Frankfurt Buchmesse 2011, Teil 13: Claudia Schulmerich im Gespräch mit „Die Moldau im Schrank“ - Verleger Ricco Bilger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ricco Bilger stammt aus dem Wallis, kam nach Zürich, gründete 1983 dort die Buchhandlung, die ihm als Leser immer fehlte und die er noch heute betreibt: Sec 52; verlegt seit 1994 auch Bücher, die nun seit 2001 im bilgerverlag erscheinen.

 

Herr Bilger, Sie sind der bilgerverlag! Das hat gerade gut gepaßt, der Zusammenhang mit dem kuriosesten Buchtitel „Die Moldau im Schrank“ ihrer Debütautorin Nina Maria Marewski, dem Lesen des Buches und dem Interview mit ihr, daß ich Sie als Erstes fragen möchte: Wie kam es zu diesem Buch? Zu diesem Buch bei Ihnen?

 

Wenn ich das in drei Sätzen erklären könnte, wäre das wunderbar. Aber ich müßte wahrscheinlich auch so ein phantastisches Buch schreiben, wie sie geschrieben hat, um allein die Geschichte des Buches erzählen zu können. Kurzfassung: Marewski lebt in der Schweiz, seit kurzem. Wir veröffentlichten bisher Schweizer Literatur. Das Manuskript kam zu mir über einen Mann, den sie in einer Kneipe über ihren Hund kennengelernt hat, den wiederum ich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hatte, ein früherer Freund von mir, den ich aber drei Wochen zuvor bei einer Party beim Weggehen angesprochen habe, wir wollten was abmachen und er hat sich dann beim Kennenlernen von Hund und Autorin an mich erinnert. Nina sprach dann von ihrem ‚sehr guten‘ Buch, ich sagte: ‚Super, das höre jeden Tag dreimal, aber wir können ja was ausmachen‘…

 

 

Welche anderen Formen der Anbahnungen von Autor und Verleger haben Sie bisher erlebt?

 

Viele klassische Formen, d.h. unverlangt zugeschickte Manuskripte, ich muß sagen, über ein unverlangt zugeschicktes Manuskript habe ich im Jahr 2001 auch überhaupt meinen Verlag, den bilgerverlag gegründet. Früher habe ich einfach immer wieder mal Bücher herausgegeben, quasi so als Parallelgeschichte zu meiner Buchhandlung, die ich seit 30 Jahren in Zürich habe. Ende der 90er wußte ich, entweder mache ich das jetzt professionell oder ich  höre auf. Im Hin und Her des Überlegens hatte ich plötzlich ein Manuskript auf dem Tisch mit dem wunderbaren Titel „Der bekiffte Maulwurf auf dem Hochseil“. Ich dachte daraufhin, da muß ich mal reinlesen und das Resultat war, daß ich sechs Stunden später mit den Mundwinkeln oben an den Ohren einfach wußte, das ist der Grund, warum ich diesen Verlag gründen werde.

 

Das Buch ist dann als erstes im Jahr 2001 erschienen unter dem Titel „Franz oder Warum Antilopen neben einander laufen“ von Christoph Simon. Das ist ein Riesenerfolg geworden, wir haben bisher über 10 000 Exemplare verkauft, es ist sogar Schullektüre. Mit dem Autor habe ich weitere Bücher gemacht. Letztes Jahr ist dieser Beststeller herausgekommen „Spaziergänger Zbinden“, das wird in mehrere Sprachen übersetzt. Es ist eine Geschichte, die prototypisch ist für mein ganzes Programm. Ich komme an etwas heran, bin neugierig drauf, lasse es liegen, umkreise es wie ein Wolf seine Beute, und manchmal gehe ich dann auch wieder weg und es wird nichts. Aber manchmal packe ich zu und so sind viele Bücher entstanden.

 

 

Haben Sie auch schon zum Schreiben aufgefordert und wie war das Ergebnis?

 

Zum Schreiben aufgefordert habe ich in diesem Sinne nie jemanden. Ich hatte aber sehr viele persönlichen Begegnungen;  über Christoph Simon meinen ersten Autor bin ich an einen weiteren Schriftsteller aus seinem Freundeskreis gekommen, der nun bei mir ist, also dieses Weitergereichtwerden ist die eine Möglichkeit, die andere ist, daß ich auf Bücher stoße, wie auf die -  seit ich jetzt Übersetzungen mache  - aus der französischsprachigen Schweiz und entscheide, was ich davon veröffentlichen will.

 

 

 

Wie fing das mit dem Verlag im Jahr 2001 an? Braucht man mehr Mut, Geld oder Chuzpe in einer kaum überschaubaren Verlagsbranche einen eigenen Verlag zu gründen?

