Serie: Deutscher Buchpreis 2017, Teil 17, Der LESEMARATHON im Frankfurter Literaturhaus
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Mit Marion Poschmann DIE KIEFERNINSELN, erschienen bei Suhrkamp, deren Moderation Alf Mentzer, hr2-kultur übernommen hatte, konnte man ein beglückendes Gespräch erleben, bei dem man den Eindruck hatte, daß die Autorin sich nach und nach immer wohler fühlte und das Gespräch darum auch immer tiefer ging.
Nun ist Marion Poschmann kein Neuling auf diesen Veranstaltungen. Sie ist einfach eine sehr gute Autorin, die sprachgewandt sich besondere Sujets vornimmt. Diesmal Japan. Sie erzählte, was man beim Lesen des Romans zwar merkt, aber eben nicht weiß, woher es kommt daß sie sich so gut auskennt. In Japan. Sie lebte 2014 für drei Monate in Kyoto, nach Japan war sie ihres Interesses für die dortige Gartenkunst gekommen, überhaupt sei es diese Kombination von Tradition und absoluter Moderne, wenn es um Technik geht, die dieses Land so faszinierend mache. Eine durchaus schräge Kombination hält auch ihren Roman zusammen, gibt ihm Gerüst und inneren Halt.
Es beginnt mit diesem Mann, einem Professor, der sich später als Bartforscher und doch eher Privatdozent herausstellt. Der hat schlecht geträumt. Einen echten Alptraum für ihn. Seine Frau hat ihn betrogen, noch dazu mit dem...sie streitet alles ab, sind wir im Traum oder der Wirklichkeit? Auf jeden Fall haut er in der Wirklichkeit ab, packt kurz das Wichtigstes zusammen und nimmt den Flug nach Japan. Und dort trifft er auf einen potentiellen Selbstmörder, der den Absprung nicht schafft, sein Vorhaben stilgerecht umzusetzen. Immer paßt was nicht, zumal, wenn man es an dem Selbstmordführer mißt, den er mit sich führt. Eine Anleitung, sich auf die beste Art umzubringen.
Da hat Gilbert Silvester nun eine vorübergehende Lebensaufgabe gefunden. Denn eigentlich will er den Selbstmord verhindern, nutzt dazu das Handbuch, in dem er mit Tamagotschi – so heißt der junge Japaner, haha – nun alle im Handbuch quer über Japan aufgeführten Stationen aufsucht, wo Selbstmorde besonders einfühlsam und authentisch gelingen und kommt so auch zu den Kieferninseln, wo sich die Liebhaber von typisch japanischer Landschaft und Selbstmörder treffen. Alf Mentzer gelang es, es nicht bei der Darstellung vom Inhalt des Romans zu belassen, sondern Marion Poschmann viele anrührenden Gedanken und Gefühle zu ihrem literarischen Sujet zu entlocken, die deutlich machten, was sie dann zu Japan äußerte: „Ich fühlte mich am richtigen Platz.“ Die Begründung hatte sie schon in der Beschreibung Japans geliefert als einer Gesellschaft, die die Leere in den Mittelpunkt stelle, wo nämlich gerade die Gegenstände interessierten, die nur durch Leere ihre Dimension erhielten, die von Vergänglichkeit und Flüchtigkeit des Seins sprechen.
Robert Menasse: DIE HAUPTSTADT
Mit Robert Menasse und DIE HAUPTSTADT, ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienen, ging es noch vor der Pause weiter und dabei passierte Zweierlei. Moderator Gert Scobel, 3Sat, wollte mit dem Österreicher besonders elegant beginnen und bezog sich auf die letzte Äußerung von Marion Poschmann: „Ich trinke immer nur Tee.“ und fragte nach der Präferenz von Menasse hinsichtlich Tee und Kaffee. Der empfand die Ansprache – durchaus zu Recht – als anbiedernd und unpassenden Smalltalk und antwortete eher schroff: „Ich freue mich schon auf die Pause, wenn ich rauchen kann.“ Und bekam dafür rauschenden Beifall.
Nach der ersten Klatsche holte sich Scobel gleich die zweite, in dem er nachfragte, wie oft der Autor den Anfang umgeschrieben habe „...ich ahne, daß es häufiger war“ und erging sich dann in Selbstoptimierungen, wie sehr er selbst immer auf die Anfänge achte, die doch..., was Menasse abkürzte und ihm beschied, daß er die Vorworte immer erst am Ende schreibe, wie hier der Prolog, den er aber am Schluß verfaßt hatte, jetzt aber in Gänze vorlesen wollte, was geschah: „Da läuft ein Schwein! David...“...
In diesem Prolog tauchen die Menschen auf, um die es im Roman in der EU- Hauptstadt Brüssel gehen wird und die alle auf die eine oder andere Weise vom herumlaufenden Schwein tangiert werden. Ein Beginn, der einen eher an Günter Grass erinnerte, so drastisch, so verwegen und auch so souverän ist er. Und nach der Lesung durch den Autor war auch Anlaß, mit diesem über die Absichten dieses Roman als Zentrale der Europäischen Union ins Gespräch zu kommen.
Vier Jahre hat Robert Menasse dort gewohnt, um die Stadt kennenzulernen und die Mechanismen der EU-Bürokratie zu studieren, des Pudels Kern herauszufinden und damit auch den geheimen Lehrplan dahinter. Am Schwein als Metapher für Tolles und das Gegenteil (von ‚Schwein gehabt‘ bis ‚Drecksau‘) konnte er sich gut auch sprachlich durch das politische Eu-Gestrüpp bewegen, denn Schweine gehen meist im Kreuzgang, können jedoch auch traben und galoppieren und vom Schwimmen war noch gar nicht die Rede.
Das Interessanteste jedoch waren die Stellen, die um den laut Menasse schon von Walter Hallstein vorgeschlagenen Vorschlag kreisen, Auschwitz zur Hauptstadt Europas zu machen. Das kommt einem bei einem Roman, der ein Panoptikum an Personen aus verschiedenen Staaten Europas und Situationen präsentiert geradezu unwahrscheinlich vor. Insgesamt waren im Gespräch über diesen Roman die Gespenster Europas anwesend, d.h. man spürte den Atem der Geschichte. Das Publikum reagierte auch durch besonders intensives Klatschen, denn für viele hatte hier der kommende Buchpreisträger gesprochen. Da muß es einen nicht wundern, daß auch beim Buchverkauf im Vestibül schnell das ganze Kontingent der Hauptstadtromane ausverkauft war.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto: Gert Scobel und Robert Menasse © https://www.deutscher-buchpreis-blog.de/
Info:
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