mit dem kranken 17jährigen Waisen machten und zwei Tage später aufgefunden und gerettet wurden. Das wurde in Europa bekannt und diskutiert, wobei die Öffentlichkeit auf Seiten der Überlebenden war. Das englische Gericht dagegen verurteilte die Seeleute wegen Mordes zum Tode, empfahl aber ihre Begnadigung, was nach sechs Monaten geschah. Aus grundsätzlichen Erwägungen.
Die Zielrichtung des Romans von Franzobel ist eine andere. Er schildert die Ereignisse ohne Wertung der Schiffbrüchigen, sondern löckt nur wider den Stachel öffentlicher und staatlicher Vertuschung der Ursachen des Unglücks, aber auch das dezent, tatsächlich ist das teilweise skurrile Verhalten der Besatzung und Passagiere der Medusa, prall voll Leben und dann vor Leiden, also Komik und Tragik in einem, das Zentrum und die Botschaft des Romans.
Gerade die deftige Sprache, die dialoggesättigte Verlaufsschilderung der historischen Überfahrt und die menschliche Dramatik des Romans kamen deshalb im spannenden und lebendigen Vortrag des Autors beim Überraschungstermin der Deutschen Bank zum Tragen und wurden lebhaft beklatscht. Daß Franzobel zudem seinen Roman signierte, den man am Stand der Büchergilde kaufen konnte, ließ ihn lange schreiben.
Foto: Titel: Der Autor nach der Lesung beim Signieren; Das Publikum bei der Lesung
© alle Fotos © Deutscher Buchpreis / Christina Weiß"
Info:
Franzobel, Das Floß der Medusa, Paul Zsolnay Verlag
Die Longlist. Lesproben, 2017 deutscher buchpreis, Stiftung Börsenverein des Deutschen Buchpreises, erhältlich in der Buchhandlung Ihrer Wahl