Elisabeth Römer
Hamburg (Weltexpresso) – Schräges Buch. Eindrucksvolles Thema, bei dem einen auf einmal kunstgeschichtliche Kenntnisse zu Gute kommen und man immer wieder dem Stand der Ermittelung voraus ist.
Echt. Also, der Inhalt ist ganz schön ungewöhnlich und man kann nur raten, nicht rasch rüberzuhudeln, weil‘s zwischendurch vor Spannung nicht auszuhalten ist, sondern lieber in Ruhe und Konzentration die Handlung langsam zu verfolgen, wobei die Todesarten das große Geheimnis sind, nachdem ganz offensichtlich post mortem der ersten Ermordeten Sarah die Augäpfel herausgeschält wurden und ihr in die eigenen Hände gelegt wurden. Was soll denn das? Was für ein Psychopath. Aber auch eine geheime Symbolik. Nur welche?
Aber nicht nur der Inhalt der Geschichte ist anspruchsvoll - unglaublich, auf welche Ideen phantasievolle Autoren kommen! -, auch die Form hat es in sich. Stärker noch als beim Lesen im Buch, ist man beim Hören des Hörbuchs erst mal irritiert, wer als auktoriale Erzählerin da gerade spricht, von der Beerdigung erzählt, an die gemeinsamen Schultage erinnert. Wer ist es? Und dann geht es mit „Auch Monster sind sterblich.“ im zweiten Kapitel weiter und wieder erzählt eine Frauenstimme – es ist - in der Ich-Person von der Mutter in der Krankenstation eines Gefängnisses, dann wird diese schwer Kranke zur biologischen Mutter – und schon wissen die Eingeweihten, daß jetzt Maura Isles spricht, die Rechtsmedizinerin, die immer zusammen mit der Kriminalpolizisten Jane Rizzoli die Fälle löst – sonst, aber dieser ist besonders kniffelig.
Tess Gerritsen vermag aber auch Neueinsteigern, für die dies der erste Fall ist, die familiären Verhältnisse der beiden Frauen rasch nahezubringen, ohne daß es für die Wissenden redundant würde. Aha, die beiden, die in Boston so gut zusammenarbeiten, haben völlig unterschiedliche Familienverhältnisse. Maura lebt alleine, mit der mehrfachen Mörderin als Mutter und einem mörderischen Bruder, den sie erst dienstlich wiedersah: als er auf ihrem Tisch lag und von ihr aufgeschnitten wurde, um seinen Tod zu klären. Tja, diese Maura trägt ein Bündel von Problemen mit sich, aber das macht sie hellsichtig gegenüber den Problemen der Welt.
Kollegin und Freundin Jane dagegen hat einen liebevollen Mann und zwei kleine Kinder, allerdings lauern auch in ihrer Familie die Gespenster, was mit ihrem Vater und der Mutter zu tun hat. Aber – und das macht das Verfolgen der Geschichte intensiv – die privaten Situationen begleiten ihre Arbeit nur, aber die beiden sind professionell genug, daß die volle Konzentration dem Fall gilt, der durch diese herausgeschälten Augen so grauslich und auch so ungewöhnlich wirkt. Diese Konzentration auf das Kriminalgeschehen gefällt uns, denn die Masche, daß die Fälle in Krimis eher als Staffage dienen, um das für den Leser doch eher uninteressante Privat- und Liebes- sowie Scheidungsleben von Kriminalkommissaren zu verfolgen, diese Masche langweilt uns.
Also der Fall: die Ermordete mit ihren Augen in den Händen. Doch bei dem einen Mord bleibt es nicht. Als schnell aufgeklärt ist, daß es sich bei der Toten um eine 26jährige Filmregisseurin handelte, Cassandra Coyle, deren Spezialität Horrorfilme sind und man erst mal im privaten und beruflichen Umfeld den Mörder sucht, hat dieser schon das zweite Mal zugeschlagen.
FORTSETZUNG FOLGT
Info:
Tess Gerritsen, Blutzeuge, Limes Verlag 2017
Tess Gerritsen, Blutzeuge, gelesen von Tanja Geke und Britta Steffenhagen, gekürzte Lesung, 2 mp3 ca. 9 Std. 17 Min., Random House Audio, 2017
Der Titel BLUTZEUGE ist im Sprachgebrauch nicht allen bekannt. Blutzeugen sind in der christlichen Tradition diejenigen Menschen, die für ihren Glauben den Märtytertod erfuhren, erdulden mußten. Der Begriff Märtyrer ist also synonym mit ermordet worden zu sein, weshalb ihr Blut davon zeugt. Dem gegenüber sind andere Christen, die ebenfalls Marter und Verfolgungen erlitten haben, aber überlebt haben, als Bekenner gekennzeichnet.