Historisch-kritische Faustedition als Hybrid-Ausgabe
Susanne Sonntag
Frankfurt am Main (weltexpresso) - Im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Haus wurde seit 2009 in Kooperation mit dem Goethe- und Schiller-Archiv (Klassik Stiftung Weimar) und dem Lehrstuhl für Computerphilologie und Neuere deutsche Literaturgeschichte der Universität Würzburg eine neue historisch-kritische Edition des Goetheschen ‚Faust‘ erarbeitet, die auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde.
Die Ausgabe verbindet eine moderne Faksimile-Edition mit einem innovativen genetischen Apparat im digitalen Medium. Sie bietet damit der Faust-Forschung erstmals eine umfassende gesicherte Grundlage und der breiteren Öffentlichkeit Einblick in Goethes ‚Werkstatt’, in der eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur entstand.
Das Projekt wurde geleitet von Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken (Freies Deutsches Hochstift), Dr. Silke Henke (Goethe- und Schiller-Archiv) und Prof. Dr. Fotis Jannidis (Universität Würzburg). Die Arbeit wurde von 2009 bis 2015 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Drucklegung der Print-Anteile im Wallstein-Verlag wurde möglich durch die Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.
Die digitale Edition ist unter faustedition.net im Netz frei zugänglich (CC: BY NC SA). Sie bietet eine Wiedergabe und editorische Erschließung der vollständigen Überlieferung von Goethes ‚Faust‘ nach den Standards historisch-kritischer Ausgaben. Die Entstehungsgeschichte des ‚Faust‘ umspannt einen Zeitraum von 60 Jahren, in denen sich Phasen intensiver Arbeit am Werk mit langen Unterbrechungen abwechseln. Erhalten ist ein umfangreicher Bestand an Handschriften mit über 2000 beschriebenen Seiten. Hinzu kommen sämtliche relevante zu Lebzeiten Goethes erschienene Drucke und über 1500 Zeugnisse zur Entstehung des Werks.
DIGITALE EDITION 1.0 faustedition.net
Die digitale Faustedition bietet eine multiperspektivische Präsentation des Goetheschen Textes, bei der dem Nutzer je nach seinen Interessen verschiedene Zugänge sowie wechselnde Ansichten und Abfragemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Bereiche Archiv, Genese und Text eröffnen drei unterschiedliche Wege zu den in der Ausgabe versammelten Informationen:
Die gesamte Faust-Überlieferung wird in der neuen Edition im Bereich Archiv in Abbildungen, Transkriptionen und Zeugenbeschreibungen zugänglich gemacht. So steht hier erstmals eine komplette, jedem Nutzer ohne Zugangsbeschränkungen verfügbare virtuelle Sammlung der Faust-Handschriften und der zu Goethes Lebzeiten erschienenen Drucke zur Verfügung. Sämtliche Handschriften sind in hochauflösenden digitalen Farbabbildungen verfügbar. Zahlreiche Faust-Handschriften werden in der neuen Edition überhaupt erstmalig veröffentlicht.
Der Bereich Genese ist vielfältig mit dem Archiv verknüpft. Die im textuellen Transkript dargestellten innerhandschriftlichen Varianten verbinden beide Bereiche, indem sie den Schreibprozess Goethes vom Beginn der Niederschrift bis zur fertigen Beschriftung eines Blattes nachvollziehbar machen. Die handschriftenübergreifende Entstehung des Gesamtwerkes wird im Bereich Genese überblicksweise in verschiedenen Diagrammen visualisiert, die dem Nutzer gezielten Zugang zu den in der digitalen Faustedition zur Verfügung stehenden Materialien bietet, auf deren Basis zukünftige Forschung die Genese des Goetheschen Werkes im Detail untersuchen kann.
Über den Bereich Text kann der Nutzer den Einstieg direkt vom Text des Goetheschen ‚Faust‘ wählen. Hier wird als erstes ein Lesetext beider Teile des ‚Faust‘ angeboten; außerdem lassen sich die Schemata und Paralipomena zum ‚Faust‘ adressieren. Über Inhaltsverzeichnisse gelangt der Nutzer zu den einzelnen Werkabschnitten in den beiden Teilen des ‚Faust‘ bzw. zu den einzelnen Schemata und Paralipomena.
Die digitale Edition folgt den Richtlinien für digitale Editionen, die von der Text Encoding Initiative (www.tei-c.org) entwickelt wurden. Wo die TEI Guidelines die innovative Kodierung einer dokumentarischen Transkription noch nicht unterstützen, hat das Editionsteam zusammen mit der TEI Organisation den Standard weiterentwickelt. Der XML/TEI-kodierte Text kann bei jeder einzelnen Seite heruntergeladen sowie kostenlos über Github bezogen werden. Dort findet man auch die entwickelte Software als Download: https://github.com/faustedition. Alle Darstellungen des Textes, auch die der Buchausgabe, beruhen auf den XML-Daten.
Für die Darstellung des neuentwickelten dokumentarischen Markups wurde im Rahmen der Edition ein Modul zur visuellen Darstellung erarbeitet. Darüber hinaus erfolgten (Weiter-) Entwicklungen von Visualisierungen für die Darstellung der Werk-, Akt- und Versgenese. Das experimentelle Makrogenese-Labor dient der Auswertung von Informationen über die relative und absolute Datierung von Handschriften durch die Integration in einen großen Graphen, der dann auf Widersprüche hin ausgewertet werden kann.
