apm weinheberportraitChristoph Fackelmanns Auswahl aus dem lyrischen Gesamtwerk

Alexander Martin Pfleger

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Jahr 2017 gedachte man des 125. Geburtstags des Dichters Josef Weinheber. Zugleich mußten die Freunde seiner Dichtung Abschied von seinem Sohn Christian Weinheber-Janota nehmen, dem langjährigen Vorsitzenden der Josef-Weinheber-Gesellschaft. Doch auch eine neue Auswahl aus Weinhebers Gedichten ist erschienen und bietet gleichermaßen Neulesern wie Altlesern die Möglichkeit, einen umfassenden und unbefangenen Zugang zu seinem Werk zu gewinnen.

Die in diesem Band enthaltene Chronik zu Josef Weinhebers Leben und Werk schließt mit dem Satz: „Das Interesse an W[einheber]s Lyrik ist ungebrochen groß und intensiv.“ Natürlich eignet es Chroniken, im Präsens verfaßt zu sein, aber dennoch kann man mit nicht allzu viel Optimismus behaupten, daß dieser Satz, der sich auf die Weinheberrezeption unmittelbar nach dem Erscheinen von „Hier ist das Wort“ im Herbst des Jahres 1947 bezieht, im Negativen wie im Positiven auch auf unsere Gegenwart zutrifft.

Im Negativen: Einen Lyriker, den man für „erledigt“ hält, bekämpft man nicht; man widmet ihm keine Skandalbiographie und macht sich nicht die Mühe, sein Denkmal zu schänden.

Im Positiven: Allen Anfeindungen zum Trotz haben sich die Zuneigung des Publikums und das Interesse des ausschlaggebenden Teils der Fachwelt im Grunde nie ganz von ihm abgewandt. Mag sich auch eine von denunziatorischen Ambitionen getriebene Clique allzu einseitig auf den Vers „Ein Nazi ists, der aus den Oden spricht!“ aus dem Spottgedicht „Im Parteienstaat“ von 1935 kapriziert haben: Weinheber, der so vieles, „wenn nicht gar noch mehr“ war, der in seiner Dichtung stets auch Gerichtstag über sich selbst hielt und bis zum letzten Zeugnis davon ablegte, „...wie ich gut gewollt / und wie ich bös getan“, hat sich bis heute, wiewohl immer wieder „bedroht von den Gewalten der Zeit“, bewährt.

Die wissenschaftliche Befassung mit seinem Leben und Werk ruhte nicht: Spektakuläre Funde zur Rezeption (Gerhart Hauptmann), Editionen wichtiger, bislang unerschlossener Korrespondenzen (Erwin Guido Kolbenheyer) und kommentierte Neuausgaben früherer Sammlungen („O Mensch, gib acht“) zogen allein in den letzten Jahren nicht nur das Interesse der Germanistik, sondern auch der nicht-akademischen, „unverbildeten“ Leserschaft auf sich.

amp fackelmannportraitIn noch größerem Ausmaße ist dies der vorliegenden, erstmals auf philologischer Grundlage, nämlich der durch Friedrich Jenaczek besorgten textkritischen Gesamtausgabe fußenden Anthologie aus dem gesamten lyrischen Schaffen Josef Weinhebers zu wünschen, die ohne weiteres dazu angetan scheint, für unsere Zeit dieselbe Bedeutung zu erlangen wie der „klassische“, gleichfalls durch Friedrich Jenaczek und durch Friedrich Sacher für Hoffmann und Campe erstellte Auswahlband von 1966 für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dem Herausgeber Christoph Fackelmann ist es auf kongeniale Weise geglückt, den „ganzen“ Weinheber im „Kleinen“ zu präsentieren: Ausschnitten aus den großen Gedichtzyklen, die den bedeutsamen Effekt erzielen, die Aufmerksamkeit auf das einzelne Gedicht, gesondert von der Gesamtkomposition, zu richten, gesellt sich eine nicht minder umfangreiche und nicht minder repräsentative Auswahl aus dem lyrischen Frühwerk, also aus der Zeit vor „Adel und Untergang“ (1934), die nicht nur den Kenner überraschen dürfte!