 

Ach, es braucht einfach die absolut gnadenlose Leidenschaft für Bücher und so ist meine Buchhandlung entstanden und so ist das Literaturfestival in Leukerbad entstanden, das ich gegründet und zehn Jahre gemacht habe, so ist der Verlag entstanden und natürlich: die Finanzen sind ein großes Thema, aber wo sind sie das nicht. Meine Frau ist in der Mode tätig, da ist es dasselbe Problem.

 

 

Und wann war die erste schwierige Situation und wie haben Sie die überwunden?

 

Die schwierigste Situation war das Jahr 2007, als wir wirklich glaubten, wir kommen keinen Schritt mehr weiter, wir machen tolle Bücher, aber fast keine Verkäufe, ich wußte  nicht, in welche Richtung, ich hatte damals meinen jetzigen Verlagspartner kennengelernt, den Dario Benassa, wir sind zu zweit. Wir sagten: „Das war’s. Ende 2007 schließen wir den Verlag.“ Und dann bekam ich ein Manuskript auf den Tisch von Katharina Faber, mit der ich früher schon ein Buch gemacht hatte, die den Rauriser Literaturpreis gewonnen hatte, „Fremde Signale“ und bekam gleichzeitig einen großen Familien- und Zeitroman auf den Tisch von Kaspar Schnetzler mit dem Titel „Das Gute“.

 

Wir haben diese Manuskripte gelesen und waren beide so begeistert, daß wir gesagt haben, wir investieren keinen Rappen mehr in die Verlagsinfrastruktur und so, aber die Bücher, diese beiden, die machen wir noch. Das Ergebnis war, daß wir im Jahr 2008 zwei Topseller hatten, mit je vier Auflagen, mit je 10 000 verkauften Exemplaren, mit Taschenbuchlizenzen, die wir verkauft haben, etc. Das war die eigentliche Wende. Der Erfolg dieser zwei Bücher, die wir eigentlich nicht mehr machen wollten, nachdem wir beschlossen hatten, wir schließen den Verlag, hat die Wende eingeleitet.

 

 

Nein, nach Ihrem Lieblingsbuch aus dem bilgerverlag wollen wir nicht fragen. Ein Vater liebt alle seine Kinder! Aber welche sind die erfolgreichsten? Und welche finden Sie einfach von Kritik und Lesern unterbewertet?

 

Lassen Sie mich trotzdem die Frage nach dem Lieblingsbuch beantworten. Sie haben natürlich Recht, alle von mir herausgegebenen Bücher sind Lieblingsbücher, aber eines liegt mir besonders am Herzen, das ist vor eineinhalb Jahren erschienen, der Autor heißt Olivier Sillig, das Buch „Die Schule der Gaukler“, und in diesem großartigen Mittelalterroman, wo es letztendlich um die Würde des Menschen geht, ist eigentlich alles drin, was für mich Literatur verkörpert, verkörpert hat und wahrscheinlich immer verkörpern wird: dieses Buch ist quasi eine Poetologie oder Philosophie des Verlags in allem, was Sie darin finden.

 

 

Und ist dies Buch erfolgreich gewesen?

 

Nein, es ist völlig unterbewertet worden.

 

 

Gibt es Bücher, die die Kritik lobte und die Leser links liegen ließen und umgekehrt, also vernichtende Kritiken, aber guter Verkauf?

 

Ja, das gibt es immer wieder. Ein Autor, den ich bereits mit drei Büchern im Programm habe, Pierre Chiquet, der großartige kleine Kammerstücke schreibt in der Tradition von Hermann Burger oder Robert Walser, also wunderbare Literatur. Wenn er besprochen wird, die Rezensionen über die Bücher sind exzellent, aber nie haben wir mit einem dieser Bücher Quote gemacht. Ein völliges Unverständnis bei mir, weil ich das nicht nachvollziehen kann.

 

 

Gibt es etwas, was Sie von mir gerne gefragt worden wären?

 

Ja, natürlich. Ich wäre gerne gefragt worden, für welches Buch ich mich am meisten begeistern kann, welchem Lesertyp gegenüber. Das ist  nämlich immer, da ich auch Buchhändler bin, eine wunderbare Situation: Ich werde ja jeden Tag mit dieser Frage  konfrontiert: „Ich hätte da jemanden, dem ich ein Buch schenken will.“ Und wenn ich da alleine meinen Verlag nehme, da habe ich eigentlich die ganze Palette hindurch vom Thriller-Liebhaber bis zum wirklich hochanspruchsvollen, reinen, puren, fundamentalistischen Literaturliebhaber eine ganz große Auswahl an wunderbaren Büchern. Wir haben also kein eindimensionales Programm. Ich denke, das ist etwas ganz Entscheidendes. Das prägt den Verlag. Formuliert in dem Motto des Verlags: Der Berg, die Wüste, der Himmel, das Meer. Literatur der Welt im bilderverlag.

 

www.bilgerverlag.ch