c kindertraumeWas vom Jahr noch übrig blieb: BÜCHER FÜR SICH SELBST UND ZUM VERSCHENKEN, Teil 3: Für Kinder, von Kindern

Achim Grabe

Gießen (Weltexpresso) – Da haben sich ja im Titel so einige Widersprüche versammelt. Glaubt man auf den ersten Blick. Daß dies in Wirklichkeit ganz anders ist und man nur mit Träumen in der Lage ist, mit Bestehendem fertig zu werden und die Kraft entwickelt, es zu verändern, das weiß...ja eben, jedes Kind. Nur die Erwachsenen vergessen dies leicht.

LASST DIE KINDER TRÄUMEN, fordern Jan-Uwe Rogge und Angelika Bartram und wollen beweisen, warum Phantasie wichtiger ist als Wissen. Aber schon damit sind sie auf die westliche Erwachsenenwelt hereingefallen. Warum müssen Phantasie und Wissen denn Gegensätze sein? Warum ist die Phantasie wichtiger als das Wissen. Sie stehen doch gar nicht in Konkurrenz. Aber unsere westliche Lebensweise wird immer stärker die einer Konkurrenz, oft einer gnadenlosen Konkurrenz: weiter, höher, tiefer, länger, kürzer...egal, um was es geht. Immer soll es Sieger und Nichtsieger geben. Nichtsieger sind die Verlierer.

Nun gut, lassen wir das.Denn die Autoren meinen es ja gut und mit ihnen sind wir der Meinung, daß Kinder ein Recht auf Phantasie haben, wir meinen sogar, sie haben die Pflicht dazu. Wie sollte es für junge Menschlein weitergehen, wenn sie schon als Kinder gegängelt und zurechtgeschnitten die richtigen Sachen sagen und ein öffentlich vorführbares Verhalten haben. Dann hätten sie keine Kindheit gehabt, die aus Irren und Wirren genauso besteht, wie aus Staunen, Erkundenwollen, Sich die Welt zu eigen machen und erst einmal alles in Frage zu stellen, was der eigene Verstand nicht – noch nicht oder nie mehr – verstehen kann.

Es geht den Autoren darum, Kindern Zeit zu lassen, als eigene Persönlichkeit und nicht als Aufzucht von der Erwachsenenwelt wahrgenommen zu werden. Und wer glaubt, das sei doch heute so und die kontrollierte Kindheit von gestern, der irrt sich gewaltig. Was ja schrecklich, aber durchdringend ist, ist die Tatsache, daß ehemalige Kinder, die zu Eltern geworden sind, nicht mehr ihre damaligen Kindergefühle empfinden und aus diesen heraus als Eltern handeln, sondern längst ihre eigenen Eltern als eingeimpfte Vorbilder in sich tragen, haben sie in der eigenen Kindheit auch noch so sehr gegen diese revoltiert. Sie sind längst zu deren Abbildern geworden. Nein, natürlich nicht immer, es gibt immer wieder Eltern, die ganz neu anfangen. Aber die überwiegende Mehrheit tradiert fort und tradiert fort...

Für den Bereich der Notwendigkeit der Phantasie allerdings ist der Boden allseits bereitet. Seit das Digitale die Welt erobert und auch die Filme und erst recht die Serien unseren Geist und die Gefühle stärker besetzen als heutige Romanfiguren, ist das Schräge, das Unerwartete, das Andere durchaus erlaubt, ja sogar angesehen.

Wer liest solche Bücher, Bücher mit solchen Titeln? In erster Linie Eltern, Erzieher, Lehrer...Deshalb ist es sinnvoll, daß im Buch nicht nur etwas behauptet wird, sondern in vielen, wirklich vielen Beispielen auch gezeigt wird, wie man dazu kommt, seiner Phantasie freien Raum zu gewähren, loszulegen sozusagen. Da lernt auch der noch einiges, der selbst schon über eine blühende Phantasie verfügt!