Salopp gesprochen: Weinheber war auch ein veritabler Asphaltliterat! In einem Literaturquiz könnte man mit einigen Beispielen aus diesem Bereich für nicht geringe Überraschung sorgen. Weinheber berührte sich durchaus mit dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit – weniger, weil es ihm darum zu tun gewesen wäre, den jeweiligen Moden zu huldigen, als vielmehr dergestalt, daß er die Tendenzen seiner Zeit daraufhin prüfte, inwiefern ihnen etwas seinem Wesen Gemäßes eigne, das es auszuprobieren galt, auch wenn er es später zugunsten seines Personalstils verwerfen sollte. Gerade hier läßt sich Weinheber, wie man es in ähnlichen Fällen platitüdenhaft zu formulieren beliebt, „neu entdecken“: Vielleicht läßt sich nämlich gerade hier für den Erstleser am deutlichsten ablesen, daß Weinheber kein Vertreter des Subjektivismus, sondern stets um Objektivierung bemüht war; stets in Konfrontation mit seiner Gegenwart und deren Verwerfungen.

Nicht zuletzt die Beschäftigung mit seiner „Vorbehaltslyrik“, also mit seinen Auftragsgedichten für den NS-Staat, die in diesem Buch auch in charakteristischer Auswahl vertreten sind, führt dies vor Augen. Weinheber, der penibel darauf bestand, seine „eigentlichen“ Gedichtsammlungen von diesen teils dem Broterwerb, teils öffentlichem Zwang geschuldeten Gelegenheitswerken frei zu halten, erweist sich auch in diesen niemals als unreflektierter Apologet des Unrechtsstaats, sondern versucht auch hier, Idealen die Treue zu wahren, auf deren Verwirklichung im Nationalsozialismus er ursprünglich gehofft haben mochte, die er aber nur allzu bald als von diesem verraten und verkauft erkannte.

Eine gängige, aber hier glücklicherweise zutreffende Rezensentenphrase: Dank des Nachworts und der eingangs erwähnten Chronik, die auf lange Sicht als maßgebliche Quelle zu Weinhebers Leben dienen dürfte, bis eine dem heutigen Stand der (seriösen) Forschung entsprechende Biographie vorliegt, wird niemand, der eine ernsthafte Beschäftigung mit Josef Weinhebers Dichtung anstrebt, an diesem Buch vorbeikommen.

Josef Weinheber sprach alles an, was „zum Menschen“ gehört – die Freude, aber auch das Leid; das „Gefühl einer grenzenlosen Heimatlosigkeit“, die Empfindung, zu einem „Pariadasein“, „zur Urangst verdammt“ zu sein: Menschliche Erfahrungen, zu denen es zu seinen Lebzeiten und unmittelbar nach 1945 ebenso Anlaß wie heute oder schon wesentlich früher gab. Er war eben kein Dichter der „Ewiggestrigen“, sondern sprach mit seiner Autorschaft auch die Leser von Sartre und Camus bis hin zu Thomas Bernhard an. „Im Leid entsprungen“, sollten seine dichterischen Werke auch „im gottverlornen Schmerz“ des „Menschen Würde stumm“ vorantragen und zur „Waage / künftiger Menschlichkeit“ werden: „...und aus dem armen Erdenangesicht / wuchs ein Gestirn, verklärend Tag und Traum.“

Fotos:
Weinheberportrait im Titel ©diepresse.com
Fackelmannportrait im Text © Dr. Christoph Fackelmann

Info:

Josef Weinheber:
Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind
Eine Auswahl aus dem lyrischen Gesamtwerk.
Mit einem Nachwort und einer Lebenschronik.
Herausgegeben von Christoph Fackelmann
Kyrene Verlag, Wien/Innsbruck 2017
352 Seiten, 22,50 EURO
ISBN-13: 978-3-902873-61-3
ISBN: 3-902873-61-2
EAN: 9783902873613

Donnerstag, 1. März 2018, Salzburg, P.E.N-Club
“Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind”
Programm: Dr. Franz Mayrhofer, Lesung: Werner Friedl; zum Buch spricht: Dr. Christoph Fackelmann
Frauenhilfe Salzburg, Franziskanergasse 5a, 5020 Salzburg
Beginn: 20:00 Uhr

