a ericvuillarddeutschlandfunk»L'Ordre du jour« (Actes Sud) wird als »Die Tagesordnung« bei Matthes & Seitz Berlin im Frühjahr herauskommen

Susanne Sonntag

Berlin (Weltexpresso) - Der französische Autor erhält den renommierten Literaturpreis für sein Buch »L'Ordre du jour« (Actes Sud). Das gab die Jury am Montagmittag in Paris bekannt. Das Buch erscheint im Frühjahr unter dem deutschen Titel »Die Tagesordnung« bei Matthes & Seitz Berlin und zeigt, daß die Deutschen mit Hilfe der Franzosen wieder einmal eine Chance erhalten, ihre Vergangenheit literarisch aufzuarbeiten.

K johnheartfieldIn »L'ordre du jour« geht es um den »Anschluß« Österreichs an Deutschland im Frühjahr 1938, aber auch um die Mechanismen hinter Adolf Hitlers Machtergreifung 1933. Zentral ist dabei die Unterstützung der deutschen Großindustrie für die NSDAP, was offiziell verschwiegen wurde, aber tatsächlich das Resultat eines Geheimtreffen Hitlers mit den Industriebossen am 20. Februar 1933 war. Wie stark die Kunst das vorwegnehmen kann, was dann tatsächlich geschieht, entlarvt diese wunderbare Collage von John Heartfield DER SINN DES HITLERGRUSSES: KLEINER MANN BITTET UM GROSSE GABEN, die als Titel der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) schon 1932 erschien! 

Der 49jährige Autor und Filmemacher bedient sich in seinen Erzählungen oftmals der besonderen Momente der Geschichte, die er neu erzählt und damit sein eigenes Genre begründet. Ausdrücklich ist zu erwähnen, daß Eric Vuillard Schriftsteller ist, kein Historiker, also keine geschichtliche Betrachtung anstellt, sondern eher vom Zusammenspiel menschlichen Schwächen mit dem Zeitgeist seine Themen der Weltgeschichte findet.

Der PRIX CONCOURT ist der bedeutendste Literaturpreis Frankreichs und kein Geldpreis, sondern einer der Ehre, der mit symbolischen 10 Euro dotiert ist und seit 1903 besteht. Er diente wie auch der englische Man Booker Prize als Vorbild für den Deutschen Buchpreis, den es nach vielen Anläufen immerhin seit 2005 gibt. Der Schweizer Buchpreis zog seit 2008 nach und der Österreichische Buchpreis wird dieses Jahr das zweite Mal verliehen und ging am Vorabend an Eva Menasse. 

Am 30. März 2018 erscheint »L'Ordre du jour«, übersetzt von Nicola Denis, unter dem Titel »Die Tagesordnung« bei Matthes & Seitz Berlin, was bei uns auf großes Interesse stößt, so daß wir das Buch dann schnell besprechen werden.


Bisher von Éric Vuillard auf Deutsch erschiene Romane (aus dem Französischen von Nicola Denis) bei Matthes & Seitz Berlin:

»Traurigkeit der Erde«(2017)
»Kongo« (2015)
»Ballade vom Abendland«(2014)


PRIX RENAUDOT

Zugleich wurde am Montag ein weiterer Literaturpreis bekanntgegeben. Den PRIX RENAUDOT erhält der 43jährige Olivier Guez für LA DISPARITION DE JOSEF MENGELE, auf Deutsch: Das Verschwinden des Josef Mengele. Man mag es kaum glauben, daß damit ein weiteres Werk über die Naziverbrecher ausgezeichnet wird - im Jahr 2017! Und das in Frankreich. In Deutschland hat es solche Auszeichnungen für literarische Vergangenheitsbewältigung nicht gegeben - oder haben wir sie vergessen? Wir sprechen jetzt nicht von Heinrich Böll, Günter Grass und Siegfried Lenz, von den DDR-Schriftstellern ganz zu schweigen, die aber auch lieber über die Gegenwart und strahlende Zukunft als über die schlimme Vergangenheit schreiben sollten.


Die Geschichte deutscher Schande auch auf Deutsch neu veröffentlicht und jetzt gelesen 

Allerdings, und das ist in diesem Zusammenhang rühmenswert, wird jetzt der ab 1938 in Paris auf Deutsch geschriebene, aber 1942 in den USA und Mexiko veröffentlichte Roman DAS SIEBTE KREUZ von Anna Seghers in der Leseaktion c siebte kreuzFRANKFURT LIEST EIN BUCH in rund 90 Veranstaltungen öffentlich wiedergelesen, von den meisten sicher zum ersten Mal gelesen. Das ist aus doppeltem Grund erwähnenswert: Anna Seghers schreibt zeitlich vor dem schlimmsten Grauen, den KZs, über den blutigen nationalsozialistischen Terror, der dann in Form der industriell durchgeführten Massenmorde eintritt, aber längst im Alltag Deutschlands ausgeübt wurde.

Hier hat Literatur den ahnenden Aspekt. Und daß sich die Deutschen immer noch, und was das Alltagsleben angeht, wohl erstmals richtig intensiv mit dem Dritten Reich beschäftigen, das zeigt, daß unabgesprochen, also zufällig - aber was sind schon Zufälle? - der Roman in einer dramatischen Fassung durch den neuen Frankfurter Schauspielchef Anselm Weber gerade auf die Bühne kam.
Weltexpresso hatte darüber ausführlich berichtet. 


Fotos:
Titel: ©deutschlandfunkultur.de

Cover.John Heartfield © dhm.de
daraus Vergrößerung © dhm.de