Eigentlich sind es diese Anleitungen, die das Buch für Erwachsene wichtig werden läßt und hat man sie durchgesehen, diese Vorschläge, dann weiß man erst, wie richtig der Titel gewählt wurde: LASST DIE KINDER TRÄUMEN ist also wirklich ein richtiger Ratgeber. Gut so.

WARUM FRAGT UNS DENN KEINER? Ist eine zulässige Frage in vielen Lebensbereichen, in denen man Abnehmer von Entscheidungen ist, die oft derart lebensfremd sind , wie zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr, wenn in fünf Minuten drei Bahnen kommen und dann zwanzig Minuten keine. War nur ein Beispiel. Hier geht es um strukturelle Fragen. Denn der Untertitel des Buches von Melda Akbas lautet: Was in der Schule falsch läuft.

Sie meint, es liegt daran, daß man die Schüler nicht befragt, daß Erwachsene nicht wissen, was junge Menschen bewegt, wie man den Unterricht anders gestalten könnte etc. Man fühlt sich etwas hilflos in dieser Situation. Denn mit Betroffenen zu reden, ihre Interessen zu eruieren, sie zu einer Interessenvertretung zu befähigen – auch die Autorin war Schülersprecherin – ist ja völlig richtig. Nur, ganz wichtig!, nicht darin liegt die Misere unserer Schule. Sie kommt dazu. Das glauben wir gerne. Von daher sind wir mit ihrer Forderung: „Seht genauer hin und bezieht die Schüler grundlegend mit ein.“doch völlig einverstanden. Nur, das Grundproblem der Schule ist damit nicht aus der Welt geschafft.

Da geht es nicht um Mitsprache und auch nicht darum, daß die Blinden die Lahmen führen – im Ernst, es spricht ja auch eine gewisse Hilflosigkeit aus der Forderung, daß nun die Kinder Schule und Bildung strukturieren sollten, wo sie das Strukturieren z.B. erst erlernen sollen - , sondern um das grundsätzlich Falsche, was abläuft, wenn alle Kinder zum Zeitpunkt x sich alle mit XYZ beschäftigen sollen, nicht aber das weiterverfolgen können, was sie selbst gerade brennend interessiert.

Es geht um die Neugierde beim Lernen und um die Tatsache, wie es denn geschieht, daß Kinder von alleine essen, laufen, sprechen lernen und von dann an wie Unmündige behandelt werden. Es geht um den falschen Lernbegriff, der nach wie vor in einer Schule herrscht, wo diejenigen, die den Beruf erlernen sollen, sich gezwungen fühlen, in sogenannten Vorführstunden zu zeigen, wie sie das Lernen ihrer Klassen organisieren, was ja deshalb irre ist, weil sie das ja auch erst lernen sollen und man nicht etwas vorzeigen kann, was ja schließlich Endprozeß der Ausbildung ist. Deshalb übernehmen junge Lehrer die Konzepte der Mentoren, lassen sich helfen, etc. Immer das Gleiche, immer das Alte.

Wir haben in Deutschland keine Fehlerkultur, keine Neugierde, aus Fehlern zu lernen. Wir haben nur diesen Spruch, aber nicht seine Verwirklichung im Leben. Was das mit der Schule zu tun hat und dem, was falsch läuft. Alles. Denn würden Referendare in ihrem Schuleinsatz gebeten, zu zeigen, was sie nicht können, weshalb bestimmt Vorhaben nicht klappen, könnten Ausbilder mit den jungen Lehren dies analysieren, man könnte gemeinsam eine andere Unterrichtsplanung meistern...und solche jungen Lehrer würden auch ihre Schüler bei ihren Fehlern packen und nicht diese negativ bewerten. Würden Lehrer Schüler fragen, was sie nicht können, meine Güte, da wäre ein Ansatz für gemeinsames Arbeiten, für gemeinsames Lernen. Stattdessen Nürnberger Trichter immer noch...

Foto:
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Info:
Jan-Uwe Rogge, Angelika Bartram, Lasst die Kinder träumen,
rororo 2015
Melda Akbas, Warum fragt und denn keiner? Was in der Schule falsch läuft,
Bertelsmann 2013