c Wagner Angstmacher Aufbau VerlagZur absurden Theorie über Gemeinsamkeiten von Links und Rechts

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „1968 ist nicht nur die Geburtsstunde einer neuen Linken jenseits der Sozialdemokratie, sondern auch die einer Neuen Rechten.“

Das behauptet der Soziologe Thomas Wagner in seinem Buch „Die Angstmacher“. In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“, das am 3. Mai veröffentlicht wurde, erläutert er seine Meinung an - aus seiner Sicht - exemplarischen Parallelvorgängen im linken und rechten Spektrum. Bei der Lektüre sowohl des einen als auch des anderen kam mir jedoch der Verdacht, dass Wagner bei seinen Gesprächen mit tonangebenden Vertretern des rechtsradikalen Milieus der Faszination des Gegenstands erlegen sein könnte.

Denn es drängst sich der Eindruck auf, dass er von Götz Kubitschek (Antaios Verlag), Martin Sellner (Identitäre Bewegung), Frank Böckelmann (Kulturwissenschaftler mit eindeutig rassistischen Positionen) und dem vor einem Jahr verstorbenen Henning Eichberg (der unter dem Begriff „Ethnopluralismus“ eine auf Apartheid der Rassen gründende Weltkultur propagierte) über den Tisch gezogen wurde. Eine ähnliche intellektuelle Distanz ließ vor 35 Jahren Joachim Fest bei seiner Hitler-Biografie vermissen.

Die Zielvorstellungen von Faschisten und Neu-Rechten einerseits, Linken und vor allem den 68ern andererseits schließen sich gegenseitig aus. Wer nach Gemeinsamkeiten sucht, kommt nicht über linke Überläufer wie Bernd Rabehl und Horst Mahler sowie deren Kreise hinaus. Umgekehrt werden rechte Publizisten wie Caspar von Schrenck-Notzing oder Armin Mohler von Linksintellektuellen allenfalls dann erwähnt und zitiert, wenn typische Vertreter des faschistischen Denkens benannt werden.

Ein linker (sozialistischer / kommunistischer) Staat kommt – unabhängig von den durchaus unterschiedlichen theoretischen Entwürfen - ohne Herrschaftsstrukturen aus, weil er lediglich Leben und Tätigkeit des Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft organisiert, die nicht mehr profitorientiert, sondern bedürfnisbefriedigend und gemeinwirtschaftlich arbeitet. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ umreißt die erste Stufe einer Freiheit, die allgemein als Sozialismus bezeichnet wird. Die nächste und endgültige, der Kommunismus, lässt sich verkürzt mit der Formel „Jeder arbeitet entsprechend seinen Fähigkeiten und Wünschen, die Gesellschaft teil ihm zu gemäß seinen Bedürfnissen“ beschreiben. Diese materielle Basis spiegelt sich im permanenten dialektischen Austausch mit dem gesellschaftlichen Überbau, der beispielsweise die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, die der Staatsorganisation sowie der von Wissenschaft und Kultur abbildet.

Hingegen ist der Faschismus in seinen sämtlichen Spielarten eine Herrschaftsform des Kapitalismus. In politischen Programmen wie dem der AfD sucht man deswegen vergeblich die Elemente der Französischen Revolution, die sich in den Forderungen der „utopischen französischen Sozialisten“ wiederfinden, nämlich Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit/Solidarität. Vielmehr werden die Aufrechterhaltung der Bildungs-, Einkommens-, Eigentums- und Klassenschranken als Elemente eines angeblich gesunden Wettbewerbs kategorisiert, denen noch eine völkische (rassistische) Folklore an die Seite gestellt wird. In der Angst der AfD vor einer globalisierten Welt ist keine Kapitalismuskritik festzustellen. Vielmehr fürchtet sie den Verlust von nationalem Protektionismus und völkerischer Apartheit. Dem Internationalismus der Linken stellt sie den Nationalismus entgegen.

So wirken auch Thomas Wagners Kenntnisse über die Restauration in der Adenauer-Zeit nicht nur naiv, sie sind definitiv falsch. Denn die Alt-Nazis waren nachweislich einflussreich und hatten viel zu bestimmen, vor allem in Justiz und Verwaltung sowie in der Wirtschaft. Die Versuche des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, hochrangige Nazi-Täter zur Verantwortung zu ziehen, war ein Kampf gegen den Staat, war eine politische Auseinandersetzung mit Adenauer, Globke, Oberländer oder dem Staatsrechtler Gerhard Maunz. Letzterer war ein Schüler Carl Schmitts und zählte neben Ernst Ludwig Huber zu den beiden „Kronjuristen“ des Dritten Reichs. In den 20er Jahren war er Mitbegründer der „konservative Revolution“. Exakt dieser gefährliche Ungeist lebt heute in den Veröffentlichungen von Götz Kubitscheks „Antaios Verlag“ sowie in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ wieder auf.

