„Das Leben des Vernon Subutex“, erster Teil der Trilogie bei Kiepenheuer & Witsch
Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Sie sei der neue "Houellebecq", zwitschert es in Paris, wo im Frühjahr alle drei Teile über Vernon Subutex erschienen sind, dessen erster Teil gerade bei uns auf Deutsch erschien. Dazu muß man wissen, daß Subutex in Frankreich ein Medikament ist, das als Drogenersatz dient. Und Vernon? Wer dächte da nicht an Boris Vian und seinen unter dem Pseudonym eines afroamerikanischen Vernon Sullivan 1947 erschienenen Skandalroman "Ich würde auf eure Gräber spucken", der damals zensiert wurde und dem Despentes ohne Zensur nacheifert. Die Redaktion
Tatsächlich hat der neue Roman der französischen Autorin Virginie Despentes sie zu einem skandalumwitterten Star gemacht, der fast täglich in Interviews oder Besprechungen in den Medien auftritt. Die von ihr erfundene Kultfigur Vernon Subutex betrieb in Paris über Jahrzehnte einen außergewöhnlichen Schallplattenladen. Der Mann kannte die verrücktesten Bands, war mit einigen von ihnen innig befreundet, verführte jede Frau und war ein begnadeter DJ. Doch irgendwann musste er sein Geschäft schließen, weil kein Mensch mehr Schallplatten kaufte. Einige Jahre lang hielt sich Vernon noch durch den Verkauf seiner zahllosen Devotionalien angesagter Musiker über Wasser. Aber eines Tages wurde es wirklich eng für ihn, als er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, flog er aus seiner Wohnung.
Damit beginnt der Roman - das einzige, was Vernon nach seinem Rauswurf noch besitzt, sind Tonbänder mit Interviews des soeben verstorbenen Rock-Musikers Alex. Während er bei verschiedenen Frauen übernachtet und komplizierte Affären mit ihnen hat, suchen ihn gleichzeitig diverse Leute in ganz Paris, um an seine Interview-Bänder zu kommen: Ein kriecherischer TV-Redakteur, eine immer noch eifersüchtige ehemalige Freundin des Toten, eine ausgeflippte Journalistin und andere schräge Gestalten.
Deutlich hat die Autorin ein Faible für die, im kulturellen Untergrund der Seinestadt lebenden Außenseiter, die sie ohne moralische Belehrungen wie in einem Panoptikum darstellt. Despentes erzählt die Geschichte vom unaufhaltsamen Abstieg des Musikbesessenen nicht gradlinig, sondern ständig tauchen neue exzentrische Figuren auf. Zunächst beschreibt sie jeweils deren Macken, Obsessionen und seltsamen Erlebnisse, bevor sie dann diese Gestalten in irgendeine Beziehung zu ihrer Hauptfigur geraten lässt. Das macht neben der schnodderigen, aber keinesfalls alltäglichen Erzählsprache das Buch sehr überraschend und spannend.
Ein Beispiel: Irgendwann begegnet Vernon der lesbischen Gaelle wieder, die er von früher kennt: „Leute wie sie sind Bohemiens, Künstler - sie führen ein unfassbar intensives Leben. Und sie sind nie am Ende...“ Sie schleppt Vernon mit in das riesige Haus des manischen Brokers Kiko, der ausgeflippte Typen um sich schart und aushält, sie aber auch schnell wieder rausschmeißt. Kiko kann Vernon zunächst nicht leiden, „er wäre fast ausgerastet, als er diese Pennerfresse gesehen hat“, jedoch mit seiner gewagten Disco erobert er den Maniker. „Der Junge ist Gott, das ist Balsam in den Ohren.“ Da Vernon seine Finger aber nicht von der transsexuellen Garcia lassen kann, die Kiko „gehört“, muss er Hals über Kopf verschwinden. Nun beginnt sein endgültiger Abstieg, als Clochard lebt er auf der Straße, verwahrlos und ohne Scham. Der Schluss des Buches suggeriert, dort würde er krepieren. Doch auf der allerletzten Seite wirbt der Verlag für die Fortsetzung des Romans - das Leben Vernons wird also 2018 weitergehen.
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Info:
Virginie Despentes „Das Leben des Vernon Subutex“, gebunden 400 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 22 Euro