db17 franzobelSerie: Deutscher Buchpreis 2017, Teil 16, Der LESEMARATHON im Frankfurter Literaturhaus 

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Stimmt, da haben wir uns Zeit gelassen. Angekündigt hatten wir das nun schon Ritual zu nennende Ereignis am 19. September (Link unten), nachdem wir die sechs letzten Romane mit ihren Autoren längst im Überblick vorgestellt hatten, zudem mit der zweiteiligen Lesung von DAS FLOSS DER MEDUSA von Franzobel eine ausführliche Besprechung vorliegt (Links ebenfalls unten).

Nun ging es zur Sache, denn es ist jedesmal ein besonderes Erlebnis, wenn sich Autor auf Autor vorstellt, von den Moderatoren mehr oder weniger gut – diesmal auffällig gekonnt – befragt werden und auch für denjenigen, der noch keines der Bücher gelesen hat, eine Ahnung aufdämmert, der oder die wird den Preis bestimmt bekommen. Vorsicht, kann man da nur rufen, dieser Abend ist keine Vorentscheidung, dieser Abend ist nur besonders interessant, obwohl – leider, leider - nur fünf der Autoren anwesend waren. Gerhard Falkner mit ROMEO ODER JULIA war verhindert. Wie schade, den hätten wir am liebsten gehört, denn er ist für uns der einzige Unbekannte in dieser Sechserauswahl und sein amüsanter Roman läßt viele Fragen offen.

Er selbst war zudem zu einer eigenen Lesung gerade in Frankfurt gewesen, was wir nicht wahrnehmen konnten, leider. So bleiben die Fragen, die bei der Vorstellung der anderen fünf fast alle beantwortet wurden. Denn – ehrlich gesagt – war das die bisher beste, weil gehaltvollste Unternehmung, seit im Literaturhaus die Stadt Frankfurt das Privileg genießt, die Autoren der Sechserauswahl gesammelt und gebündelt vorzustellen.

Der Konflikt

Hausherr Hauke Hückstätt begrüßte und wie immer konnte er sich daran freuen, daß schon nach Minuten das Platzkontingent des großen Saales ausverkauft war, so beliebt ist diese Veranstaltung, die vor allem denen entgegenkommt, die alles wissen wollen, ohne die Bücher gelesen zu haben. Im Ernst. Denn nach der Veranstaltung glauben die meisten, sie kennten nun die Bücher und könnten mitreden. Darin liegt wirklich ein Reiz, was gar nicht abfällig gemeint ist. Und so kommt es auch nicht von ungefähr, daß der Verkaufsstand vor der Tür ein Gradmesser ist dafür, wer, also welcher Schriftsteller besonders angekommen war oder welches Buch, welches also am meisten gekauft wurde. Interessant, daß es da Doppelungen gibt. Das eine Buch wird gekauft, weil einem der Autor am besten gefiel, das andere, weil der Inhalt so rübergekommen war, daß man es lesen will. Das aber am Schluß.

Denn wir sind noch bei den Begrüßungen, wo dem Hausherren das erste Mal die noch immer neue Kulturdezernentin Ina Hartwig folgte, schon deshalb spannend, weil sie vor allem als Person bisher Bücher und Buchrezensionen persönlich verkörperte, war sie doch in ihrem bisherigen Berufsleben Rezensentin von Büchern und öfter in Literaturjurys vertreten, so auch schon mal in der des Deutschen Buchpreises.

Nein, da gab es keinen Konflikt, der trat erst auf, als Alexander Skipis, der als Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels regelmäßig dabei ist, nach seiner packenden Begrüßung sozusagen auspackte. So war nämlich am gleichen Tag in der FAZ im Feuilleton ein großer Bericht über Büchersterben, besser das Zumachen und Verkümmern von Buchhandlungen in Deutschland erschienen und zwar durchaus mit besorgniserregender Tendenz. Geschrieben hatte den Artikel Sandra Kegel, die gleich aufs Podium kam und die Moderation mit Franzobel über seinen Roman beginnen sollte. Skipis nutzte die Gelegenheit, darüber und über die seiner Meinung nach falschen Tendenzen zu sprechen, da sie von erheblichen Umsatzeinbußen geschrieben hatte, wobei einem die Schließungen noch näher gingen.

Das sei so nicht richtig, stellte Skipis klar. Natürlich kämen Schließungen vor, aber das sei nicht die Tendenz, denn dem deutschen Buchmarkt gehe es wirtschaftlich gut. Deutschland sei international immerhin der zweitgrößte Buchmarkt der Welt und hätte ein entsprechendes Renommee. Das konnte man verstehen und hätte den Artikel ja, so noch nicht gelesen, nachholen können.

Nein, es war nicht nötig, daß Sandra Kegel die Situation, daß sie als nächste Moderatorin auf Alexander Skipis folgten zu einer Rückantwort nutzt. Nach den Begrüssungen wollen die Leute sowieso endlich die Autoren hören. Wenn dann aber eine Moderatorin sozusagen in eigener Sache dem Begrüßer widerspricht, wird daraus schnell etwas, was man entweder sofort zur Hauptsache machen muß und an Ort und Stelle klären, was nicht gegangen wäre oder besser stehen läßt, denn so kam das doch sehr legitimatorisch rüber, wenn die Angesprochene von stattgefundenen Gesprächen statt und einfach den Eindruck machte, sie fühle sich stark angegriffen und in ihrer Ehre gekränkt.


Franzobel: DAS FLOSS DER MEDUSA

Sei‘s drum. Wir wollen das nicht vertiefen, was an anderem Ort ausgetragen werden muß. Das Gespräch mit Franzobel mußte darunter nicht leiden, weil der 1967 in Oberösterreich geborene – bürgerlich Franz Stefan Griebl geheißene – Österreicher einfach ein rhetorisch geschulter und Literaturkämpfe gewohnter Mann, ein echter Hund ist, der seine grausige Geschichte sich selbst erzählen läßt. Bilder- und faktenreich, wie es das Gemälde von Gericault, das tatsächlich den Impuls gab uns zeigt. Das sind wie im Roman noch die 15 Überlebenden, die vor der Küste Afrikas auf einem Floß aufgefunden werden, nachdem das Schiff mit 147 Personen in Frankreich Richtung Senegal gestartet war.

Eine schlimme Geschichte, die zeigt, in welchen Situation Menschen einander aufessen und daß hier mangelnde Kompetenz und Korruption von oben den Anfang nahm, in dem ein völlig Unerfahrener zum Kapitän befördert wurde, nur weil er Monarchist war, die gerade – wir sind im Jahr 1816 – in Frankreich politisch gesiegt hatte. Der Hinweis von Sandra Kegel, die diesen Roman gewissermaßen als Metapher auf die heutige Flüchtlingssituation ansah, irritierte, weil einfach die Richtung eine andere ist. Damals ging es nach Afrika, um die dortige französische Herrschaft im Senegal zu festigen. Wie wir bei der langen Lesung von Franzobel angemerkt hatten (vgl. Links unten), stellt sich natürlich das ethische Problem des Kannibalismus, das sehr spannend Ferdinand von Schirach in DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST ANTASTBAR, beantwortet, das allerdings überhaupt nicht von Franzobel intendiert ist, der den Ablauf als Chronist schildert.

Foto: Franzobel und - sehr stark angeschnitten - Sandra Kegel© https://www.deutscher-buchpreis-blog.de/

Info:
Die Veranstaltung im Literaturhaus fand am 23. September von 18.00 Uhr bis 22.30 statt. 

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