a Sauerbruchliebermanna Carl SchmittDIE STAATSRÄTE. Elite im Dritten Reich von Helmut Lethen, Rowohlt Berlin, Teil 2/4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß es mit Gottfried Benn begann, hat gute Gründe: „ Gottfried Benn bleibt im Buch der unsichtbare Beobachter des brillanten Quartetts“ (S. 16). Einer der insgesamt 72 NS-Staatsräte zu sein, wird später zweien das Leben retten (2), nicht aber den SA-Gruppenführern Ernst Röhm und Karl Ernst sowie Edmund Heines, die alle drei in den internen Machtkämpfen der NSDAP ermordet wurden – und das, obwohl Röhm ein persönlicher Freund von Göring war.

Zudem hat die mit Pomp inszenierte Erneuerung der Einrichtung des Staatsrates am 16. September 1933 keine Erfolgsgeschichte geschrieben. Denn danach hat der Staatsrat nur noch dreimal getagt: unmittelbar später am 12. Oktober 1933, am18. Juni 1934 und im Jahr 1936. Daß der Staatsrat nicht mehr wie zuvor in der Weimarer Republik verfassungsrechtliche Bedeutung als zweite Kammer hatte, sondern wie im Kaiserreich beratend wirken sollte, wurde schon angeführt. Dazu gehört, daß Abstimmungen in diesem Gremium nicht vorgesehen waren.


Lethen stellt die vier Auserwählten vor und ergänzt ihre Biographien an verschiedenen Stellen mit interessanten Details wie Körperkonstitution und Alter:
Ferdinand Sauerbruch , 1875-1951, wird fast 76
Wilhelm Furtwängler, 1886 bis 1954, wird nur 68
Carl Schmitt, 1888 bis 1985, wird fast 97
Gustav Gründgens, 1899-1963, wird nur 63 Jahre,

aber alle überleben die Nazi-Diktatur


Staatsräte hatten - sehr einsichtig, so ist das immer - eine doppelte Funktion: der Staat schmückt sich mit ihnen, um seine eigene Weltläufigkeit und Bedeutung zu erhöhen, was angesichts der Tatsache, daß die Kulturelite im Dritten Reich größtenteils ins Exil gegangen war, hieß: die hier sind alle noch da! Die Räte nun wiederum schmücken sich aus unterschiedlichen Gründen mit dem Staat, von echter Bewunderung und sogar Hingabe bis zur Hoffnung, diese Auszeichnung gewähre ihnen Schutz. Diese Vier hatten niemals ein gemeinsames Treffen – ob alle vier bei den nur vier Treffen der Staatsräte anwesend waren, klärt Lethen nur für die 1. Sitzung, wo Sauerbruch zwar schon Mitglied, aber nicht anwesend und Gründgens noch gar kein Mitglied war. Aber, eigentlich unwichtig, legt Lethen Wert darauf, daß sich die einzelnen nachweislich bei verschiedenen Veranstaltungen gesehen haben müssen.

„In den Nischen der Diktatur“ und „Die Mittwochs-Gesellschaft“, was heute eine Art Wissenschaftskolleg wäre, führt der Verfasser schon einmal das geistige Milieu und soziale Klima der gebildeten Stände im Nationalsozialismus vor. Interessant, welche Disziplinen fehlten: Soziologie, auch Film und Rundfunk, kaum Geisteswissenschaften. Er konstatiert allenthalben Grautöne in der Gesellschaft, vor allem das Gewährenlassen und Wegschauen. Nach Robert Musil ist dies die Mentalität des Zulassens:„Die deutsche Bourgeoisie hat die Juden nicht verfolgt und vernichtet, sie ließ aber zu, dass sie verfolgt und vernichtet wurden.“ Dies Zitat von Eberhard Straub (58) läßt den Leser sofort weiterdenken, was wir heute alles zulassen...in Deutschland, in Europa, in der Welt.

Köstlich, was dann als GEISTERGESPRÄCHE uns vor Augen kommt: die fünf fiktiven Zusammentreffen dieser Viererbande in der Nazi-Zeit und die zwei in der Nachkriegszeit. Meine Güte, diese Darstellung liest sich wie die Anleitung zu einer Satire, zwingt geradezu, sich eine dramatische Form zu wünschen und diese zu antizipieren: ein Theaterstück.

Allein dadurch, daß uns Lethe die Körperhaltungen - Furtwängler wird für Sauerbruch zum Inbild des Leptosomen (102), Schmitt zum Pykniker, Gründgens ist neurasthenisch oder athletisch, Sauerbruch ein Physiognomiker (107) mitteilt, das Verhältnis von Körperbau und Charakter, die Sprechweise, die Manierismen seiner Vier bei öffentlichen Auftritten,, noch dazu unter Ihresgleichen, was den Konkurrenzdruck erhöht, anschaulich vermittelt, ergeben sich beim Lesen sofort entsprechende Bilder im Kopf, man verknüpft die Bilder, hat einen Comic vor sich. Und von diesen Bildern bis zu einer Bühnenaufführung ist es nicht weit. In der Tat, wann wird das erste deutsche Theater eine Bühnenfassung bringen, so wie GOTT DES GEMETZELS von Yasmina Reza und viele andere zugespitzte Sprechstücke.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Absichtlich bringen wir hier kein Foto des uns recht unsympathischen Chefarztes in Weiß. Mit dem Gemälde von Ferdinand Sauerbruch, das sein Nachbar am Wannsee, Max Liebermann, gemalt hat, soll gewürdigt werden, daß Sauerbruch immerhin den längst verfemten Malerfürsten 1935 mit zu Grabe trug, was den Nazis nicht recht war ©
Carl Schmitt ©

Info:
Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt, Rowohlt Berlin, März 2018