Dienstag, 6. März 2018, Wien, Döblinger Heimatkreis/Verein „Muttersprache“
“Ein Abend für Josef Weinheber”
Einleitung: Wolfgang Schulz, Lesung: Peter Steinbach; zum Buch spricht: Dr. Christoph Fackelmann
Wiener Gasthaus “Im Souterrain”, Iglaseegasse 40, 1190 Wien
Beginn: 18:30 Uhr

Donnerstag, 15. März 2018, Wien, Volksbildungskreis
“Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind”
Lesung: Harald Cajka; zum Buch spricht: Dr. Christoph Fackelmann
Prinz-Eugen-Straße 44, 1040 Wien
Beginn: 18:00 Uhr


Dienstag, 10. April 2018, Wien, Österreichische Goethe-Gesellschaft

“Ich werde wieder sein, wenn Menschen sind”
Dr. Christoph Fackelmann im Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Herbert Zeman; Lesung: Dr. Herbert Schrittesser
Reitschulgasse 2, 1010 Wien (Vortragsraum des Verbandes Österreichischer Akademikerinnen)
Beginn: 17:30 Uhr


Weiterführende Literaturhinweise:

Christoph Fackelmann:
Die Sprachkunst Josef Weinhebers und ihre Leser.
Annäherungen an die Werkgestalt in wirkungsgeschichtlicher Perspektive. 2 Bände.
Band 1: Darstellung
Band 2: Anhang.
LIT Verlag, Münster 2006
1154 Seiten, 59,90 EUR
ISBN 3825886204
ISBN-13 9783825886202


Christoph Fackelmann (Hg.):
Literaturwissenschaftliche Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft, Neue Folge 2008/2009
Essays - Interpretationen - Mitteilungen aus der Forschung
Reihe: Literaturwissenschaftliche Schriftenreihe der Josef Weinheber-Gesellschaft. Neue Folge
Bd. 1, 2009, 200 S., 19.90 EUR, 19.90 CHF, br., ISBN 978-3-643-50027-4

VERLAGSINFORMATION:
Josef Weinheber (1892 – 1945), einer der meistgelesenen deutschsprachigen Lyriker seiner Zeit, ist bis heute Gegenstand ästhetischer, weltanschaulicher und politischer Kontroversen. Das neue Forum für die sachliche Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen Werk des Dichters und dessen kulturhistorischem Epochenkontext stellt Wege der Textinterpretation, Studien zur Poetik, wirkungsgeschichtliche und literatursystematische Untersuchungen sowie Ergebnisse der Quellenforschung vor und diskutiert die Konturen einer österreichischen Literaturgeschichte der 1920er bis 1950er Jahre.

Christoph Fackelmann (Hg.):
Literaturwissenschaftliche Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft 2010/2011/2012
Essays - Interpretationen - Mitteilungen aus der Forschung
Reihe: Literaturwissenschaftliche Jahresgabe der Josef Weinheber-Gesellschaft. Neue Folge
Bd. 2, 2014, 312 S., 24.90 EUR, br., ISBN 978-3-643-50445-6

VERLAGSINFORMATION:
Die neuen Beiträge legen den Schwerpunkt auf Epochenfragen und wirkungsgeschichtliche Zusammenhänge: Für die Einbettung und Verortung des Werkes von Josef Weinheber (1892 - 1945) wird der Begriff der "Konservativen Revolution" ins Spiel gebracht und auf seine literarhistorische Valenz geprüft. Eine vergleichende Studie unternimmt es, erstmals die Figur des Dichters Josef Weber (1892 - 1969) aus dem niederösterreichischen Umkreis Weinhebers für die Literaturforschung zu erschließen. Und in einer vollständigen Edition mit ausführlichem Nachwort wird Weinhebers Briefwechsel mit dem Dichterphilosophen Erwin Guido Kolbenheyer (1878 – 1962), dem Verfechter eines "naturalistischen Konservativismus", zugänglich gemacht - ein wichtiger Mosaikstein zum Verständnis der späten Jahre.