cbollschubertHeute wäre Heinrich Böll hundert Jahre geworden, Jochen Schuberts Biographie aus dem Theiss Verlag sagt, wie es war

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenige erinnern mich an die guten Seiten der alten Bundesrepublik in ihrer schrecklichsten Zeit der fünfziger und sechziger Jahre so sehr wie Heinrich Böll. Er war uns Jugendlichen eine Instanz, ja, eine moralische Instanz in einer Umwelt, die mit ihrem hysterischen Antikommunismus ablenken wollte davon, daß die meisten, die in der Bonner Republik das Sagen hatten, ihr Mäntelchen nach dem Wind gedreht hatten, der schwarz machte, was vorher braun war.

Kennengelernt hatte ich Böll als Kind als häuslicher Gast, der wie andere Schriftsteller der Gruppe 47 zu Besuch bei den Frankfurter Heften war, als Übernachtungsgast, sozusagen auf dem Teppich eingerollt. Die Dichter waren damals bescheidene Leute und sie konnten aus der Ansammlung von Talent und Witz etwas machen, diese Abende bei Wein und Geist. Böll war nett zu den Kindern, brachte etwas mit, während wir vor Günter Grass immer etwas Angst hatten; verliebt aber hatte sich meine kleine Schwester für länger in Martin Walser. Tatsächlich waren sie: Böll, Grass, Walser schon damals das Dreigestirn der neuen bundesdeutschen Literatur, die erst einmal Heinrich Böll prägte.

a bollstiftung.deWarum spricht eigentlich heute niemand mehr von DOKTOR MURKES GESAMMELTES SCHWEIGEN, von dem wir geschworen hätten, dies sei als Hörspiel erstveröffentlicht worden und müssen nun nachlesen, daß dies der Titel einer Kurzgeschichte ist, die 1955 in besagten Frankfurter Heften – 1947 zum Beispiel hatten die eine Auflage von 80 000, was eine Kulturzeitschrift selbst im ‚vereinigten Deutschland‘ nie wieder erreichte – erschienen ist. Auf jeden Fall ist uns aus dem Hörspiel bis heute gegenwärtig, wie drückend, bedrückend es gewesen sein muß, wenn die alten Jasager auch die neuen waren, denn alles in allem geht es genau darum, daß es zwischen NS-Diktatur und Bonner Demokratie keine Stunde Null gab, sondern eine geistige Kontinuität herrschte zwischen dem im Dritten Reich Angesagten zum kulturellen Weiterleben in der BRD.

Und wenn man sich mit dieser bitterbösen Satire noch einmal beschäftigt, wird auch klar, weshalb HÖRSPIEL hängen blieb, denn im Text geht um das Hörspiel, das ein ehemaliger NS-Kulturmagnat ‚bereinigt‘ haben möchte, denn leichtfertig hatte er nach 1945 von Gott gesprochen, weil er es für opportun hielt, nun aber zehn Jahre später merkt, daß es auch die Wendung „jenes höhere Wesen, das wir verehren“ tut. Und diesen Austausch auf den Bändern soll besagter Doktor Murke leisten, der beim Gott-Wegschneiden den Opportunisten hassen lernt. Und wir mit ihm. Tolles Ding. Übrigens machte der - leider auch schon tote - Dieter Hildebrandt damals daraus für das Hessische Fernsehen einen Film, wobei einem Zweierlei einfällt, wie gut waren die bundesdeutschen Kabarettisten und welche politische und moralische Instanz war einmal der Hessische Rundfunk, der nicht nur literarisch Anspruchsvolles bot, sondern Schriftsteller und Dichter beschäftigte, die ohne ihn keine materielle Lebensgrundlage gehabt hätten.

Aber im Böllschen Text wird mitnichten dem Rundfunkintendanten gehuldigt, der wird eher als Windei dargestellt, der diesem Wendehals nun diese eine Minute zusätzlicher Sendezeit zugesteht, die die Ersetzung von x-mal GOTT durch JENES HÖHERE WESEN, DAS WIR VEREHREN mit sich brachte. Was der junge forsche Doktor Murke mit den 27fachen Schnipseln GOTT anfing, bitte lesen...

a boll.deAber eigentlich wollten wir ja, nachdem unser Kollege vor allem auf die Romane Bölls eingegangen ist, mehr zur Biographie von Jochen Schubert sagen, die im Theiss Verlag auf 294 Seiten mit langem Anhang zum Jubiläum erschienen ist. Der Verfasser ist dazu prädestiniert wie keiner, möchte man denken, denn er ist ein herausragender Kenner der Böllschen Schriften, deren Kölner Ausgabe er mitherausgibt, zudem ist er Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung, die diese Biographie herausgibt. Und es ist sicher nicht fehlende Sachkenntnis, die seine Ausführungen so trocken, so uninspiriert, so die Lebensdaten und Personen aufzählend macht. Vielleicht weiß er einfach zu viel und hat dadurch den Gegenstand: den lebendigen Dichter Heinrich Böll aus dem Blick verloren. Denn dessen Leidenschaft, gepaart mit tiefer Melancholie fehlen dieser Lebensbeschreibung, die auch – finden wir – Personen und Vorgänge nicht gewichtet, sondern eins ans andere reiht.