Fast schon amüsiert hat mich Wagners Erwähnung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung, das angeblich auch im rechten Lager neue Bewertungen ausgelöst haben soll. Während der Hochzeit der 68er Bewegung wurde der Artikel 4. Absatz 3 des Grundgesetzes zunehmend in Anspruch genommen. Doch bereits mit der Aufstellung der Bundeswehr 1956 meldeten sich die ersten Verweigerer, die überwiegend traditionell-linken und progressiv-christlichen Kreisen entstammten. Die rechte Szene hingegen hat zusammen mit der CDU die Kriegsdienstverweigerer als „vaterlandslose Gesellen“ diffamiert und ist davon nie abgewichen.
Aber auch unter kritischen Soldaten waren und sind Rechte und Rechtsradikale nicht vertreten. So auch nicht im 1983 gegründeten Arbeitskreis „Darmstädter Signal“, einer Initiative von Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr, die den Vorrang nichtmilitärischer Lösungen bei internationalen Konflikten betont.

Ich teile auch nicht die Analyse Wagners, dass die 68er ihr Ziel, die kapitalistischen Machtstrukturen zu zerschlagen, aufgegeben und stattdessen die Stärkung der individuellen Bürgerrechte proklamiert hätten. Die Aufhebung der kapitalistischen Produktion, also das Eigentum an Produktionsmittel in den Händen weniger, ist nicht gelungen, weil die rechten Linken in SPD und Gewerkschaften entweder die Gunst der Stunde nicht erkannten oder sich mit den Verhältnissen arrangiert hatten (siehe das Godesberger Programm der SPD). Ohnehin war und ist der Widerstand dagegen in der besitzenden Klasse gegen ihre Enteignung verständlicherweise riesig. Dennoch ist diese Forderung nie aufgegeben worden und sie wird mindestens weiterverfolgt von linken Sozialdemokraten, Jusos, Linkspartei und nichtorganisierten Linken. Dieser revolutionäre Akt bedarf jedoch eines aufgeklärten Bewusstseins bei den Bürgern. Denn mit dem bloßen Wechsel der Macht ist nichts gewonnen.
„Wer, um frei zu sein, die Macht stürzt, übernimmt das Gegenteil der Freiheit, die Macht“ heißt es in Max Frischs Drama „Graf Öderland“. Im Übrigen vollzieht sich eine Revolution bei Rechten stets als Austausch auf der Ebene der Mächtigen, während die Strukturen der Unterdrückung sowie die alten Privilegien und Pfründe beibehalten werden.

Der Verweis auf vermeintlich linke Kreise in der Frühzeit der NSDAP als Beleg für die Existenz sozialistischer Ideen sowohl im seinerzeitigen als auch im heutigen rechtsradikalen Lager ist eine Geschichtsklitterung. Der angeblich linke Gregor Strasser konnte sich gegen Joseph Goebbels nicht durchsetzen und wurde beim Röhm-Putsch 1934 ermordet. Sein Bruder Otto Strasser musste ins Exil gehen, vermochte aber auch nach dem Ende des Nazi-Regimes mit seiner nationalbolschewistischen Ideologie nicht Fuß zu fassen. Dass er in Teilen der NPD und den so genannten „Freien Kameradschaften“ in Ostdeutschland heute als Säulenheiliger gilt, ist im Kulturkampf zwischen Rechten und Linken eigentlich nicht der Rede wert. Und es ist schon gar kein Nachweis für eine gemeinsame antibürgerliche Strategie unter verfeindeten oder halbverfeindeten politischen Gruppen.

Nicht zu bestreiten ist das Kopieren von linken Aktionen und Strategien durch Rechte. Das war bereits in den 20er Jahren so und ist auch heute noch anzutreffen.

Von einem Buch, das eine Wirkungsgeschichte der 68er bis in die Neue Rechte hinein nachweisen will, hätte ich klare Beschreibungen und Analysen der tatsächlichen Vorgänge in dem besagten Zeitabschnitt und eindeutige Klassifizierungen der jeweiligen alten und neuen programmatischen Inhalte erwartet. Doch exakt dort weicht sein Autor in das Reich der Mutmaßungen und Verschwörungsphantasien aus.


Foto:
Cover „Die Angstmacher“
© Aufbau Verlag

Info:
Thomas Wagner: Die Angstmacher
1968 und die Neuen Rechten
Aufbau Verlag
Hardcover, 352 Seiten, Ladenpreis 18,95 Euro
Auflage August 2017
ISBN 978-3-35103686-7