DIE BUCHPUBLIKATION FAUST
Die Buchpublikation im Wallstein Verlag erscheint in limitierter Auflage parallel zur Freischaltung der Version 1.0 des digitalen Teils der Faustedition.
Die Buchpublikation der Hybridausgabe von Goethes Faust enthält:
– Faust. Der Tragödie zweiter Teil Gesamthandschrift: Faksimile und Transkription
– Faust. Eine Tragödie Konstituierter Text
Faust
Der Tragödie zweiter Teil
Gesamthandschrift: Faksimile und Transkription
Die große, fast 400 Seiten umfassende Gesamthandschrift des zweiten Teils von Goethes Faust verlangt nach einem besonders hochwertigen und aufwendigen Faksimile. Wiedergegeben werden nicht nur Vorder- und Rückseite des Einbands sowie sämtliche Blätter im Folioformat, sondern darüber hinaus auch insgesamt 26 eingeklebte Blätter und Streifen mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen. Diese erscheinen im Faksimileband originalgetreu als Aufklebungen.
Dem Faksimile steht ein Band mit einer Transkription zur Seite, die die teils schwer zu entziffernde Niederschrift zeichengetreu und gemäß ihren räumlichen Verhältnissen genau wiedergibt.
»Das Hauptgeschäft zu Stande gebracht. Letztes Mundum. Alles rein Geschriebene eingeheftet.«
Mit diesen Worten hielt Goethe am 22. Juli 1831 den Abschluss seiner Arbeit an »Faust. Der Tragödie zweiter Teil« fest. Was Goethe hier beschreibt, ist die Einheftung der letzten noch fehlenden Blätter in die große, 386 Seiten nebst Einband umfassende Gesamthandschrift des Faust II. Ihr Deckel trägt die Aufschrift »Faust. Zweyter Theil. 1831«. Sie wurde von Goethes Schreibern angefertigt und enthält sowohl zahlreiche Änderungen und Ergänzungen von der Hand Goethes als auch die Spuren der Nachlassbearbeiter Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer. 26 Ergänzungen sind auf eingeklebten Zusatzblättern oder kleinen Streifen festgehalten. Die im Februar 1831 angelegte Gesamthandschrift lag dem Dichter bei der Fertigstellung seines letzten großen Werks »als eine sinnliche Masse vor Augen« (zu Eckermann, am 17. Februar 1831).
Johann Wolfgang Goethe Faust
Eine Tragödie Konstituierter Text
Von Grund auf neu erarbeitet: Der Lesetext der historisch-kritischen Faustedition
Gibt es einen »authentischen Text« des Faust? Keine der erhaltenen Versionen kann als verbindliche und autornahe gelten. – Im Rahmen der historisch-kritischen Faustedition wurde jetzt ein Lesetext konstituiert, der auf der genauen Prüfung sämtlicher Handschriften und Drucke beruht und Goethes eigenem Wortlaut und Interpunktionsgebrauch so nahe kommt wie keine Edition des Faust zuvor.
Zwischen 1790 und 1832 sind mehrere Ausgaben von Faust I erschienen, Faust II erschien zu Goethes Lebzeiten nur in Vorabdrucken, vollständig erst nach seinem Tod. Die verschiedenen aufeinanderfolgenden Drucke des Ersten Teils und die komplexe Redaktion der Gesamthandschrift des Zweiten Teils führten dazu, dass ein letzter autornaher – das heißt unter Goethes direkter Mitwirkung und unmittelbarer Kontrolle entstandener – Text beider Teile in keiner einzelnen erhaltenen Fassung vorliegt. Die sorgfältige Prüfung aller Drucke und der Handschriften und ihres Zustandekommens erlaubt es aber, einen von autorfremden Störungen bereinigten Text herzustellen. Er bietet den letzten autornahen Textzustand, der sich auf methodisch gesicherte Weise erreichen lässt.
Foto:
Faust Film 1960
© Verleih
Info:
Johann Wolfgang Goethe
Faust. Der Tragödie zweiter Teil
Gesamthandschrift
Faksimile und Transkription
Bearbeitet von Gerrit Brüning, Katrin Henzel, Dietmar Pravida und Dietrich Renken, Thorsten Vitt, Moritz Wissenbach
Zwei Foliobände (26 x 41 cm), im leinenbezogenen Schuber,
384 S. Faksimile und 26 faksimilierte Aufklebungen, Halbleinen
412 S. Transkription und Erläuterungen, Halbleinen
Buchhandelspreis: € 199,– (D) | € 204,60 (A)
ISBN: 978-3-8353-3333-8
Johann Wolfgang Goethe
Faust. Eine Tragödie
Konstituierter Text
Bearbeitet von Gerrit Brüning und Dietmar Pravida 574 S., Leinen, im Schuber
Buchhandelspreis: € 49,– (D) | € 50,40 (A) ISBN: 978-3-8353-3334-5
Beide Publikationen zusammen zum Komplettpreis!
Buchhandelspreis: € 224,– (D) | € 230,30 (A) ISBN: 978-3-8353-3335-2
Wallstein Verlag