ester nachgeburt"Nachgeburt" im Verlag Traugott Bautz

Ester Awonoor

Offenbach am Main (Weltexpresso) - Wir leben in seltsamen Zeiten. Ist unsere bunte Spaßgesellschaft auf der einen Seite von hemmungslosem Hedonismus geprägt, so wird andererseits die Privatsphäre von den sogenannten sozialen Medien aus Profitgier in beispielloser Weise verraten und die Freiheit des Einzelnen der politischen Korrektheit geopfert. Die Situation erscheint nahezu ausweglos, gelingt es doch immer seltener, ein Leben jenseits der Zumutungen der modernen Gesellschaft zu führen.

Wie die verstörenden Bilder von John Bridge eindrucksvoll zeigen, thematisiert nun auch die bildende Kunst den alptraumhaften Charakter unserer Welt, die der Maler als „Nachgeburt“ empfindet. Wie es scheint, haben Tiere nun die Herrschaft übernommen. Oder haben sich die Menschen – ihrer Menschlichkeit überdrüssig – in Tiere verwandelt, um hemmungsloser agieren zu können? Haben wir es mit einer brutalen Karnevalisierung des Lebens zu tun? Diese Fragen gehen einem durch den Sinn, wenn man sich die Bilder von Bridge anschaut. Man betrachte nur das weihnachtliche Motiv der „Heiligen Drei Könige“! Ein gesellschaftliches Stelldichein zwielichtiger Typen im Frankfurter Bankenviertel, dessen Grenzen zum Rotlichtviertel fließend sind.

Was mag Bridges „Heiligen Drei Königen“ in Tiergestalt noch heilig sein, abgesehen von ihren krummen Geschäften, die sie begakeln? Am wenigsten wohl das Jesuskind, obwohl der goldene Stern von Bethlehem am nächtlichen Himmel noch eindrucksvoll prangt. Auch die „Boten der Nacht“ machen keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Während die Botschafter der USA und Russlands den Ton angeben, verfolgt Deutschland als braver Hund das finstere Geschehen. Im Hintergrund zeichnet sich eine an den bunten Hundertwasser erinnernde Mauer ab, die die Berliner Mauer ersetzt – erbaut von der ehemaligen FDJ-Musterschülerin. Blutrot und bedrohlich erhebt sich der von Rissen gezeichnete Himmel, in den Überwachungskameras ragen, um das infernalische Szenario nicht aus dem Blick zu verlieren.

Nacktes Grauen aber flößt der abgetrennte Kopf des Offenbacher Stammeskriegers ein. Von den Stammesnarben des Eurozeichens und der Offenbacher und Frankfurter Vorwahl gezeichnet, geht der Blick des Geköpften durch den Betrachter hindurch und ist auf eine höllische Landschaft gerichtet. Das Göttliche, symbolisiert durch drei Kreuze und drei Kreise, umspielt den Totenschädel dabei wie eine ferne Anmutung, die den unter paranoidem Verfolgungswahn Leidenden – die drei Kameras in seinem Kopf! – aber nicht mehr erreichen. Verstörend auch Bridges Porträt des Künstlers als Schmerzensmann: Der zugenähte Mund, der Schlüssel im Kehlkopf, der kein Schloss mehr aufschließt: In seinem brennenden Schmerz und seiner Sprachlosigkeit ist der Künstler ein stummer Schrei, den kein Gott mehr erlöst. Der aus der Sprachlosigkeit erwachsene Schmerz wird auch hier wieder von zwei am Himmel hängenden Kugelkameras überwacht, darf doch der Künstler nur wohlgefällige Wellness-Werke schaffen, die die Verlogenheit der Spaßgesellschaft nicht infrage stellen.

Der Band mit Zeichnungen, Linolschnitten und Gemälden wird abgerundet durch ein ebenso einfühlsames wie literarisches Vorwort von Rainer Hackel und 13 Thesen des Künstlers über Kunst im Zeitalter der Nachgeburt, die in ihrer Mischung aus untergründigem Humor und gespielter Naivität Bridges Lebensgefühl widerspiegeln, das trotz allen Augenzwinkerns von schwarzem Nihilismus geprägt ist.


Foto:
Cover

Info:
John Bridge: Nachgeburt
mit einem Vorwort von Rainer Hackel
Verlag Traugott Bautz GmbH
9 Euro
ISBN: 978-3-95948-329-2