In Biographien schauen wir uns immer zuerst die Bilder an, die Fotos, die sinnbildlich das Leben wiedergeben. Davon gibt es in diesem Buch viel zu wenige, die zudem nur in den Text einsortiert sind, wo das Datum ungefähr stimmt. Wir finden solche zusammengebundenen Fotoseiten quer durchs Leben sinnvoller, weil sie eine Biographie optisch begleiten, zudem doch die Heinrich-Böll-Stiftung über Bildrechte verfügt. Auf Seite 13 schaut uns der Böll des Jahres 1975 gemütlich sitzend mit unergründlichem Blick an, skeptisch, zugewandt, es läßt sich viel hineinlesen in diesen Blick, was typisch ist, denn Heinrich Böll dient vielen auch als Spiegel und diese erwarteten von ihm immer wieder Orientierung, zu der sie selbst nicht in der Lage waren. Von den einen also als Gutmensch geschmäht, als rein gesellschaftskritischer Schreiber niedergemacht, von den anderen als Vorbild auf den Sockel gehoben und dadurch auch drangsaliert. Schwer, dazwischen zu leben und vor allem – zu schreiben.

a boll grass brandtDaß er 1972 den Nobelpreis erhielt, gliedert seine Biographie. In der chronologischen Abhandlung gilt Kapitel 6 auf den Seiten 145 bis 216 der Literarischen Opposition (1960-1971) und das Kapitel 7 HEINRICH BÖLL UNTER DEN DEUTSCHEN (1972-1979). Während in den Sechziger Jahren also vorwiegend seine internationale Hilfestellung für verfolgte Schriftsteller gewürdigt wird, von Lew Kopelew über seine Präsidentschaften des bundesdeutschen und des internationalen PEN, geht es dann um die innerbundesdeutschen Konflikte, die sich an Verschiedenem entzündeten und immer die „guten Bürger“ gegen den Rest der Republik stellten. Das machte den aufrechten Böll rasend. Der sah zwar eher wie seine ausgemachten bürgerlichen Gegner aus, aber hatte eine antimonarchische wie antinazi- wie antiautoritäre freiheitliche Gesinnung, eine Spur Anarchismus wie jeder richtige Künstler, was wiederuma bollnobel ‚Staatsorgane‘ wie die Bildzeitung aufs Blut reizte, die nicht nur mit seiner literarischen Verarbeitung der Katharina Blum leben mußte, sondern dazu – was früher war - noch mit dem Literaturnobelpreis für Böll fertigwerden mußte. Da ging es nicht mehr um Literatur – das tut es übrigens beim Nobelpreis für Literatur sowieso selten – sondern um das politisch-moralische Überleben und Rechtbehalten. Das war im Jahr 1972, dem Jahr, wo Willy Brandt das Mißtrauensvotum als deutscher Kanzler überstand.

Es ist einerseits ehrenwert, daß der Biograph uns nicht seine Meinung über seinen Gegenstand, Heinrich Böll, oktroyiert, aber mit einer Meinung könnte man sich leichter auseinandersetzen, als mit der unaufhörlichen Auflistung von Briefen, Daten, Zeitungsartikeln, Reaktionen, Anrufen, Treffen etc., wo keine Schwerpunkte gesetzt sind und Analyse und Bewertung unterbleibt. Das ist das eine, das andere führt zum Gegenteil, daß man nämlich viele neue Informationen über Begegnungen und Aussagen von Böll erfährt, die man allein aufgrund des Lesens seiner Werke nicht wüßte.

Was in den vielen politischen Konflikten aufscheint, in denen Böll seine Meinung deutlich sagte, was ihn verletzte, vor allem sehr ermüdete, das ist, daß es letztlich dieselben gesellschaftlichen Differenzen sind wie heute. Tatsächlich ist das einzige, was als Fortschritt wahrnehmbar ist, daß die Haltung der überwiegenden Anzahl der Bundesbürger zu den Verbrechen der Nazis eindeutiger, eindeutig ablehnender, verurteilender geworden ist, Wahlerfolge von rechte Parteien hin oder her.

P.S. Übrigens hatte ich bei allen Passagen, die Kindheit, Jugend und Nachkriegszeit in Köln angehen, ständig die Bilder von Köln und den Kölnern aus dem zweiteiligen Fernsehfilm DIE HIMMELSLEITER (Peter Zingler) vor Augen, der im Köln der Kriegs- und Nachkriegszeit spielt. Das sind dieselben Bilder, die man beim Lesen der Nachkriegskurzgeschichten von Böll fühlt und sieht.

Fotos:  Cover © Theiss Verlag

Info:

Jochen Schubert, Heinrich Böll, Theiss Verlag