DIE STAATSRÄTE. Elite im Dritten Reich von Helmut Lethen, Rowohlt Berlin, Teil 1/4
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Spannende Lektüre, anhand der exemplarischen vier Eliteexemplaren die Melange zwischen an der Macht Dabei Sein und die eigene Karriere Sichern mitzuverfolgen. Und kein Wort dazu, daß in der Liste der preußischen Staatsräte vom September 1933 zwar 72 Männer aus Politik, Militär, Wirtschaft und Gesellschaft aufgeführt sind, aber keine einzige Staatsrätin, keine einzige Frau.
Und das fällt keinem auf, den Staatsräten sowieso nicht, aber, so vermuten wir, den Lesern auch nicht. Über den Autor könnten wir dazu nur Vermutungen anstellen. Davon noch mehr.
Das Gespenstische an der Situation, die dieses Buch fortwährend eindringlich schafft, ist dieses Männlichkeit-Sieger-Gehabe, diese Auserwähltheitsattitüde, eine Rollengespreiztheit uns anschaulich vor Augen zu führen, eigentlich ein eitles Gebaren älterer Herren.
Der Auflistung der 72 Mitglieder des Preußischen Staatsrates entnimmt man auch, daß „Staatskapellmeister Wilhelm Furtwängler“ und „Professor Carl Schmitt“ von Anfang an dabei waren, als in jenem September DER PREUßISCHE STAATSRAT unter dem Vorsitz von Hermann Göring neu konstituiert wurde, denn als Einrichtung gab es diese Institution schon seit 1817: als beratendes Gremium im Königreich Preußen bis 1918, von 1921 als Zweite Kammer Preußens bis 1933, ab September 1933 erneut als beratendes Gremium, weshalb man besser NS-Staatsrat sagt.
Spiritus Rector dieses Buches – das weder ein Sachbuch, noch ein Roman ist, sondern wiederum eine Melange aus wirklichen Personen, politischen Sachverhalten, Thesen aus Büchern und dem menschenverachtenden Pathos dieser Elite mit dem protokollierten fiktiven Zusammentreffens der erwähnten vier Staatsräte – Spiritus Rector also bleibt Gottfried Benn, der 1943 über eine von Goebbels einberufene Festsitzung der Deutschen Akademie in seiner Schrift „Zum Thema: Geschichte“ wiedergibt: „Da sitzen sie ...die großen Dirigenten, die ordentlichen Professoren für Philosophie oder Physik, Ehrensenatoren noch aus alten, anständigen Zeiten...Reichsgerichtspräsidenten... Verleger, ‚erwünschte“ Romanschreiber, Goethe-Forscher,...Staatsschauspieler, Generalintendanten, der ehrbare Kaufmann, und alle lassen das antisemitische Geschwätz des Ministers ruhig über sich ergehen.“
Mit diesem starken Zitat beginnt Lethen seine Einleitung und eigentlich müßte er, vom Alter her, in diesem „Tableau deutscher Elite“ ebenfalls empört wiederfinden, was solche wie mich in den Fünfziger Jahren schon als Kind widerständig aufregten und was direkt in die Studentenbewegung führte, die ja eigentlich 1968 mit dem Marsch nach Bonn gegen die Notstandsgesetze“ einen ersten Höhepunkt hatte; dort teilzunehmen, dazu hatte uns Jugendliche übrigens in Frankfurt Generalstaatsanwalt Fritz Bauer aufgerufen.
Diese sich selbst beweihräuchernde, ekelhaft selbstzufriedene Stimmung von Würdenträgern, die das Zitat von Benn für die NS-Potentaten benennt, ist für mich wie ein Menetekel der Adenauerrepublik, wie ich überhaupt glaube, daß seit längerem schon alle Forschungen zum Dritten Reich längst den Subtext haben, nämlich, wie damit nach 1945 im späteren Westdeutschland umgegangen wurde, die Verbrechen der Nazis verschweigend, bzw. entdramatisierend, ja sie sogar regelrecht leugnend.
Ohne erhobenen Zeigefinger führt dies auch Verfasser Helmut Lethen vor, wenn er schon auf der ersten Seite der Einleitung davon spricht, daß Benns Essay von 1943 im 1949 erschienenen Band „Ausdruckswelt“ aufgenommen werden sollte, dann aber der noch zu frischen Wunden wegen lieber weggelassen wurde, mit Einverständnis von Benn, der dazu sagte: „Ich schleife Hektor nicht“, also in seinen Augen kein Kriegsgewinnler sein wollte, der dem besiegten, schon toten Nationalsozialismus keinen weiteren Hieb versetzen wollte.
Welch Irrtum! Denn Brecht behielt dagegen mit dem Epilog von DER AUFHALTBARE AUFSTIEG DES ARTURO UI vom Jahre 1941 Recht :
„"Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch.
So was hätt' einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."
Und so konnte man selbst 1949 nicht lesen, was Benn schon 1943 über diese staatstragenden Würdenträger geschrieben hatte:
„Sie alle ausnahmslos sehen die Lastwagen, auf die jüdische Kinder, vor aller Augen aus den Häusern geholt, geworfen werden, um für immer zu verschwinden: dieses Ministers Werk - : sie alle rühren die Arme und klatschen....“.
Bedenkt man es recht, ist Benns Entscheidung, dies 1949 nicht veröffentlichen zu wollen, keine der Großmut, sondern eine der Feigheit, denn für die BRD Deutschland 1949 gilt: „Die Gründe für den Verzicht sind leicht nachzuvollziehen. Zu viele der Personen, auf die erkennbar angespielt wird, behaupteten weiterhin ihre Stellung.“ (10) Und so schließt das Buch auch mit der bruchlosen Entnazifizierung und erneuten klammheimlichen Akzeptanz der vier „Helden“ in der jungen BRD.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
Gründgens ©
Furtwängler ©
Info:
Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt, Rowohlt Berlin, März 2018